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Angst ist kein Programm

Lesedauer: 2 Minuten


(Schweizer Monatshefte – Heft 3, 2003 – Seite 1)

EDITORIAL

Die Angst vor Gefahren ist ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Erfahrung. Wer keine Angst kennt oder seine Angst verdrängt, verzichtet auf ein oft lebenswichtiges Warnsystem. Die ganze menschliche Zivilisation kann als eine Strategie gegen die Angst gedeutet werden. Der hoch komplexe Apparat der Zivilisation, der als ein Schutzsystem gegen Ängste aller Art funktionieren sollte, wird aber selbst wieder zur Bedrohung, wenn er nicht mehr überblickbar und durchschaubar ist. Wer sich nicht der destruktiven Seite der Angst ausliefern will, muss lernen, mit Ängsten zu leben und positiv mit ihnen umzugehen. Angst weckt und lähmt zugleich. Das Geheimnis des kreativen Umgangs mit Ängsten besteht möglicherweise darin, das Weckende zu fordern und das Lähmende zu überwinden. Das richtige Abwägen von Chancen und Risiken ist die Kernfunktion des Unternehmertums. Die technische Zivilisation kombiniert eine Vielzahl von Chancen mit einer ebenso grossen Vielzahl von Risiken und verlangt dabei von allen Menschen bei ihren individuellen und kollektiven Entscheidungen ein unternehmerisches Verhalten. Dies erzeugt zusätzliche Ängste, unter anderem die Angst vor der Entscheidung, die Angst vor der Freiheit, die Angst vor der Zukunft und die Angst vor der Mündigkeit. Im politischen Umfeld manifestieren sich solche Emotionen als Xenophobie, als Technikphobie, als Terrorismusangst und als generelle Zukunftsangst, ein Nährboden für linke und rechte Interventionismen und Populismen aller Art. Der Regulierungsapparat des Staates wird als allmächtiger Schutzengel angerufen, welcher einen sichern Ausstieg aus allen angsteinflössenden Entwicklungen bewerkstelligen soll. Das Gegenmodell ist eine Ziviigesellschaft von Lebensunternehmern mit dem Mut zum Risiko, dem Ja zur Veränderung und zur Entwicklung sowie mit dem Nein zur lähmenden Angst. Die Forderung nach einem Ausstieg und nach Moratorien bewirkt einen Aufschub notwendiger Entscheidungen und Problemlösungen. Sie ist eine Kapitulation vor den Herausforderungen der Gegenwart, ein Abschieben der Verantwortung aufkommende Generationen, d.h. das Gegenteil unternehmerischen Verhaltens.

Das Bild vom mündigen Mitglied der Zivilgesellschaft ist keineswegs neu. Schon in der Renaissance findet sich bei Pico della Mirandola jener Aufruf Gottes an die Menschen, welcher auch als unternehmerisches Gegenprogramm zur Urangst gedeutet werden kann: «Ich habe dich als Wesen erschaffen, weder der Erde noch des Himmels, damit du dein eigener Schöpfer sein und die Gestalt, die du für dich selbst aussuchst, annehmen kannst.»

ROBERT NEF

Schweizer Monatshefte – Heft 3, 2003 – Seite 1

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