Ob Schillers «Ode an die Freude» tatsächlich in einer Urfassung eine «Ode an die Freiheit» war, ist eine unbewiesene Vermutung. Tatsache ist, wenigstens laut Internet, dass Leonard Bernstein in der Berliner Aufführung von Beethovens 9. Symphonie 1989 «Freiheit, schöner Götterfunken» singen liess, sicher mit guten Gründen.
Über den subtilen Zusammenhang von Freiheit und Schönheit, gäbe es in Anknüpfung an Schiller viel zu reflektieren. Ästhetik, verstanden als «sinnliche Wahrnehmung» bildete bei Schiller die Verbindung von Theorie und Praxis, ein Thema, das jeden Think Tank beschäftigen sollte. Nach dem 20.Jahrhundert, das den Mut zur Darstellung aller Hässlichkeiten des Lebens als Befreiung der Kunst von allen Zwängen zelebriert hat, gehört es vielleicht zu den Aufgaben des 21. Jahrhunderts, den Zusammenhang des Wahren, Schönen und Guten, wenigstens als Ideal neu zu entdecken und in einer, der heutigen Zeit angepassten Form, darzustellen. Das wäre kein Zurück, sondern ein Aufbruch und ein Ausbruch aus kollektiven Zwangsvorstellungen und Schuldkomplexen.
Der Götterfunken erinnert mich zunächst an das erste Logo, das wir seinerzeit, wider den Zeitgeist, für das Liberale Institut benützten: eine Flamme. Ich deutete sie jeweils als die «Fackel des Prometheus» oder als die Fackel der Freiheitsstatue in New York. Wir haben aber dann bei einer Renovation des Erscheinungsbildes nach 10 Jahren in bestem Einvernehmen, auf die Flamme im Logo verzichtet, weil sie bei vielen von uns falsche sektiererische Assoziationen weckte und auch meinem Bedürfnis nach Sachlichkeit, Nüchternheit und Selbstbescheidung widersprach.
Die Ermahnung Talleyrands «Surtout pas trop de zèle», ist eine meiner Maximen, die ich allerdings gelegentlich selbst missachte, wenn mir mein anti-etatistisches Temperament durchbrennt und ich gegen den Wohlfahrtsstaat oder den Sozialismus loswettere.
Doch heute gilt: «O Freunde, nicht diese Töne, sondern lasset uns angenehmere anstimmen, und freudenvollere…»
Ich möchte heute in Anspielung auf die Drei Eidgenossen auf dem Rütli drei Gedankenketten loswerden und zur Diskussion stellen.
Die erste betrifft, und wen überrascht das, den Liberalismus, den Gegenstand meines Haderns mit Begriffen, Verständnissen und Missverständnissen, das ein Leitmotiv meiner Publikationen ist.
Es geht also um die Spielarten des Liberalismus, denen ich im Lauf der letzten 25 Jahre begegnet bin.
Ich hüte mich jetzt vor der modischen und irreführenden Dreiteilung in einen Wirtschaftsliberalismus, einen Sozialliberalismus und einen Kulturliberalismus. Diese Dreiteilung oder Zweiteilung, wenn man Kultur und Soziales zusammennimmt, dient all jenen als Tarnmantel, welche doch ganz gern im einen oder andern Bereich intervenieren und etwas staatlichen Zwang anwenden, ohne auf die allerseits beliebte Bezeichnung «liberal» verzichten zumüssen. Ich wiederhole mit Nachdruck, was ich andernorts schon festgehalten habe:
Die Idee der Freiheit ist aus einem Guss. Sie beruht auf einer abgrundtiefen Skepsis gegenüber Gewalt und Zwang in jeder Hinsicht. Das Gift des Interventionismus verdirbt die ganze Speise der Freiheit, die nicht à la carte zu haben ist. Wer den Interventionismus in die Wirtschaft bejaht, beschneidet auch die Freiheit im Bereich der Kultur und der Gesellschaft im engern Sinn. Er begibt sich in den Teufelskreis der gut gemeinten Bevormundungen aller Art, kurz, des mehr oder weniger soften Etatismus, der in Europa allethalben das Erbe des Sozialismus angetreten hat.
