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Perspektiven liberaler Politik

Lesedauer: 3 Minuten

(NZZ – INLAND – Freitag, 5. März 2004, Seite 16)

Pessimismus, Perfektionismus und Privatismus als Fallen

Von Robert Nef, Leiter des Liberalen Instituts

Die Proklamation von «weniger Staat» allein schafft die liberale Wende nicht. Der Autor des folgenden Beitrags befasst sich als Leiter des Liberalen Instituts, das am 18. März sein 25-jähriges Bestehen feiert, von Berufes wegen mit Fragen des Liberalismus. Er setzt auf eine Strategie des geordneten Rückzugs aus staatlichen Fehlstrukturen und warnt vor den Fallen des Pessimismus, Perfektionismus und Privatismus.

Es gibt heute eine Reihe von politischen Problemen, die mit grosser Wahrscheinlichkeit durch eine Strategie des Ausbesserns und Flickens nicht mehr lösbar sind. Im Zentrum steht dabei die kollektive Altersversorgung, welche aufgrund der demographischen Entwicklung neue Lösungen notwendig macht und ein langfristiges radikales Sanierungsprogramm erfordert. Anstelle einer Lösung, bei der mit stark umverteilenden Mechanismen grundsätzlich alle an alle zahlen, sollte nach dem Muster der «Ergänzungsleistungen» ein kollektives Auffangnetz für die 10 bis höchstens 20 Prozent wirklich Bedürftigen geschaffen werden. Für das Gros der Bevölkerung ist die staatliche Bevormundung bei der finanziellen Lebensplanung längerfristig schrittweise aufzuheben, ohne dass dadurch Eigentums- und Vertragsansprüche verletzt werden. – Die gesamte steuerfinanzierte Infrastruktur, insbesondere im Bereich der Erziehung, der Gesundheit und der Kommunikation ist schrittweise in die Benutzerfinanzierung überzuführen, wobei es durchaus möglich ist, dass öffentliche Betriebe als Anbieter mit Privaten konkurrieren.

Finanzierung durch die Benutzer

«Benutzerfinanzierung» ist das präzisere und tauglichere Programm als «Privatisierung», obwohl die beiden Programme natürlich zusammenhängen und optimal kombinierbar sind. Wer als Benutzer/Bürger lebenswichtige Dienstleistungen nicht selbst finanzieren bzw. nicht selbst versichern kann, ist – gegen Bedürftigkeitsnachweis – durch staatliche Subjekthilfe zu unterstützen. Diese sollte möglichst auf lokaler Ebene organisiert sein. In einer Dienstleistungsgesellschaft entsteht im Bildungswesen, im Gesundheitswesen sowie im Bereich der Erholung, der Kultur und der Unterhaltung eine unabsehbare Fülle von neuen und individuell unterschiedlichen Bedürfnissen und Nachfragen, welche weit über das hinausgehen, was der traditionelle «Service public» bereitstellen und finanzieren kann.

Die sogenannte «Kostenexplosion» in diesen Bereichen signalisiert eigentlich nur, dass es sich sowohl ökonomisch als auch politisch rächt, wenn man in entscheidenden Bereichen des Lebens den Preismechanismus ausschaltet und eine Art von ineffizienter Planwirtschaft betreibt, welche einerseits Fehl- und Überangebote produziert und anderseits Dienstleistungen und Güter rationieren und plafonieren muss, die aufgrund der Nachfrage eigentlich zu Wachstumsbranchen werden könnten und sollten.

Strategie des geordneten Rückzugs

Eine solche langfristige Perspektive des geordneten Rückzugs aus steuerfinanzierten staatlichen Fehlstrukturen und einer schrittweisen, sozial abgefederten Entlassung in den Markt lässt sich mit dem – nach wie vor zutreffenden, aber zu wenig aussagekräftigen – Slogan «Weniger Staat» nicht bewältigen. Es müssen auch taugliche Alternativen zur staatlichen Trägerschaft entwickelt werden. Der Hinweis auf das «Laissez faire» allein genügt nicht. Es muss auch die Frage beantwortet werden, wer und was denn in welcher Weise und innert welcher Frist an die Stelle des Staates treten soll. Mit andern Worten: Wie verwandelt man den «Service public» in einen «Service au public», das heisst in einen Dienst an der Kundschaft, ohne dass dabei unerträgliche soziale Spannungen entstehen und ohne dass in der Folge ein Bevölkerungssegment aus finanziellen Gründen in unzumutbarer Weise unterversorgt bleibt. Für die Strategie des geordneten Rückzugs, die man etwas optimistischer auch als «Aufbruch in die richtige Richtung» oder – etwas polemischer – als «Entziehungskur» deuten kann, gibt es kein Patentrezept. Tatsache bleibt, dass ein Systemwechsel, bei dem auf die Eigentumsrechte der heute Lebenden und ihre im Vertrauen auf den Wohlfahrtsstaat getätigte finanzielle Lebensplanung Rücksicht genommen wird, etwa 20 Jahre dauern dürfte. Liberale Politik braucht langfristige Perspektiven und Programme und darf sich nicht auf das heute und morgen Medienwirksame und tagespolitisch Populäre ausrichten.

Fallen vermeiden

Tatsächlich hängt der Erfolg einer liberalen Politik davon ab, ob es gelingt, drei «Fallen» zu vermeiden, die alle mit dem Buchstaben P beginnen: Pessimismus, Perfektionismus und Privatismus. Der Pessimismus verleitet zur Vorschusskapitulation und zur Resignation, zwei Reaktionsweisen, die jedes politische Engagement im Keim ersticken. Pessimisten überlassen die politische Bühne jenen Gegnern, die – aus welchen Gründen auch immer – optimistischere Programme propagieren. Der Perfektionismus bindet alle Energien, die man für Sinnvolleres brauchen würde. Er lähmt die unternehmerische Initiative vor allem dann, wenn er sich am Prinzip der Gleichheit und der Gerechtigkeit profiliert. Das erste Ziel ist aus liberaler Sicht gar nicht erwünscht, das zweite bleibt – in Perfektion – stets utopisch und ist seinem Wesen nach in einer pluralistischen Gesellschaft ohnehin nie konsensfähig. Der Privatismus beruht auf einem individuellen Rückzug ins Private (nach dem Motto: Ich kümmere mich nur um meine Probleme). Dies ist eine aus liberaler Sicht zulässige Option. Wenn der Privatismus aber zur allgemeinen Maxime wird, verschwindet jener bürgerliche Gemeinsinn, den es zur freiwilligen Übernahme sozialer und kultureller Aufgaben braucht und ohne den jeder Rückzug aus der staatlich finanzierten Infrastruktur – mindestens temporär – eine Wüste der Unterversorgung entstehen liesse.

NZZ 5. März 2004, Seite 16

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