(Schweizer Monat – Dossier: «Dienstleistung Kunst» – Ausgabe 941 – Juli 2005)
In der kulturpolitischen Debatte geht es um das Zutrauen zur Fähigkeit des Staates, Kultur zu tragen und zu fördern. Die Staatsgläubigen vertreten ihr Dogma, indem sie jene, die es kritisieren und entlarven, ihrerseits als dogmatische «Marktgläubige» hinstellen. Allein, Kultur ist ihrem Wesen nach näher beim Austausch als beim Zwang.
«The businessman’s tool is values; the bureaucrat’s tool is fear.»
Ayn Rand
Staat und Markt sind keine Glaubenssache, sondern Realitäten. Dabei gibt es aber zwischen diesen beiden Realitäten subtile Unterschiede zu beachten. Das signifikante Charakteristikum des Staates ist das Zwangsmonopol, das auch die Basis seiner Finanzierung bildet; denn ohne Zwangsabgaben kommt heute kein Staat aus. Die logisch konsequente und im Zusammenhang mit «Kultur» entscheidende Gegenüberstellung ist nicht «Staat und Markt», sondern «Zwang und Freiheit», bzw. «Staat und Nicht-Staat», oder, wenn man’s lieber quantitativ formulieren will, wieviel Staat und Zwang einerseits und wieviel Nicht-Staat und Austausch anderseits.
In einem Zeitungsartikel (NZZ vom 11. Februar 2005, Nr. 35) mit dem absichtlich provokativen Titel «Kultur ist Sache der Kultur» habe ich das klassische Subsidiaritätsprinzip auf die Kulturpolitik angewendet, das von der Fragwürdigkeit aller staatlichen Eingriffe in nicht-staatliche Bereiche ausgeht. «Fragwürdig» (im ursprünglichen Sinn) heisst aber nicht «absolut unerwünscht». Das Verhältnis von Staat und Nicht-Staat und die Frage, ob eine lebendige, kreative und machtskeptische Kultur schwergewichtsmässig auf der einen oder auf der andern Seite anzusiedeln sei, sind für Staat und Kultur zentrale Fragen. Wer den Skeptikern einer staatlichen Kulturpolitik unterstellt, Kulturpolitik sei für sie lediglich eine «unerwünschte Ausnahme», verkennt die Grundsätzlichkeit der Fragestellung, bei der es um die Verteilung der politischen Beweislast geht. Eingriffe und Subventionen bedürfen zum Schutz der Kultur und zum Schutz der demokratischen Kontrolle über die Staatsfinanzen einer überzeugenden und öffentlich kritisierbaren Begründung. Ausdrücklich war im Artikel von Ausnahmen die Rede, die das rigorose Prinzip «Kultur ist Sache der Kultur» nicht nur «erträgt», sondern möglicherweise auf regionaler und städtischer Ebene sogar «braucht». Wer «begründungspflichtig» mit «unerwünscht» verwechselt, argumentiert dogmatisch.
Der Markt findet als Kulturphänomen auch dort statt, wo er verboten, verzerrt und behindert wird. Der Staat selbst hat keine anthropologische Basis, sondern eine historisch-soziologische. Menschen bilden weltweit spontan Gruppen und beginnen untereinander und mit Nachbargruppen zu tauschen, das heisst, sie erfinden oder entdecken den Markt in vielfältigsten Formen, deren gemeinsames Merkmal es ist, dass sie auf herrschaftsfreiem Tausch beruhen. Die Gründung bzw. Entstehung eines Staates ist komplexer und weniger spontan. Der Staat ist eine Not- und Friedensgemeinschaft zur gemeinsamen Abwehr von äusseren oder inneren Gefahren, oft auch eine Institution zur Stabilisierung eines machtpolitischen status quo, beispielsweise nach einer Eroberung oder einer Revolution. Er ist eine mögliche aber nicht zwingend notwendige und auch nicht besonders alte Form des Zusammenlebens. Der Markt hingegen ist ein Urphänomen der Gesellschaft. Der Staat braucht einen Mythos, er beruht auf einem gemeinsamen Glauben an die positiven Seiten der Macht, sei es aus Gewöhnung, aus Dressur oder aus freiwilligem Kalkül.
Es ist kein Zufall, dass kaum ein Staat ohne Staatsschule auskommt, in der man lernt, wie gut und wie wichtig und wie segensreich der Staat und seine Regierung seien. Die pädagogische Einstimmung auf diese gar nicht so natürliche Institution erfolgt unabhängig von der Staatsform. Die Tatsache, dass die Lehrer vom Staat angestellt sind und dass sie das Funktionieren der Wirtschaft häufig nicht aus dem eigenem Berufserleben kennen, spielt für die staatsgläubige und marktskeptische Einstimmung der Jugend eine grosse Rolle. Kinder und Jugendliche, die zu Hause nicht erleben, dass das Geld in Tauschprozessen – oft mühsam – erwirtschaftet und nicht einfach in der Staatskasse erzeugt wird, sind auf das Leben schlecht vorbereitet.