Diese Dreiteilung der Liberalen und das Gegeneinander-Ausspielen von verschiedenen Flügeln, ist das letzte, was wir uns als Liberale heute leisten können und leisten sollten.
Die Dreiteilung, die mir vorschwebt, beruht auf einem Dreikreise-Modell, bei dem der jeweils engere Kreis innerhalb des weiteren Kreises liegt. Dadurch wird der innerliberale Konsens erleichtert, und wir können einer Polarisierung entgegenwirken ohne bestehende Spannungen und Unterschiede zu negieren oder zu überspielen. Meinungsvielfalt braucht übrigens auch in einer Partei kein Handicap zu sein.
Ich möchte nun diese abstrakten Überlegungen anhand von Figuren aus Schillers Tell veranschaulichen. Schiller hat in Anknüpfung an die historische Überlieferung den Bund der Eidgenossen durch drei Gründer mit unterschiedlichem Alter und unterschiedlichen Motiven dargestellt.
Der Grossvater, Walter Fürst, Tells Schwiegervater, verkörpert jene traditionelle wertkonservative Linie, welche ich heute »die anthropologische Komponente der Freiheitsidee» nennen möchte. Sie knüpft an eine in fernster Vergangenheit angesiedelte «Freiheit der Väter» an, die den Auszug aus der Knechtschaft in ein gelobtes Land gewagt haben. Diese menschheitsgeschichtlich fundierte Freiheitsidee ist weder von Adam Smith noch von John Locke und auch von keinem Philosophen der Antike entdeckt und beschrieben worden, sondern von jenen mythischen Figuren, welche den Exodus ihres Volkes ins verheissene Land der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung wagten oder sich als kreativ dissidente Innovatoren über Zwangsgebote aller Art hinwegsetzten: Moses, Prometheus, Antigone. Diese Stichworte mögen hier genügen, um den grössten Kreis, die anthropologische Komponente der Freiheitsidee zu markieren. Ich habe anderswo mehr darüber ausgeführt. Der Liberalismus tut gut daran, vermehrt aus dieser «Walter Fürstlichen» Quelle zu schöpfen.
Doch nun zum zweiten engeren Kreis des Liberalismus, den man, ohne negativen Unterton den «bürgerlich-ideologischen» nennen könnte. Er wird verkörpert durch den bedächtig zögerlichen Familienvater Werner Stauffacher, der ohne das Zureden bzw. die Anstiftung durch seine Frau Gertrud von Steinen (man beachte die mit Vorbedacht gewählten Namen), gar kein freier Eidgenosse geworden wäre. Das Besitzes-Bürgertum, das er mit seinem Steinhaus verkörpert, ist nicht im Biedermeier des 19. Jahrhunderts entstanden, sondern wurzelt in jener städtischen Kultur, in welcher Stadtluft frei machte. Bürgertum und Zivilgesellschaft beruhen auf Verträgen, auf dem Privatrecht der Handwerker und Händler, auf der Trias Marktplatz, Rathaus und Kirche, umgeben von einer schützenden aber auch einengenden Mauer. Stichworte dazu: Privateigentum, Vertrag, Trennung von Wissen und Glauben, von Kaiser und Papst, von Staat und Kirche, «los liberales» gegen «los serviles» im Spanien des 18.Jahrhunderts, Schottische Aufklärung, John Locke, David Hume und Adam Smith.
Stauffacher verkörpert den bürgerlich-ideologische Kreis des Liberalismus, man könnte ihn mit guten Gründen auch den bürgerlich-kapitalistischen nennen. Er tendiert dazu, spiessbürgerlich zu werden, wenn man ihn von seinem grösseren und viel älteren Umfeld isoliert und wenn man den Link zur Walter Fürstlichen anthropologischen Traditionslinie des Wertkonservativismus unterbricht. Der bürgerlich-kapitalistische Liberalismus, der stets zur Mitte drängt, wo allerdings nicht die Lösung, sondern das Problem liegt, braucht aber auch die Inspiration durch jugendliche, libertäre Rebellen, durch Unternehmer im Reich der Ideen, die den Liberalismus immer wieder vor der strukturkonservativen Erstarrung in selbstgenügsamer Sattheit bewahren. Wer Werte wie die Freiheit schützen will, muss die dauernde Bereitschaft zur Veränderung, zur Innovation offenhalten und darf sich nie voreilig mit unbefriedigenden Umständen abfinden.
