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Ludwig von Mises: Die Gründe für die Massenarbeitslosigkeit

Lesedauer: 10 Minuten

(Eigentümlich frei Nr. 51, Seite 32-35)

Ein fiktives Interview mit dem großen Freiheitsdenker

Die Massenarbeitslosigkeit ist eines der größten Probleme der heutigen Zeit. Bereits 1940 hat Ludwig von Mises in seinem Hauptwerk „Nationalökonomie“ die gängigen Fragen zu diesem Problem beantwortet. Dieses vor gut 20 Jahren in einer Neuauflage wieder zugänglich gemachte Buch ist im deutschsprachigen Raum praktisch unbekannt geblieben, obwohl die englische Fassung mit dem Titel „Human Action“ in den USA ein außerordentlich erfolgreiches Standardwerk ist. Angesichts des offensichtlichen Scheiterns wohlfahrtsökonomischer und keynesianischer Modellkonstruktionen wäre es Zeit für eine Renaissance der Theorien der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, zu deren führenden Vertretern Ludwig von Mises zu zählen ist. Alle Antworten des folgenden fiktiven Interviews mit von Mises sind wörtlich dem oben genannten Werk entnommen. Die jeweils genauen Seitenzahlen aller Zitate sind auf der unten genannten Internetseite zu finden.

ef: Wir stehen heute in Deutschland, in Europa, aber auch weltweit, vor dem Problem der Massenarbeitslosigkeit. Welchen Stellenwert hat dieses Problem für einen liberalen Nationalökonomen?

von Mises: Die Dauer- und Massenarbeitslosigkeit ist zum Schicksalsproblem der modernen Kultur geworden. Sie zerbricht das Werk, das der Liberalismus aufgerichtet hat. Dass Millionen dauernd aus dem Erzeugungsprozess ausgeschaltet bleiben sollen, ist ein Zustand, der nicht lange ertragen werden kann. Der einzelne Arbeitslose will arbeiten. Er will erwerben, weil er die Vorteile, die der Lohn ihm bringt, höher schätzt als den für den Mittellosen recht problematischen Wert dauernder Muße. Dass er keine Arbeit finden kann, treibt ihn zur Verzweiflung. Aus den Arbeitslosen formen die Abenteurer, die die Diktatur anstreben, ihre Sturmtruppen.

ef: Was sind denn aus Ihrer Sicht die Gründe für die Arbeitslosigkeit?

von Mises: Wenn ein Arbeitsuchender für die Art von Arbeit, die er vorzieht, keinen Abnehmer findet, muss er sich um Arbeit anderer Art umsehen. Wenn ein Arbeitsuchender nicht den Lohn erhalten kann, den er gerne haben wollte, dann muss er seine Ansprüche herabsetzen. Will er das nicht, so findet er keine Arbeit; er wird arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit ist die Folge des Umstandes, dass der Arbeiter warten kann und warten will. Ein Arbeiter, der nicht warten kann und nicht warten will, findet in der unbehinderten Marktwirtschaft immer Arbeit; es genügt, dass er seine Lohnforderung ermässigt oder Beruf und Arbeitsort wechselt.

ef: In politischen Diskussionen wird häufig behauptet, dass der Arbeitnehmer als Anbieter seiner Arbeitskraft dem Arbeitgeber als Unternehmer und Nachfrager auf einem ungeregelten Arbeitsmarkt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sei und dass es daher – besonders in einer Rezession – eine sozial motivierte Arbeitsmarktpolitik zugunsten der Arbeitnehmer als der „schwächeren Seite“ bedarf, um möglichen Missbräuchen entgegenzutreten.

von Mises: Die Unternehmer stehen den Verkäufern der Arbeitskraft nicht anders auf dem Markt gegenüber als den Verkäufern der sachlichen Produktionsmittel. Sie wollen und müssen die Produktionsmittel so billig als möglich erwerben. Jeder Unternehmer bietet für jede Arbeitsmenge, die er verwenden will, gerade soviel, als er bieten muss, um auf dem Arbeitsmarkte zum Zuge zu kommen. Er kann nicht weniger bieten, weil er dann vom Wettbewerb anderer Unternehmer geschlagen wird und keine Arbeiter findet. Er kann nicht mehr bieten, weil er dann das Produkt teurer erzeugen würde als seine Konkurrenten und es nur zu Verlustpreisen absetzen könnte. Die Marktpreise der Genussgüter legen die Löhne vollkommen fest. Die Löhne sind durch das Angebot an Arbeit und an sachlichen Produktionsmitteln und durch die Marktpreise der Genussgüter eindeutig bestimmt.