Die oft geäusserte Befürchtung, dass man sich mit der Formel «Kultur ist Sache der Kultur» argumentativ im Dreieck zwischen Staat, Markt und Kultur verstricke, ist ebenfalls unbegründet. Der Markt, auch der Ideenmarkt (präziser: der fremdherrschaftsfreie Meinungsaustausch), ist nämlich ein wesentlicher Bestandteil der Kultur, und je näher das politische Gemeinwesen beim Bürger ist, desto stärker treten die kulturellen Züge und Bezüge des Gemeinwesens hervor. Darum fällt es auf kantonaler, regionaler und lokaler Ebene auch leichter, die allgemeine liberale Skepsis gegenüber staatlicher Kulturförderung mit guten Argumenten zu entkräften. Wenn eine Gemeinde oder eine Region sich profilieren will, indem sie (aus eigenen Mitteln) in bestehende oder neue kulturelle Institutionen öffentlich investiert, soll sie dies tun, sofern die Bevölkerungsmehrheit mitmacht – je lokaler desto besser. Dieser vom Bürgerstolz getragene Wettbewerb darf aber gerade nicht durch zentralstaatliche Subventionen verfälscht werden. Befürworter einer staatlichen Kulturpolitik argumentieren, tatsächlich «staatlich» seien ja nur die Mittel, die aus der zentralen Staatskasse fliessen, und es sei möglich, die Zwecke, denen sie dienen, durch intermediäre Institutionen in ein staatsunabhängiges Mäzenatentum zu verwandeln. Aus empirischer, politökonomischer Sicht sind gegenüber solchen Hoffnungen Zweifel angebracht. Wer zahlen muss, will auch befehlen, und in irgendeiner Weise wird sich der Steuerzahler – übrigens zu Recht – stets bemerkbar machen.
Kultur ist übrigens viel umfassender und viel lebendiger, als sich dies viele Anwälte der staatlichen Kulturförderung vorstellen. Sie betrifft nicht nur Museen, Theater, Oper und klassische Musik, die mir persönlich sehr am Herzen liegen. Um deren Zukunft mache ich mir dann Sorgen, wenn die Nachfrage nur noch durch ein staatlich verbilligtes Angebot aufrecht erhalten werden kann, das leider hauptsächlich von jener älteren Generation von Bildungsbürgern genutzt wird, die am Aussterben ist.
Häufig wird auch argumentiert, die Kulturförderung sei ein Bestandteil des staatlichen Bildungsauftrags. Auch die Bildung ist aber aus radikalliberaler Sicht im grossen Rahmen der Kultur (zu der sowohl die Familie als auch die wirtschaftliche Unternehmung und – mit Einschränkungen – auch die überschaubare politische Gemeinschaft gehört), letztlich besser aufgehoben als beim zentralistischen Staatsmonopol. Auch in der Bildungspolitik ist man daran, jene Erfahrung zu machen, die den Kern der radikalliberalen kulturpolitischen Skepsis bildet: der hohe und für die Zukunft entscheidende soziale, kulturelle und wirtschaftliche Stellenwert des Bildungswesens kann durch staatliche Gratis- und Billigangebote auf die Dauer nicht gehalten oder gar angehoben werden. Man kann auch in der Bildung vieles «kaputtfördern». Wer meint, der Königsweg der Bildungsförderung bestehe hauptsächlich in der Erhöhung der zentralstaatlichen Subventionierung des Gratisangebots von Bildungsinstitutionen, sollte sich weltweit unter erfolgreicheren Modellen umsehen.
Die radikalliberalen Kritiker einer staatlichen Kulturträgerschaft werden mindestens von drei Seiten angegriffen: einmal von den Funktionären aller mit Staatsmitteln fördernden und geförderten Kulturinstitutionen, dann von jenen, die ihre eigenen Kulturprodukte staatlich gefördert haben wollen und letztlich von jenem Publikum, das von subventionierten Preisen profitiert. Immerhin hat man als Skeptiker all jene auf seiner Seite, die sich ohne staatliche Förderungen durchsetzen mussten, diesbezüglich also nicht verwöhnt wurden und die auch in Zukunft nicht darauf spekulieren. Das ist vielleicht nicht die Mehrheit, aber es sind nicht die Schlechtesten; in vielen Fällen sind es sogar die entscheidenden Kulturträger.
Robert Nef
ist Publizist und Autor, Mitglied der Mont Pèlerin Society sowie der Friedrich August von Hayek-Gesellschaft. Nef war von 1991 bis 2008 Redaktor und Mitherausgeber der «Schweizer Monatshefte». Er lebt als freier Publizist in St. Gallen.