Der engste Kreis des Liberalismus, ich nenne ihn den parteipolitischen, kann durch den gegen Macht und Ungerechtigkeit rebellierenden jungen Arnold vom Melchthal symbolisiert werden. Er wird aus der Situation heraus zur Partei. Sein Programm ist kurzfristig konkret: Macht kaputt, was euch kaputtmacht. Nur, und das unterscheidet ihn von engstirnigen und verblendeten Rebellen, von denen es in der Weltgeschichte und in der Politik nur so wimmelt: Melchthal kooperiert mit Vätern und Grossvätern und siedelt seinen Wirkungskreis innerhalb der beiden anderen grösseren Kreise an. Das ist möglicherweise das Erfolgsgeheimnis der Eidgenossen, und das was – auch aus Schillers Sicht –, die Eidgenossen von den Pariser Revolutionären Königs- und Vatermördern unterscheidet. Eine Brüderlichkeit, die auf die Erfahrungen der Väter und Grossväter, und – vor allem auch – der Partnerinnen und Mütter verzichtet, verliert sich nämlich im pubertären Protest ohne je erwachsen zuwerden.
Soviel zum Dreikreise-Modell, das ich Schiller nachempfinde und das ich hier nur skizziert habe und das ich als Wortmeldung des Liberalen Instituts in die gegenwärtige Diskussion um die Links-Rechts-Positionierung des Liberalismus einbringe. Ich schliesse diesen ersten Teil meines Vortrags in diesem qualifizierten Zuhörerkreis mit der Formel «sapienti sat», dem Weisen mag das genügen, aber ich bin mir bewusst, dass es hier noch einen grossen Erklärungs- und Vereinfachungsbedarf gibt, möglicherweise auch weitere Lernprozesse meinerseits.
25 Jahre Liberales Institut sind nicht genug. Ich selbst bin weit davon entfernt, mich souverän und spannungsfrei in meinen drei Kreisen zurechtzufinden.
Ich möchte aber in meiner Jubiläumsrede neben dem Dreikreise-Modell noch zwei weitere Grundgedanken lancieren. Der eine knüpft ebenfalls an Schiller an, der letzte, wird sich dann von Schiller freundschaftlich distanzieren.
Was macht denn die Freiheit zum Götterfunken? Sicher nicht die drei Kreise, die sehr konstruktivistisch daherkommen und eigentlich im Widerspruch zu dem stehen, was Friedrich August von Hayek, in Ermangelung einer besseren Bezeichnung «spontane Ordnung» genannt hat. Was führt uns denn aus der starren Mechanik von Modellen heraus? Was befreit uns wirklich von Zwängen aller Art?
Es ist das Spiel, in dem sich Spontaneität und Ordnung immer wieder neu kombinieren, wie wir es im Spiel der Musik erleben und vor allem bei der Improvisation, die ich in jeder Beziehung schätze und oft «der Not gehorchend und dem eignen Triebe» praktiziere. Davon wissen meine Nächsten in der Familie und am Arbeitsplatz ein Liedchen zu singen…
Keine Freiheit ohne Spiel, kein Spiel ohne Freiheit. Freiheit als Spiel? Nur ein Spiel, ein grosses «Tun als ob»? Oder doch mehr als ein Spiel? «Hoher Sinn liegt oft in kindischem Spiel» oder – ebenfalls Schiller: «Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.»
Das Spiel hat – vor allem in der deutschen Sprache – eine grosse Vielfalt von Bedeutungen. Wir spielen Musik, spielen Rollen und spielen Positivsummen- und Nullsummenspiele. Die Spieltheorie eröffnet neue Dimensionen der Markttheorie und der Evolutionslehre. Ich beschränke mich auf zwei Gesichtspunkte, einen mechanischen, der das Spiel in den Gelenken betrifft und einen sportlichen, der das Spiel als Mischung von vereinbarter Ordnung und Spontaneität, als Kombination von Leistung, Kooperation, Zufall und Willkür zu deuten versucht, als Metapher für das was sich auch anderswo abspielt.
