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Schweiz: Der Wahlgewinner Christoph Blocher

Lesedauer: 4 Minuten

(Eigentümlich frei Nr. 39, Seite 37-38)

Aus radikalliberaler, eidgenössischer Sicht

Die Schweizerische Volkspartei, die Partei des erfolgreichen Schweizer Unternehmers Christoph Blocher, hat bei den Parlamentswahlen am 19. Oktober erneut hinzugewonnen. Sie ist mit 27 Prozent Wähleranteil in der Schweiz zur stärksten politischen Kraft geworden. Die Parlamentswahlen haben Kräfteverschiebungen in der Größenordnung von 3 bis 4 Prozenten bewirkt – was in der parteipolitisch stabilen Schweiz schon als „Rutsch“ bezeichnet wird.

Das Wahlresultat ist allerdings im Ausland zu Unrecht als ein Rechtsrutsch interpretiert worden. Die zwei traditionellen Mitte-Parteien, die Freisinnig-demokratische Partei (FDP mit 17 Prozent) und die Christlich-demokratische Volkspartei (CVP mit 14 Prozent) haben beide Wähler verloren, die allerdings zu fast gleichen Teilen nach rechts und nach links abwanderten. Nicht nur Blochers SVP, auch die Grünen (mit 7 Prozent) und die Sozialdemokraten (mit 23 Prozent) haben auf Kosten einer unprofilierten, in entscheidenden Fragen lavierenden Mitte eine neue Wählerschaft gewonnen.

Die Parteien sind in der Schweiz als Organisationen wenig zentralisiert und wenig professionalisiert. Und sie erhalten keine staatlichen Mittel. Sie basieren auf relativ autonomen Orts- und Kantonalparteien mit zum Teil heterogenen Mitgliederstrukturen und unterschiedlichen politischen Ausrichtungen. Überall gibt es Flügelkämpfe zwischen Fundamentalisten und Pragmatikern, wobei letztere in allen Parteien den Ton angeben. Das politische Klima ist jedem Extremismus abhold und starke Persönlichkeiten werden von den Medien und von der Bevölkerung – aus guten Gründen – misstrauisch beobachtet. Ein viersprachiges Land ist für populistische und nationalistische Experimente denkbar ungeeignet. Die in der Auslandspresse geäußerten Warnungen vor einem eidgenössischen Le Pen oder Haider stammen von Journalisten, welche mit den Verhältnissen in der Schweiz schlecht vertraut sind und Blocher nur aus den Zerrbildern der schweizerischen Mitte-links-Medien kennen.

Er gehört eben nicht zu jenen nationalistischen Populisten, die sich als Retter der Frustrierten, der Globalisierungs- und Modernisierungsverlierer anbieten und eine protektionistische Umleitung der Umverteilungsströme zugunsten der eigenen Wählerschaft versprechen. Er steht fest auf dem Boden der eidgenössischen Demokratie. Und seine Ziele sind antietatistisch, antiinterventionistisch und global freihändlerisch.

Die SVP lehnt einen EU-Beitritt ab und tritt ein für eine weltoffene und selbstbewusste Schweiz, die sich dort einsetzt, wo ihre Qualitäten gebraucht werden. Gleichzeitig kämpft die SVP für mehr Sicherheit vor Kriminalität sowie gegen den Asylrechtsmissbrauch. Gegen die hohen Steuern stimmt die SVP im Parlament konsequent für Steuersenkungen und gegen die Aufblähung des Staatshaushaltes.

In der französischsprachigen Schweiz hat die SVP auch mit ihrem Programm und nicht nur mit dem patriotischen Blocher-Charisma neue Wähler hinzugewonnen. Dieses Programm deckt sich weitgehend mit dem nonzentralistischen, antietatistischen, radikalen „Weniger-Wohlfahrtsstaat-Liberalismus“, den ich persönlich vertrete. Ich teile auch Blochers Analyse, dass die Schweiz vor entscheidenden Herausforderungen steht. Die Pleite des Wohlfahrtsstaats ereilt wohl andere Länder Europas noch vor der Schweiz. Also haben wir Gelegenheit, Christoph Blocher als Zielscheibe neosozialistischer Verleumdung und links- bzw. „anti-“faschistischer Tätlichkeiten bei anderen abzugucken, wie man das halbwegs friedlich hinter sich bringt. Der dramatisch schrumpfende Anteil junger Menschen, auf deren Schultern die ganze Last des verschuldeten Umverteilungssystems ruht, wird nicht mehr lange passiv zuschauen, wie sich graue Schafe und graue Panther um den tendenziell kleiner werdenden Staats- und Rentenkuchen streiten. Es ist kein Zufall, dass die SVP auch junge Wählerschichten anspricht.

