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Nachrufe: Bourdieu statt Nozick

Lesedauer: 2 Minuten

(www.libinst.ch)

Ende Januar 2002 starb der „einflussreiche französische Soziologe“ Pierre Bourdieu. Für die ganze Schweizer Presse (inklusive NZZ) war dies ein Ereignis ersten Ranges. Die in vielen Medien der Schweiz immer noch tonangebenden Mitte-links-Nostalgiker weinten einem der ihren eine Träne nach. So weit so gut. Bourdieu war bestimmt ein einflussreicher Intellektueller, aber hatte er nach 1989 wirklich noch etwas Originelles, Zukunftweisendes zu bieten?

Gefangen im Käfig seiner marxistischen Terminologie war er gegenüber den Entwicklungen des Spätsozialismus recht hilflos. Natürlich kann man seine eigene politische Überzeugung als „richtiges Bewusstsein“ penetrant mit der Vernunft schlechthin gleichsetzen und als Paläosozialist gegen die „Geissel“ des Neoliberalismus zu Felde ziehen (so Christian Schlüter am 25. Januar in seinem völlig unkritischen Nachruf im St. Galler Tagblatt).

„Man muss es fertig bringen, Wissenschaft und Militanz zu versöhnen, den Intellektuellen die Rolle der Militanten der Vernunft wiederzugeben.“ (Bourdieu). Da verbindet sich Arroganz mit Illusionslosigkeit: keine harmlose Mischung. Der Zufall (oder das Schicksal) will es, dass am gleichen Tag wie Bourdieu ein anderer bedeutender Philosoph und Sozialwissenschafter gestorben ist: Robert Nozick, einer der Vordenker des Minimalstaates, der Verfasser des bahnbrechenden Buches „Anarchy, State and Utopia (1974).

Um solches zeitgerecht zu erfahren, ist man heute auf die Internet-Verbindungen zu amerikanischen Zeitungen oder zu den Web-Seiten von Think-Tanks angewiesen. Die hiesigen Medien bereiteten darüber mit wenigen Ausnahmen den Mantel des Schweigens. In der NZZ konnte man drei Tage später in einem kurzen Textchen nachlesen, dass Nozick zunächst „extremistische“ Ideen gehabt habe um später zu einer populäreren philosophisch anspruchslosen Lebensphilosophie zu gelangen.

Ignoranz oder Absicht? Nozick, so entnimmt man den Nachrufen aus den USA, war der wichtigste Kritiker von John Rawls, der in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ die theoretische Basis für den Ausbau des Wohlfahrtsstaats lieferte. Nozick war ursprünglich ein Linksradikaler, der zum Libertären konvertierte, der sich aber mit seiner Rolle als „Chefideologe“ der sogenannten anti-etatistischen Rechten nie recht befreunden konnte.

Er überraschte in jedem seiner Bücher auch seine Anhänger mit originellen, neuen Herausforderungen und war ein begeisternder Dozent und faszinierender Buchautor, der seinen Studenten und seiner Leserschaft keine fertigen Wahrheiten servierte, sondern immer wieder verschiedene mögliche Aspekte aufzeigte. Das Times Literary Supplement bezeichnet „Anarchy, State and Utopia“ als eines der hundert einflussreichsten Bücher der Nachkriegszeit.

Diese knappen Hinweise können natürlich einen ausführlichen Nachruf nicht ersetzen, sondern höchstens das Interesse an der Lektüre wecken. Dass die wenige Tage nach Bourdieu und Nozick verstorbene Astrid Lindgren weltweit in ausführlichen Nachrufen geehrt worden ist, hätte Nozick, ihren Geistesverwandten, bestimmt gefreut. Für den Nobelpreis hat es dem grossen Libertären leider nie gereicht.

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