Und wo funkt in diese vielfältigen Experimente mit Ordnung, Vereinbarung, Willkür und Zufall die Freiheit als Götterfunke hinein? Ich verstehe nicht viel von Mechanik, obwohl ich halbtags über 15 Jahre lang an der ETH als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war und Erfahrungen sammelte mit Orts-Regional- und Landesplanung, mit Verkehrsrecht, Umweltrecht und Militärrecht.
Möglicherweise ist dies – nebenbei gesagt – eines meiner gewissermassen biographisch bedingten Motive für meinen Non-Zentralismus, der mir inzwischen fast so wichtig ist wie der Liberalismus, wobei ich natürlich einen inneren Zusammenhang sehe.
Ich weiss nicht ob «das Spiel» ein Fachbegriff der Mechanik ist, aber im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet man das als «Spiel», was beim Übertragen von Kräften in Gelenken über das Funktionieren entscheidet. Ohne Spiel kommt es zur Blockade und mit zuviel Spiel zum Auseinanderbrechen des Mechanismus. Das Spiel, ist jener Freiraum, der – rein mechanisch – Übertragung bzw. Kommunikation und Kooperation ermöglicht. Auch zwischen Menschen braucht es bei den «Links» gegenseitig gewährte und vereinbarte, möglichst «massgeschneiderte» Spielräume. Auf Englisch heisst das weder «play» noch «game», sondern «clearance» oder , im übertragenen Sinn, «tolerance» und genau das meine ich. Auch Gebietskörperschaften brauchen Autonomie als «Spielraum» für Möglichkeiten des Lernens und Experimentierens, der Assimilation, der Akkommodation und der Adaptation, je non-zentraler desto besser. Freiheit als Spiel in diesem Sinn, als Spielraum in den Gelenken gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Kommunikation – das tönt nun sehr technisch und wenig pathetisch, vielleicht sogar kleinmütig.
Wer nun aber glaubt, diese Art von sozial gebundener, äusserst vorsichtiger und auf Kooperation und Übertragung ausgerichteten Freiheitsdefinition, als mechanisches Spiel am Gelenk zwischen Mensch und Gemeinschaft, widerspreche radikalliberaler Tradition, sei auf zwei Zitate verwiesen. Sie belegen, dass der Vorwurf der Gesellschaftsfeindlichkeit liberaler Ideen nur von jenen erhoben werden kann, welche die klassischen Texte nicht kennen und ihre Vorurteile nicht überwinden.
Das erste Zitat stammt vom Franzosen Frédéric Bastiat, eines meiner Vorbilder. Er wird als paläoliberaler Marktfundamentalist diffamiert und teilt dieses Schicksal mit den Manchesterliberalen, welche übrigens viel sozialer eingestellt waren als ihre Widersacher, die Merkantilisten, Imperialisten, Bellizisten und Kolonialisten. Hören wir Bastiat im Originalton:
«Die Art von Abhängigkeit, welche durch den Tausch bzw. durch Markttransaktionen begründet wird, ist gegenseitige Abhängigkeit. Wir können von einem Dritten nicht abhängig sein, ohne dass er nicht auch von uns abhängig wäre. Und das ist das, was das Wesen der Gesellschaft ausmacht. Wer natürliche Abhängigkeiten durchtrennt, macht sich selbst nicht unabhängig, sondern begibt sich in eine vollständige Isolation.» Soweit Frédéric Bastiat, gestorben 1850 im 50. Lebensjahr.
Ludwig von Mises, den ich hoch schätze und der ebenfalls ein Feindbild für Interventionisten aller Parteien ist, formuliert das was ich hier «Spiel» nenne, wie folgt:
«Die Bedeutung der ökonomischen Freiheit ist Folgende: Das Individuum soll in der Lage sein, zu wählen, auf welche Weise es sich in das Gesellschaftsganze integrieren will.»
Das ist der Spielraum, den wir haben – mehr liegt nicht drin.
