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Wer war der Vater der Deutschen Mark?

Lesedauer: 6 Minuten

(Reflexion Nr. 46, Februar 2002, S. 9-12)

Von Robert Nef und Bernhard Ruetz*

Erfolg hat bekanntlich viele Väter. Eine repräsentative Umfrage nach dem „Vater der Deutschen Mark“ würde vermutlich ein eindeutiges Ergebnis zeitigen: „Ludwig Erhard“. Wie kein zweiter verkörpert Erhard das „deutsche Wirtschaftswunder“. Seine Politik des „Wohlstands für alle“ hat sich tief in den Köpfen der deutschen Nachkriegsgesellschaft eingeprägt. Erhards Popularität scheint ungetrübt und nimmt mittlerweile mythische Züge an, wie es das Institut für Demoskopie in Allensbach anlässlich seines 100. Geburtstages festgestellt hat. Wo sich Legenden ranken, ist Skepsis angebracht. Ein Personenkult fordert stets auch „Opfer“ und diese sind oftmals die eigentlichen Protagonisten grosser Taten. Ein typisches Beispiel ist die Geschichte von Edward A. Tenenbaum, einem jungen amerikanischen Leutnant und Finanzexperten, welcher einen entscheidenden Beitrag für den sagenhaften Aufstieg der D-Mark zum erfolgreichsten Produkt der deutschen Nachkriegs-geschichte geleistet hat. Tenenbaum kann mit guten Gründen als der eigentliche „Vater“ der D-Mark gelten.

In Amerika ist Tenenbaum nur einem kleinen Kreis von Spezialisten bekannt. Eine Ausnahme bildet der bekannte amerikanische Finanzhistoriker Charles P. Kindleberger, einer der letzten Zeitzeugen, dem die beiden Autoren für wertvolle Hinweise zu Dank verpflichtet sind. Die Währungsreform von 1948 wird in erster Linie mit General Lucius D. Clay, dem Währungsreformplan von Colm, Dodge und Goldsmith sowie mit Ludwig Erhard in Verbindung gebracht. Milton Friedmann beispielsweise bezeichnete in seinem Buch „Free to choose“ die deutsche Währungs¬reform als ein Werk Erhards, was die Witwe Tenenbaum in einem Leserbrief an die „New York Review“ von 1980 einen historischen Unsinn nannte. In Deutschland ist Tenenbaum zwar ein Begriff, doch schweigt sich die Mehrzahl der Arbeiten zur Währungs- und Wirtschaftsreform über seine Bedeutung aus. Es erstaunt besonders, dass die umfassende Studie der Deutschen Bundes¬bank zu „Fünfzig Jahren Deutsche Mark“ Tenenbaum mit keinem Wort erwähnt, während im selben Jahr Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer in einer Festrede zur Währungsreform unter Anwesenheit von Bundeskanzler Kohl feststellte: „Insbesondere der damals noch junge, leider viel zu früh verstorbene Offizier und Wissenschaftler Edward A. Tenenbaum erwarb sich dabei unvergessene Dienste.“ Auch die jüngste Veröffentlichung zur D-Mark „Requiem auf eine Währung“ würdigt Tenenbaums Leistung nicht ausreichend. Erhards Leistung wird dafür umso nachdrücklicher hervorgehoben.

Erhards herausragende Bedeutung bei der Durchsetzung der gesamten Wirtschaftsreform soll hier keineswegs herabgemindert werden. Ohne seinen konsequenten Kurs und sein unerschrockenes Auftreten – auch gegenüber den z.T. zögernden Besatzungsbehörden – wäre die D-Mark wohl nicht zum entscheidenden Erfolgsfaktor des Wiederaufbaus geworden. Weshalb Tenenbaum über lange Zeit ignoriert wurde, bleibt spekulativ, solange keine fundierte Quellenanalyse über sein Wirken vorliegt. Dennoch scheint die These zulässig, dass es auf amerikanischer wie auf deutscher Seite sichtlich Mühe bereitet, dass ein 26jähriger bisher völlig unbekannter amerikanischer Leutnant und Finanzexperte jüdischer Herkunft an der Wiege der D-Mark steht und Grössen wie Clay, Dodge oder Erhard in die zweite Reihe verweist. Die Überzeugung, dass „grosse Männer Geschichte machen“ findet offenbar noch immer Anklang.