ef: Führt ein Überangebot an Arbeit nicht zur „monopolistischen Ausbeutung“ durch die Arbeitgeber?

von Mises: Für jene Auffassung von der monopolistischen Ausbeutung der Arbeiter durch die stillschweigende Verabredung der Unternehmer ist alle „Arbeit“ gleichartig; es gibt Angebot von „Arbeit“ und Nachfrage nach „Arbeit“, das heißt nach Arbeit schlechthin ohne Beachtung der verschiedenen Qualität der Arbeit. In Wahrheit gibt es aber etwas derartiges nicht. Angeboten wird immer Arbeit bestimmter Art, und ebenso richtet sich die Nachfrage nie auf „Arbeit“ schlechthin, sondern stets auf Arbeit bestimmter Art. Die Unternehmer stehen nicht nur im Allgemeinen einer Knappheit an Arbeit gegenüber, sondern im Besonderen einer Knappheit an Arbeit der von ihnen benötigten Qualität. Der Wettbewerb der Unternehmer um den gelernten Arbeiter, den Qualitätsarbeiter, den sie für ihre besonderen Ziele brauchen können, ist nicht minder heftig als ihr Wettbewerb um die geeigneten Rohstoffe, Halbfabrikate, Maschinen und Werkzeuge und als ihr Wettbewerb auf dem Kapital- und Geldmarkt. Die Ausdehnungsmöglichkeit der einzelnen Unternehmungen ist wie die der gesamten Produktion durch die Knappheit der Arbeit geradeso begrenzt wie durch die von ihr bewirkte Knappheit der produzierten Produktionsmittel.

Die Laien haben immer geglaubt, dass die Fortschritte der Technik Leute ums Brot bringen. Darum haben die alten Zünfte und Innungen jeden Neuerer zu Tode gehetzt.

ef: Das Lohnniveau wird also weder von den Arbeitgebern noch von den Arbeitnehmern einseitig festgelegt?

von Mises: Die Ausdrücke „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“ sind aus Anschauungen entstanden, die uns schon lange fremd geworden sind. Sie stellen den Sachverhalt schief dar. Der Unternehmer empfängt die Arbeitsleistung des Arbeiters und zahlt dafür einen Preis, den Lohn. Der Arbeiter verkauft dem Unternehmer die Leistung und wird für ihre Hingabe entlohnt. Die Arbeit ist Produktionsmittel, und der Arbeiter ist als Verkäufer dieses Produktionsmittels von der Gestaltung der Marktlage abhängig. Nicht die Ansprüche, die der Arbeiter erhebt, sondern die Bewertung seiner Leistung durch die Gesellschaft entscheidet über die Höhe der Löhne; sie allein kommt in den Lohnsätzen, die der Markt bildet, zum Ausdruck. In diesem Sinne ist die Arbeit eine Ware wie jede andere. Doch das ist nicht etwa eine Folge der Hartherzigkeit und Habsucht der Unternehmer, sondern eine Folge des Umstandes, dass die Verbraucher nur gewillt sind, Leistungen zu bezahlen, und nicht Ansprüche auf standesgemäßen, dem Herkommen und der übertriebenen Einschätzung der eigenen Person entsprechenden Lohn zu befriedigen.

ef: Sie nennen die Arbeit eine Ware wie jede andere. Ihrem Wesen nach ist Arbeit jedoch auch eine persönliche Dienstleistung zwischen den Menschen und bildet einen Bestandteil ihrer Würde und Freiheit. Ist eine solche Auffassung mit Ihrer Vorstellung von Arbeit vereinbar?