Mit den beiden Zitaten kann ich, nur skizzenhaft, auf eine weitere Bedeutung von Spiel verweisen, die mit dem Götterfunken der Freiheit und mit dem Begriff der «spontanen Ordnung» zu tun hat.
Beide Äusserungen, die von Bastiat und von Mises, könnten – sinngemäss und sprachlich adaptiert – auch im modernen Umfeld des Mannschaftssports angesiedelt werden, und beispielsweise von Fussballtrainern stammen. Das grosse Spiel des Mannschaftssports, vor allem das Fussballspiel, hat in der heutigen Gesellschaft einen Stellenwert, der für viele Intellektuelle schwer verständlich ist. Aber gibt es für Anhänger der spontanen Ordnung einen Grund, die Nase zu rümpfen über das, was andern, und vielen anderen, Spass macht? Ich habe lange Zeit gebraucht, um zu verstehen, warum sich meine Söhne – mindestens zeitweise – für Sport mehr interessieren als für Politik.
Vielleicht ist der Götterfunken der Freiheit dort unmittelbarer erlebbar. Der spielerische Umgang mit Erfolgen und Misserfolgen, Glück und Pech, Leistung und Zufall ist auch ausserhalb des Spiels von etwelchem Bildungswert.
Es lässt sich dabei lernen, auf welche Weise und mit wie viel Spiel (im doppelten und dreifachen Sinn) man sich ins Gesellschaftsganze integrieren will. Möglicherweise sind Politik und Sport einfach zwei Erscheinungsweisen von Spielen, in welchen Freiheiten und Randbedingungen spontan oder eben «mit mechanischem und sportlichem Spiel» aufeinander Bezug nehmen. Der Zweifel am Schiller’schen «hohen Sinn in kindischem Spiel» ist möglicherweise bei beiden Spielen, Politik und Mannschaftssport, in gleicher Weise berechtigt oder eben nicht. Vielleicht sollte man lernen, häufiger darüber zu lachen als darüber zu schimpfen.
Dies führt mich zu meinem dritten und letzten Punkt, bei dem ich mich definitiv von Schiller entferne.
Es geht um einen weitern Götterfunken, den ich persönlich mit Freiheit in Verbindung bringe, und der für mich zunehmend wichtig ist: um den Humor. Und hier liegt nun nicht gerade die Stärke des deutschen Idealismus.
Über Anmut und Würde, Pflicht und Neigung, edle Einfalt und stille Grösse gibt es wenig zu lachen, wenigstens nicht bei denen, die sich ernsthaft damit befassen. Die Angelsachsen und die Juden haben diesbezüglich Substanzielleres beigetragen als der deutsche Idealismus. Vielleicht ist der Humor bei Insulanern und bei Minderheiten überlebenswichtiger als bei Festländern und etablierten Mehrheiten. Sie sind darauf angewiesen, sich selbst auf die Rolle zu schieben, um andern damit zuvor zu kommen.
Humor ist eine subtile Präventivabwehr, er immunisiert gegen die Bitterkeit des Lächerlich-Werdens, der Minderheiten immer ausgesetzt sind. Humor ist, so sehe ich es als Liberaler, engstens mit der Fähigkeit verknüpft, sich selbst nicht absolut zu setzen, sich selbst nicht immer allzu ernst zu nehmen: Humor als heiteres Darüberstehen – nicht dauernd, aber doch immer wieder, und vielleicht immer öfter. Das Thomas Mann’sche «Es geht immer auch anders» ist eine für Think Tanker unentbehrliche Maxime. Bei allem Überzeugt-Sein ist es wichtig, zuzugeben, dass man sich möglicherweise irrt. Humor ist mindestens so komplex wie «Freiheit» und «Spiel»: der dritte Standpunkt von dem aus man die beiden anderen Standpunkte beleuchten kann, eine prekäre Balance zwischen Dingen, die letztlich nicht festzumachen sind. Freiherr von Münchhausen zieht sich einmal mehr am eigenen Zopf aus dem Sumpf der Missverständnisse. Ich will hier nicht über Humor theoretisieren und möchte nur ein einziges berühmtes Zitat anführen, das den politischen Stellenwert des Humors als vermittelndes und verbindendes Element thematisiert.