Und doch halten sich die radikalliberalen Hoffnungen, die ich mit dem politisch folgerichtigen Einzug Blochers in die siebenköpfige Regierung der Schweiz verbinde, in Grenzen. Ich befürchte, dass die Reformfähigkeit, bzw. die Bereitschaft, sich aus Sackgassen und Fehlentwicklungen geordnet, aber unverzüglich zurückzuziehen, auch mit Blocher als Regierungsmitglied nicht wesentlich gesteigert würde. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass das politische Schicksal der Schweiz nur zu einem kleinen Teil von der Regierungsspitze abhängt, und zur Hauptsache von einem Heer von Staatsangestellten bestimmt wird, die in komplexer Weise über mehrere Stufen miteinander vernetzt sind. Die Vorstellung vom „starken Mann“, der innerhalb einer Konkordanzregierung das Steuer herumreißt und die anderen mitzieht, hat mit der Realität unseres einzigartigen politischen Systems wenig zu tun. Das höchste gesetzgebende und auch bei Staatsverträgen letztentscheidende Staatsorgan ist das Volk (bei Verfassungsfragen Volk und Kantone). Und was ist das anderes, als eine permanente allumfassende große Koalition der vorhandenen politischen Strömungen?

Die direktdemokratischen Volksrechte bedingen eine mehrheitsbestimmte „Volks-Konkordanz“ im höchsten Staatsorgan, dem Volk. Die Regierung kann und darf das Land als Exekutive nur in dem Sinn führen, als sie die oft widersprüchlichen Entscheidungen, in denen sich Mehrheiten und Minder- heiten in Volksabstimmungen fallweise ergeben, bestmöglich umsetzt – und zwar nach Massgabe von Verfassung und Gesetz und ohne Berücksichtigung persönlicher und parteipolitischer Programme. Eine grundsätzlich auf eine Legislaturperiode gewählte, programmorientierte Regierung „mit starker Hand“ ist im schweizerischen System nicht vorgesehen. Das hat aus liberaler Sicht Vor- und Nachteile, die man aber nicht à la carte verändern kann.

Zugegeben, die hier skizzierte Auffassung von einer zurückhaltenden, an das Recht und an Volksentscheide gebundenen Staatsführung „im Auf- trag des Volkes“ wird heute weder von der Regierung noch von den Medien geteilt. Regieren heißt aus der leider vorherrschenden obrigkeitsstaatlichen und massendemokratischen Sicht, „dem Volk beibringen, was es zu wollen hat.“ Die radikalliberale Auffassung der Beschränkung des Regierungsauftrags auf den Schutz von Freiheit und Unabhängigkeit und auf die Entgiftung und den schrittweisen Abbau staatlicher Macht, findet man heute nur noch bei kleinen Minderheiten, die auch bei der SVP nicht generell tonangebend sind.

Könnten sich also unter diesen Voraussetzungen Blocher und ein weiteres SVP-Regierungsmitglied gegen fünf nicht besonders wohlwollende Kolle- ginnen und Kollegen durchsetzen? Ich fürchte, nein.

Aus liberaler Sicht habe ich deshalb eine Vorliebe für ein Szenario mit Blocher in der Opposition, bei welchem das demokratische Urbild der „Regierung durch das Volk“ wieder besser zum Ausdruck käme. Dann wären Regierung, Verwaltung und Parlament permanent scharf beobachtet und im Kreuzfeuer antietatistischer Kritik. Dies hätte aus meiner macht- und regierungsskeptischen Sicht mehr Vor- als Nachteile. Dafür würden Ad-hoc-Mehrheiten bei Volksentscheiden aufgewertet.

Liberale Positionen stärkt das allerdings nicht automatisch und auch nicht in jedem Fall. Mehrheiten optieren oft für mehr Sicherheit zu Lasten der Freiheit. „Regierung durch das Volk“ ist nur dann freiheitsfördernd, wenn eine weitgehende Identität von Kostenträgern und Nutznießern gewährleistet ist und konkurrierende kleinere, nonzentrale Einheiten auch die „Abstimmung mit den Füßen“ ermöglichen.

Der erfolgreiche Unternehmer Blocher ist mit seinen antibürokratischen Reformideen eher dem Neuseeländer Roger Douglas verwandt, als den
nationalkonservativen, protektionistischen Populisten Europas, die zwar (für ihre Klientel in der unteren Mittelklasse) „einen anderen Staat“, aber nicht „weniger Staat“ fordern. Blochers politisches Vorbild ist Winston Churchill – und man kann ihn als Typus, transponiert auf kleinstaatliche Verhältnisse, eher mit Margaret Thatcher bzw. mit Ronald Reagan vergleichen.

Da das politische System der Schweiz für eine starke Persönlichkeit in der Regierung wenig Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten offeriert, meine ich, er könnte als markanter Herausforderer für einen radikalen Liberalismus mit dem direktdemokratischen Instrumentarium des Volksvetos in Referenden mehr bewirken, als wenn er im Kollegium der Regierung sitzt und – wenigstens zum Teil– neutralisiert wird.

Ich lasse mich aber gern überraschen, wenn er trotzdem in die Regierung gewählt wird. Blocher bietet jedenfalls für die Schweiz – ob in der Regierung oder in der Opposition – aus radikalliberaler Sicht mehr Chancen als Gefahren.

Robert Nef:
Jg. 1942, Leiter des Liberalen Instituts und Mitherausgeber der Schweizer Monatshefte, Zürich.

Literatur:
Christoph Blocher: NZZ = FAZ, SVP = Möllemann-Partei, FDP wie immer, eifrei 33.
Fredy Gsteiger: Blocher, Opinio 2002 (siehe Seite 48).

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