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Liberalismus als Anti-Etatismus

Lesedauer: 3 Minuten

(St.Galler Tagblatt, Samstag, 13. März 2004, Seite 2)

Das Liberale Institut besteht seit genau 25 Jahren, und noch nie war die Nachfrage nach einer Definition dessen, was denn eigentlich «liberal» sei, in der Schweiz grösser als in den letzten Monaten und Tagen, wo der Freisinn um sein liberales Profil ringt. Die FDP kann nur überleben, wenn sie den Liberalismus ins Zentrum stellt. Als «softere» Variante des «Soft-Sozialismus» hat sie keine Chancen.

Als Liberaler bin ich überzeugt, dass mündige Menschen grundsätzlich in der Lage sind, ihre Probleme eigenständig zu lösen, und dass Eingriffe in die Privatautonomie nur dann zulässig sind, wenn deren Notwendigkeit (im ursprünglichen und engsten Sinn) nachgewiesen ist. Dass es auch Liberale gibt, welche zahlreiche so genannt freiheitsschaffende und -fördernde Aktivitäten des Staates befürworten und dafür mehr oder weniger gute Argumente vorbringen, erlebe ich jeden Tag. Wer als Arbeitnehmer oder auch als Unternehmer in Bereichen aktiv ist, deren Existenz oder Auftragsvolumen durch staatliche oder gemischtwirtschaftliche Strukturen getragen oder begünstigt werden, hat legitime – wenn auch nicht liberale – Gründe für «mehr Staat», und eine liberale Partei tut gut daran, die Frage «wie viel Staat?» auch zu einer graduellen und nicht nur zu einer prinzipiellen Frage zu machen. Für mich persönlich ist die Frage prinzipieller Art. Der «Liberalismusgehalt» einer Gesellschaft hängt direkt mit dem Verstaatlichungsgrad zusammen, und bei der jetzigen Staatsquote sind wir zu fast 50 Prozent verstaatlicht, Tendenz zunehmend. Die Suche nach mehr Profil, mit dem man bisherige Wähler bei der Stange halten und neue Wähler mobilisieren kann, ist in allen Parteien aktueller denn je. Sie steht im Konflikt mit der Einsicht, dass angesichts der ziemlich heterogenen Kantonalparteien in der Partei- zentrale Integrationsfiguren gefragt sind. Im politischen Tagesgeschäft zählt der Konsens und die Bereitschaft zum Kompromiss mehr als der Wettbewerb der Ideen. Das Dilemma ist nicht neu. In einem Arbeitspapier, das ich seinerzeit als jüngstes Mitglied der FDP-Programmkommission («Kommission Schatz» genannt) Anfang der Siebzigerjahre verfasste, steht neben der Empfehlung, man möge sich daran erinnern, dass zahlreiche Bürgerinnen und Bürger heute «weniger Staat» wünschen, auch der Satz, dass man mit Konzessionen nach links zwar kurzfristig Stimmen gewinnen, aber mittel- und langfristig den Nachwuchs verlieren werde. Es grassierte nämlich damals, vor allem bei den beauftragten Trendforschern, die Vorstellung, dass sich die Gesellschaft auf einem langsamen, aber kontinuierlichen Fortschritt Richtung «links» und damit Richtung «mehr Staat» befinde, und dass die FDP für die «junge Generation» nur aufgrund von Konzessionen an die «fortschrittlichen» 68er wählbar sei. In derselben Zeit publizierte die NZZ eine Festschrift mit dem Titel «Liberalismus – nach wie vor», der schon fast wie ein hochgemut-pessimistischer Nachruf auf eine untergehende Epoche tönte. Die historische Entwicklung war dann eine andere, aber das «neue Establishment» war auf die sich 1989 ziemlich plötzlich manifestierende grosse Pleite des Staatssozialismus in keiner Weise vorbereitet und reagierte europaweit mit strukturkonservativen Reflexen und mit einem parteiübergreifenden Festhalten am wohlfahrtsstaatlichen «Sozialismus light».

Der Begriff «liberal» soll als Parteibezeichnung erstmals in Spanien aufgetaucht sein. «Los Liberales», die gegen die damals vorherrschende Koalition von Staat und Kirche antraten, standen als Minderheit den «Serviles» gegenüber, welche sich in den Dienst dieser Machtstrukturen stellten. «Los liberales» werden weltweit gegenüber den «serviles» immer zunächst eine Minderheit sein, aber eben jene Minderheit, welche als Vorhut den Weg in Richtung «mehr Freiheit» weist. Jene Partei, welche diese Gruppe für sich mobilisieren und begeistern kann, ist die liberale Partei der Zukunft. Das praktische Problem ist nur, dass sich ausgerechnet solche Persönlichkeiten nur sehr schwer für die traditionelle Parteiarbeit gewinnen lassen. Die Bemerkung, dass für eine Partei ein engagierter Nachwuchs wichtiger sei als ein temporärer Gewinn von Wähleranteilen, ist mindestens so aktuell wie vor 30 Jahren. Diesen Nachwuchs gewinnt man nicht mit Konzessionen gegenüber den Modetrends, sondern mit einem klaren Profil, das auch Unpopuläres aufs Tapet bringt, beispielsweise den geordneten Rückzug aus wohlfahrtsstaatlichen Fehlstrukturen, in denen der Staat zur grossen Fiktion wird, nach der jedermann auf Kosten des andern leben will, insbesondere auf Kosten kommender Generationen.

Der «Liberalismusgehalt» einer Gesellschaft hängt direkt mit dem Verstaatlichungsgrad zusammen. Wir sind zu fast 50 Prozent verstaatlicht.

Liberales Institut, Schweiz

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