von Mises: Gerade darin, dass der Unternehmer unter dem Druck des Marktes die Arbeit als Ware behandelt und im Arbeiter nichts sieht als den Menschen, der ihm für Geld hilft, Geld zu verdienen, liegt die Freiheit des Arbeiters. Seine Leistung wird entlohnt, und er leistet, um Lohn zu empfangen. Gnade und Ungnade des Herrn haben für ihn keine Bedeutung. Er schuldet dem Arbeitgeber keinen Dank, er schuldet ihm eine Leistung. Darum bedarf der Unternehmer in der Marktwirtschaft keiner Strafgewalt über den Arbeiter. Alle nichtmarktwirtschaftlichen Arbeitssysteme müssen dem, der Arbeiter verwendet, die Möglichkeit bieten, den säumigen Arbeiter zu höherem Fleiße anzutreiben. Da Gefängnis den Arbeiter entweder ganz der Arbeit entzieht oder seine Leistung sehr stark herabsetzt, war das klassische Mittel, um unfreie oder halbfreie Arbeiter zur Arbeit anzuhalten, stets die körperliche Züchtigung. Mit dem Verdrängen der unfreien Arbeit ist die Peitsche als Antrieb zur Arbeit entbehrlich geworden. Das Prügeln war das Symbol der unfreien Arbeit. Das marktwirtschaftliche Denken empfindet es als dermaßen unmenschlich und entwürdigend, dass es die Züchtigung auch in der Erziehung, im Strafensystem der Gerichte und in der militärischen Disziplin beseitigt hat. Wer des Glaubens ist, dass es in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung möglich wäre, ohne Zwangsmaßnahmen gegen unfleißige Arbeiter auszukommen, weil doch jeder seinen Pflichten freiwillig nachkommen werde, gibt sich Täuschungen hin.

ef: In der Endphase des real existierenden Sozialismus hat man allerdings auf eine solche Disziplinierung immer mehr verzichtet, um die Akzeptanz des Systems nicht noch mehr zu verschlechtern. Dadurch sank die Produktivität bis unter den Nullpunkt. Das Gesamtsystem musste sich verschulden und ging schließlich bankrott. Ein System, in dem es offiziell keine Arbeitslosigkeit gab. Etwa so wie in der freien Marktwirtschaft, wo es nach Ihrer Auffassung auch keine Arbeitslosigkeit gibt, oder?

von Mises: Die Arbeitslosigkeit ist auf dem unbehinderten Markte immer freiwillig gewollt. Der Arbeitslose sieht in ihr das kleinere von zwei Übeln, zwischen denen er zu wählen hat. Die Marktlage mag den Lohn herabdrücken, doch es gibt auf dem unbehinderten Markte stets einen Lohnsatz, zu dem alle Arbeitswilligen Arbeit finden können. Die endlichen Löhne sind jene Lohnsätze, bei denen alle Arbeiter Beschäftigung und alle Unternehmer so viele Arbeiter, als sie beschäftigen wollen, finden.

ef: Sinkende Löhne sind also nichts anderes als die Kehrseite eines Systems, in welchem die Löhne bei guter Wirtschaftslage steigen. Der unbehinderte Markt entspricht aber nicht den heutigen Realitäten. Der Arbeitsmarkt wird durch gesetzliche Vorschriften und durch kollektive Vereinbarungen beeinflusst. Gelten in diesem Fall die von Ihnen dargestellten Zusammenhänge auch?

von Mises: Nein, von der marktmäßigen Arbeitslosigkeit ist die irreguläre Arbeitslosigkeit grundsätzlich verschieden. Sie entspringt nicht dem Entschluss des einzelnen Arbeiters. Sie ist die Folge einer Politik, die höhere Löhne als die, die der Markt bildet, durch Eingriff in das Getriebe des Marktes festzulegen sucht.

Ludwig Edler von Mises (1881-1973)

ef: Als Mittel gegen die Arbeitslosigkeit wird immer wieder die bessere Verteilung der vorhandenen Arbeit auf die Arbeitswilligen empfohlen, etwa indem die Wochenarbeitszeit und die Lebensarbeitszeit verkürzt werden.

von Mises: Da die Wochenlöhne dabei entweder überhaupt nicht oder nicht in entsprechendem Masse gesenkt oder selbst erhöht werden sollen, bedeutet das in der Regel weitere Lohnerhöhung und damit Mehrung der Arbeitslosigkeit.

ef: Und wie sieht es aus mit Arbeitsbeschaffungsprogrammen?

von Mises: Man empfiehlt öffentliche Arbeiten als Weg zur Arbeitsbeschaffung. Wenn jedoch die dafür benötigten Geldmittel durch Anleihen oder durch Steuern beschafft werden, dann wird an der Lage nichts geändert. Die für die Notstandsarbeiten verwendeten Beträge werden anderer Produktion entzogen, dem Zuwachs an Arbeitsgelegenheit entspricht eine Abnahme der Arbeitsgelegenheit in anderen Zweigen des Wirtschaftsgefüges.

ef: Die Arbeitslosigkeit wird heute oft als notwendige Begleiterscheinung der Marktwirtschaft und des Fortschritts angesehen. Ist es nicht so, dass der technische Fortschritt eben menschliche Arbeit durch Automatisierung ersetzt und damit Arbeitsplätze überflüssig macht?