In Hesses Werken begegnen wir auch einer Dreiheit. Nicht den Drei Eidgenossen und auch nicht den drei Liberalismen, sondern der Verkörperung von drei typischen Lebensauffassungen: dem asketischen Heiligen, dem hedonistischen Wüstling und dem individualistisch anarchistischen Steppenwolf – es gibt sie alle in allen Parteien. Existiert nun ein «Rütli», einen geheimen geheiligten Ort, wo die drei Menschentypen friedlich zusammenfinden? Ja, dieses Rütli, diese gerodete Waldwiese, ist der Humor.
Im Steppenwolf nennt Hesse den Humor, den er immer als irgendwie bürgerlich empfindet, den Überbrücker, der nicht nur den Heiligen und den Wüstling zueinander biegt, sondern auch den Bürger, als neutralen lauen Dritten im Bunde bejahend miteinbezieht.
«Einzig der Humor, die herrliche Erfindung der in ihrer Berufung zum grössten Gehemmten, der beinahe Tragischen, der höchstbegabten Unglücklichen, einzig der Humor (vielleicht die eigenste und genialste Leistung des Menschentums) vollbringt dies Unmögliche, überzieht und vereinigt alle Bezirke des Menschenwesens mit den Strahlungen seiner Prismen.» Die vielzitierte Passage ist allerdings eine Spur zu pathetisch, um humorvoll zu sein.
Darum zurück nach England. Von Gilbert Keith Chesterton stammt folgende Beobachtung, die «very british» ist:
»It is the test of a good religion whether you can make a joke about it.”
Gilt dies auch für politische Bekenntnisse? Kann man über den Liberalismus Witze machen und lachen? Das wäre gegenüber dem stets bitter ernst fordernden und moralisierenden Sozialismus ein grosses Plus.
Machen wir zum Schluss die Probe aufs Exempel: Den Humortauglichkeitstest.
Im innerliberalen Diskurs spielt die Auseinandersetzung um die «zwei Konzepte der Freiheit» (Isaiah Berlins «The two concepts of liberty») eine zentrale Rolle. Für die einen ist die Freiheit vom Staat wichtig, die negative Freiheit, die anderen erwarten und verlangen vom Staat die Schaffung der Voraussetzungen für die Freiheit (Freiheit durch den Staat) und beide nennen sich mit ideengeschichtlich plausiblen Motiven «Liberale». Ich gehöre – für jene die dies noch nicht wissen sollten – zur ersten Gruppe.
Ursprünglich wurde die zweite Gruppe «neoliberal» genannt, inzwischen hat man in den Medien paradoxerweise die Bedeutung umgedreht. Ich meine persönlich, der erste Ansatz sei der radikalere und zukunftsträchtigere und man dürfe daher die von den Gegnern verliehene Vorsilbe Neo- mit Recht und sogar mit Stolz tragen. «Neo» ist «in».
Doch was ist an dieser Auseinandersetzung witzig? Der erwähnte innerliberale Dialog, den ich wichtig finde, kann als ein endloses Gespräch zwischen Lahmen und Blinden gedeutet werden: Die Anhänger der negativen Freiheit sind politisch lahm, weil sich mit Negationen allein wenig bewegen lässt, die Anhänger der staatlichen Freiheitsvermittlung sind politisch blind, weil sie die entmündigenden und damit längerfristig freiheitszerstörenden Konsequenzen ihres gut gemeinten Ansatzes nicht sehen, bzw. nicht sehen wollen. Und da fragt nun in diesem Gespräch der Blinde den Lahmen: «Wie geht’s?» Die Antwort lautet «Wie Sie sehen.» Und beide haben damit hoffentlich den Humortest bestanden.
Ich schliesse mit einem Angelsachsen, mit Francis Bacon.
«Phantasie hilft dem Menschen über das hinweg, was er nicht ist, Humor tröstet ihn darüber hinweg, was er ist.»
Ich danke allen, die mir geholfen haben, dass mir bisher weder die Phantasie noch der Humor ausgegangen ist.