Tenenbaum wurde 1922 in New York als Sohn jüdischer Emigranten polnischer Abstammung geboren. Nach einem Sprachenaufenthalt in der Schweiz studierte er an der Yale Universität und promovierte zum Thema „National Socialism and International Capitalism“, wofür er das Prädikat „summa cum laude“ erhielt. Er beherrschte 5 Sprachen und dazu noch etwas Russisch. Tenenbaum zeichnete sich durch eine rasche Auffassungsgabe, vernetztes Denken und eine sorgfältige Arbeitsweise aus. In seinem persönlichen Umfeld galt er als brillanter Kopf, aber als eigensinnig und zu wenig bestimmt in der Wahrung seiner persönlichen Interessen. 1942 wurde Tenenbaum in die Armee eingezogen. Auf Grund seiner starken Kurzsichtigkeit konnte er keinen Dienst an der Waffe leisten und absolvierte eine Offiziersausbildung im Bereich der psychologischen Kriegsführung. Als junger Leutnant wurde er 1945 nach Deutschland entsandt, wo er als erster amerikanischer Offizier das Konzentrations¬lager Buchenwald betrat. Die meisten seiner Verwandten waren in Konzentrationslagern umgekommen. Auf Vermittlung seiner Frau gelangte er in den Stab von Jack Bennett, dem Finanzberater von General Lucius D. Clay. Dort befasste sich der 25-jährige Tenenbaum als Finanzexperte mit der dringlichen Frage einer Währungsreform in Berlin. Tenenbaums bestechende Analysen und seine gründlichen Sprachenkenntnisse empfahlen ihn alsbald für höhere Aufgaben, auch wenn sein Vorgesetzter einen gewissen Neid nicht verbergen konnte.

Im November 1947 traf sich Tenenbaum zum ersten Mal mit Erhard, dem Leiter der „Sonderstelle Geld und Kredit“ und seinen Mitarbeitern für ein längeres Gespräch über die anstehende Währungsreform. Mit erstaunlicher Sicherheit und Fachkenntnis führte der junge Tenenbaum das Gespräch und drängte auf eine unverzügliche Umsetzung der Währungsreform. Erhard stimmte zu, gab allerdings zu verstehen, dass die Ausarbeitung der Details den Deutschen zu überlassen sei. Darin sollte er sich allerdings gründlich irren. Der unter seiner Ägide 1947/48 ausgearbeitete Homburger-Plan, der offizielle deutsche Währungsreformplan, wurde von den Alliierten nahezu vollständig übergangen. Tenenbaum selbst hielt den Homburger Plan für unausgewogen und, was die Liquidierung der Reichschuld betrifft, für zu wenig radikal.

Die deutschen Experten, die sich von April bis Juni 1948 im sogenannten „Konklave von Rothwesten“ an der organisatorischen und technischen Durchführung der Währungsreform für Westdeutschland zu beteiligen hatten, glaubten anfänglich, deren inhaltliche Bestimmungen im Sinne des Homburger Plans beeinflussen zu können. Gross waren deshalb die Ernüchterung und die Diskussionen auf deutscher Seite, als Tenenbaum, der Wortführer und Koordinator der Veranstaltung, einen zwischen den Alliierten ausgehandelten Entwurf der Währungsreform sowie der entsprechenden Gesetze vorlegte, nach denen die Arbeiten zu gestalten waren. Tenenbaum verstand es geschickt, das etwa 25köpfige Gremium alliierter und deutscher Experten zu raschen Taten anzutreiben und gleichzeitig mit den Finanzberatern und -experten auf alliierter und deutscher Seite zu verhandeln. Tenenbaum war der eigentliche Manager der Währungsreform, wie es Bundesbank¬präsident Tietmeyer in einer anderen Rede ebenfalls 1998 in Rothwesten ausführte. „Das Konklave war keine Marginalie. Es war ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Umsetzung der Währungsreform.“(Tagesspiegel, 15.06.1998). Tenenbaum habe „dem deutschen ‘Elfer-Rat‘ von Rothwesen alles abverlangt, ihn zur Effizienz getrieben.“ Nicht umsonst sei er später einmal als „Vater der Deutschen Mark“ bezeichnet worden. Von seinem Vorgesetzen erhielt Tenenbaum einen weiten Handlungsspielraum, nicht zuletzt deswegen, weil er sich in allen Sprachen mühelos ausdrücken konnte. Am 8. Juni lagen die „Gesetze zur Neuordnung des Geldwesens“, sowie weitere Durchführungsverord¬nungen, Merkblätter und weitere Unterlagen druckreif auf dem Tisch. Die neue Währung hiess Deutsche Mark. Dieser Name wurde bereits im Währungsreformplan der Amerikaner provisorisch verwendet. In seiner unveröffent¬lichten Schrift „The German Mark“ schreibt Tenenbaum hingegen, dass er den Namen „D-Mark“ gegenüber den Alternativen wie „Mark“, „Taler“, „Batzen“, „Neumark“, „Goldmark“, „Schilling“, „Warenmark“, „Kaufmark“ vorgeschlagen habe und dieser schliesslich mangels besserer Namen gewählt wurde.