von Mises: Die Laien haben immer geglaubt, dass die Fortschritte der Technik Leute ums Brot bringen. Darum haben die alten Zünfte und Innungen jeden Neuerer zu Tode gehetzt, darum haben die Maschinenstürmer Maschinen zerstört. Heute können die Gegner des technischen Fortschritts sich auf die Wohlmeinung von Männern berufen, die man als berufene Vertreter der Wissenschaft ansieht. Denn in Büchern und Artikeln ohne Zahl wird gesagt, dass die technologische Arbeitslosigkeit, im kapitalistischen System zumindest, unvermeidbar sei. Dass aber die wirklichen Ursachen der Dauer- und Massenarbeitslosigkeit in der Lohnpolitik der Gewerkschaften und in der Unterstützung, die diese Lohnpolitik durch die Regierungen findet, zu suchen sind, bleibt der öffentlichen Meinung unbekannt.

ef: Worin bestehen denn die Irrtümer der gewerkschaftlichen Lohntheorie und der gewerkschaftlichen Lohnpolitik, die offensichtlich so populär sind, dass sich die Erkenntnisse liberaler Ökonomen dagegen kaum durchsetzen?

von Mises: Man hat gemeint, dass die Arbeiter ihre Arbeit um jeden Preis verkaufen müssen, da der Lohn in der Regel ihr einziges Einkommen bildet und sie daher ohne Lohn verhungern müssten. Der Arbeiter sei daher gezwungen, jedes Angebot, das ihm gemacht wird, anzunehmen, wenn er kein günstigeres findet. Wenn die Unternehmer einheitlich vorgehen, können sie daher den Lohn beliebig herabdrücken. Die Bedingung, die den Unternehmern allein die Möglichkeit verschaffen könnte, auf dem Arbeitsmarkte jenen Lohndruck auszuüben, den ein großer Teil der öffentlichen Meinung im Auge hat, wäre die, dass sie über ein sachliches Produktionsmittel, das für jede Produktion unentbehrlich ist, monopolistisch verfügen und dafür Monopolpreise erzielen können. Da es ein für jede Produktion unentbehrliches sachliches Produktionsmittel nicht gibt, müssten sie in dieser Art über alle sachlichen Produktionsmittel verfügen. Diese Bedingung wäre nur in der sozialistischen Wirtschaftsordnung erfüllt, in der es weder Markt noch Marktpreise gibt.

ef: Die konsequent sozialistische Wirtschaftsordnung ist heute nicht mehr sehr glaubwürdig. Die Vorstellung eines „gerechten Ausgleichs“ zwischen Armen und Reichen durch Umverteilung mit staatlichen Interventionen ist aber nach wie vor als neosozialistische Variante populär.

von Mises: Wenn es nicht gelingt, die Macht, die die gewerkschaftliche Lohntheorie heute genießt, zu brechen und durch die Wiederherstellung der Freiheit der Lohnbildung die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, dann werden auch die westeuropäischen Industriestaaten und die Vereinigten Staaten von Amerika bald die politische und wirtschaftspolitische Verfassung radikal ändern. Wenn man den lohnpolitischen Interventionismus nicht aufgibt, muss man das Experiment des totalen Staates auf sich nehmen. Wenn man die Marktwirtschaft nicht von den Hemmungen des Interventionismus befreien will, muss man zum Sozialismus gelangen.

ef: Was halten Sie von garantierten Mindestlöhnen?

von Mises: Die Vorstellung, dass der Lohn mindestens so hoch sein müsse, dass er dem Arbeiter das „standesgemäße“ Auskommen sichere, erfüllt zweifellos die Arbeitnehmer. Jeder einzelne Arbeitnehmer hat dabei seine besondere Auffassung darüber, wozu Stand und Herkommen ihn berechtigen, wie er anderseits auch seine besondere Auffassung über seine Leistungsfähigkeit und seine Leistungen hat. Doch diese Ansprüche und Selbsteinschätzungen sind für die Lohngestaltung ohne Bedeutung. Sie begrenzen den Lohn weder nach oben noch nach unten. Der Arbeitnehmer muss sich manchmal mit viel weniger begnügen, als er für angemessen hält. Bietet man ihm mehr als er erwarten konnte, dann nimmt er es ohne Bedenken.

Wer sozial denkt, muss zum Urteil gelangen, dass der Interventionismus das, was er anstrebt, nicht erreichen kann, dass er vom Standpunkte derer, die ihn empfehlen, zweckwidrig ist.

ef: Es können nicht alle Leute einer Arbeit nachgehen. Gilt für diese einfach der zynische Satz „Wer nicht arbeitet, der braucht auch nicht zu essen“?

von Mises: Ja, es gibt auch Arbeitsunfähige. Es gibt solche, die überhaupt zu keiner Arbeitsleistung fähig sind, und solche, die zwar arbeiten können, deren Leistung jedoch so gering bewertet wird, dass sie nicht imstande wären, von dem Ertrag ihrer Arbeit das Leben zu fristen. Diese Personen können ihr Auskommen nur finden, wenn die Erwerbenden sich ihrer annehmen. Für die mittellosen Erwerbsunfähigen sorgen die Familienangehörigen, die Menschlichkeit und Mildherzigkeit von Wohltätern oder die öffentliche Armenpflege. Sie nehmen am gesellschaftlichen Produktionsprozess keinen Anteil; soweit die Beschaffung der für den Verbrauch benötigten Mittel in Betracht kommt, handeln sie nicht; sie leben, weil andere für sie sorgen.

ef: Sie befürworten also sozialpolitische Massnahmen? Wo liegen denn für Sie die Grenzen der Sozialpolitik?

von Mises: Man hat in der Armenpolitik Methoden befolgt, die Arbeitsunwilligkeit und Müßiggang von Arbeitsfähigen gefördert haben. Die sozialpolitische Gesetzgebung hat im Großen und Ganzen nichts anderes getan, als Wandlungen, die sich auf dem Arbeitsmarkte vollzogen hatten, nachträglich die gesetzliche Weihe zu verleihen. Wo sie der industriellen Entwicklung vorauseilte, wurde der Vorsprung durch den schnellen Fortschritt der Reichtumszunahme bald wieder aufgeholt. Wo aber die Arbeiterschutzgesetze Verfügungen trafen, die nicht einfach eine Bestätigung eingetretener Wandlungen oder die Vorwegnahme von Wandlungen, die sich vorbereiteten, darstellten, blieb es fraglich, ob sie für die betroffenen Arbeiter mehr eine Wohltat oder eine Last bedeuteten. Die Sozialversicherungsgesetze haben dem Arbeitnehmer bestimmte Zuwendungen gebracht. Doch die Aufbringung der Mittel, aus denen diese Zuwendungen bestritten wurden, belasten, sofern sie durch eine allgemeine Steuer beschafft werden, immer die Arbeitnehmer. Eine Belastung durch Sozialversicherungsbeiträge, Steuern oder anderer Art des Arbeitslohns wird vom Arbeitgeber als Erhöhung des Preises, den er für die Arbeit zu zahlen hat, angesehen und muss daher schliesslich durch eine entsprechende Senkung des dem Arbeiter zukommenden Barlohnes ausgeglichen werden. So betrachtet stellt sich die Sozialversicherung nicht als eine gegen den Arbeitgeber gerichtete Zwangsmaßnahme dar, sondern als eine dem Arbeitnehmer auferlegte Beschränkung der Verwendung seines Arbeitsertrages.

ef: Interventionismus, das Gegenstück zur Deregulierung, wird heute von linker Seite gefordert und von bürgerlichen Politikern als „kleineres Übel“ aus sozialen Motiven oder aus wahltaktischen Überlegungen befürwortet. Man möchte zwar nicht zentral lenken und befehlen, aber mit allerlei „helfenden“ punktuellen Eingriffen die Probleme lösen. Dienen solche Eingriffe – und das ist auch schon unsere letzte Frage – wirklich den behaupteten sozialen Zwecken?

von Mises: Wenn man die Betrachtung auf die unmittelbaren Wirkungen einzelner Eingriffe beschränkt, vermag man weder ihre weiteren mittelbaren Wirkungen noch die Folgen der interventionistischen Politik als Ganzes zu erkennen. Doch wer sozial denkt, das heißt die Dinge mit dem Blick auf das gesellschaftliche Gefüge und auf die Ziele, die die Menschen ihrem Handeln setzen, betrachtet, muss zum Urteil gelangen, dass der Interventionismus das, was er anstrebt, nicht erreichen kann, dass er vom Standpunkte derer, die ihn empfehlen, zweckwidrig ist.

Robert Nef:
Jg. 1942, Leiter des Liberalen Instituts und Mitherausgeber der Schweizer Monatshefte, Zürich.

Internet:
Auf www.libinst.ch findet sich eine etwas längere Version dieses Artikels mit allen Belegstellen.

Literatur:
Ludwig von Mises: Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens, Genf 1940, Nachdruck München 1980, erhältlich über Capitalista.

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