Unter den deutschen Sachverständigen war die Verärgerung über die Missachtung ihrer Bedenken und Einwände beträchtlich. In einer Resolution vom 8. Juni 1948 an die Finanzberater der drei Militärregierungen wollten sie es deshalb vor der Geschichte festgehalten haben, dass sie für die Geldreform keinerlei Verantwortung übernähmen, weil ihre Arbeit lediglich technischer Natur gewesen sei. Vielmehr hätte „die Besonderheit der deutschen Verhältnisse unter politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine wesentlich anders geartete Lösung verlangt“ (Quelle:50 Jahre Deutsche Mark, 1998, S. 118). Auch an Erhard ging der Alleingang der Alliierten unter der Führung Tenenbaums nicht spurlos vorüber. Im Beileidstelegramm zum Tode von Edward A. Tenenbaum im Jahr 1976 schrieb er dessen Witwe, dass er und Tenenbaum in völliger geistiger und wissenschaftlicher Übereinstimmung die Währungsreform geschaffen hätten. Otmar Emminger, der spätere Präsident der Bundesbank, schrieb in seinem Beileidstelegramm immerhin : „His eminent services in endig the disastrous inflation and establishing a new and firm currency are not forgotten in the Deutsche Bundesbank“.

Der 20. Juni 1948 war für die westdeutsche Bevölkerung einer der bedeutendsten Tage seit Kriegsende. Die Währungsreform war vollendet, die Deutsche Mark ersetzte die Reichsmark. Die Medien sprachen von einem „historischen Einschnitt“ und einem „neuen Abschnitt des Daseins“. Mit 40 Mark Startgeld für jeden begann der Mythos der D-Mark, entstand ein neues Lebensgefühl des Konsums und des materiellen Wohlstands. Die totale Zerstörung Deutschlands und der fundamentale Wiederaufbau erwiesen sich zumindest in ökonomischer Hinsicht als Segen. Eine rege Spar¬tätigkeit der Bürger verlieh den Banken genügend Liquidität für industrielle Investitionen. Die Kombination von Währungs- und Wirtschafts¬reform, neuen Technologien im Industrie- und Agrarsektor sowie einer ungebrochenen Willens- und Schaffens¬kraft der Bevölkerung führten Westdeutsch¬land binnen Jahrzehnten zur zweit grössten Handelsnation der Welt und zur führenden Wirtschaftsmacht Europas empor. „Made in Germany“ wurde zu einem Qualitätssiegel erster Güte, die Deutsche Mark zu einer gesuchten, weil harten und verlässlichen Währung. Die Währungsreform von 1948 hatte dazu die Grundlage geschaffen.

Nach einer kurzen, aber höchst produktiven Phase im jugendlichen Alter erlitt Tenenbaums Lebenslauf einen markanten Bruch. Zurück in New York erhielt er weder von der Regierung noch von der Armee eine vielversprechende Position zugewiesen und betätigte sich als freier Finanzberater für „AID“, „IMF“, die „World Bank“ und andere Organisationen. Ende der 1950er Jahre schrieb er ein Buch über die Geschichte der Deutschen Mark, welches wegen fehlendem verlegerischem Interesse noch immer unvollendet in der Truman-Library lagert. Tenenbaum starb 1976 bei einem Verkehrsunfall.

Als der Finanzberater von General Clay, Jack Bennett, einmal die Sorge äusserte, dass die Währungsreform als eine deutsche Leistung in die Geschichte eingehen könnte, erwiderte Tenenbaum lakonisch: „Who cares who gets the credit“. Selbst wenn es gegen seine Überzeugung geschähe, hat Tenenbaum einen Ehrenplatz in der deutschen Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit verdient. Zu einer würdigen Verabschiedung von der D-Mark fehlt wohl noch eine sorgfältige Untersuchung jener historisch ausschlaggebenden Verknüpfung von zündenden Ideen mit kreativen Persönlichkeiten, welche in der Geschichte allzu oft im Schatten der im Rampenlicht stehenden Hauptakteure vergessen werden.

Weiterführende Literatur:

  • Fünfzig Jahre deutsche Mark: Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, hrsg. Von der Deutschen Bundesbank, Verlag C.H. Beck, München 1998.
  • Holtfrerich, Carl Ludwig, Manfred Pohl, Harold James, Requiem auf eine Währung: Die D-Mark 1873 – 2001, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2001.
  • James, Harold, Die D-Mark, in: Schulze Hagen Etienne François (Hrsg), Deutsche Erinnerujngsorte, Verlag C.H. Beck, München 2001, S. 367 – 381.
  • Tenenbaum Edward A., The German Mark, (unfinished and undated manuscript is on derposit in the Truman Library)
*Robert Nef, lic. iur., Leiter des Liberalen Instituts und Herausgeber und Redakteur der Schweizer Monatshefte, Bernhard Ruetz, Dr. phil., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Liberalen Institut in Zürich


Dieser Text wurde in stark gekürzter und redigierter Form in der FAZ vom 31. Dezember unter dem Titel „Der Manager der Währungsreform 1948 – In Vergessenheit geraten“ (Edward Tenenbaum) publiziert.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 303, 31. Dezember 2001, S. 18

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