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Anpassung und Eigenständigkeit

Lesedauer: 2 Minuten


(Schweizer Monatshefte – Heft 2, 2002 – Seite 1)

EDITORIAL

Der Uno-Beitritt der Schweiz wird heute allgemein als längst fälliger Akt der Vernunft propagiert, auch wenn dazu Bundesratsauftritte mit Rockmusikern nicht ganz passen wollen. Tatsächlich entspricht es den Erfahrungen des Alltags, dass es in vielen — aber nicht in allen — Situationen ratsam ist, sich zu den überwiegenden Mehrheiten zu gesellen, in der Annahme, dass deren Motive unter vielfältigsten Gesichtspunkten sorgfältig evaluiert worden seien. Aussenseiter sind nie bei allen beliebt, und ihre Rolle ist nicht selten beschwerlich. Aber sind Aussenseiter automatisch schädliche Trittbrettfahrer und Rosinenpicker? Solche Vorwürfe hört man vor allem in der Schweiz. Wer die Frage im Ausland ausserhalb des «Kuchens» von Regierungsleuten und Diplomaten diskutiert, macht die zunächst vielleicht überraschende Feststellung, dass es viele ernstzunehmende Gesprächspartner gibt, welche die Nichtmitgliedschaft der Schweiz für eine durchaus begrüssenswerte Sache halten. Auf meine Frage, was er von einem Uno-Beitritt der Schweiz halte, antwortete mir Lord Harris of High Cross, der Gründer des renommierten Londoner Institute of Economic Affairs: «Je mehr sich die Uno mit sogenannten ‹humanitären Interventionen› als Weltpolizist aufspielt, desto wichtiger ist es, dass es auch noch vernünftige Nichtmitglieder gibt.» Entscheidend ist wohl weniger die Frage der Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft, sondern das, was man daraus macht. Ein allzu eigensinniges Land kann sich tatsächlich in einer Weise isolieren, die weder im eigenen noch im Interesse der andern liegt. Wer Offenheit verweigert, koppelt sich von der Entwicklung ab. Eigenständigkeit, Offenheit und Neutralität lassen sich aber kombinieren. Vor allem jene, die das Argument verwenden, die Welt und die Uno hätten sich in den letzten Jahren positiv verändert, sollten ein vergleichbares Veränderungspotenzial in negativer Richtung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte nicht ausschliessen. Es gibt in einer vielfältigen Welt auch eine Nachfrage nach Besonderheiten, und man kann seine Besonderheit auch als Trumpfkarte einsetzen, in jener intelligenten Form des Eigeninteresses, welche stets selbstbestimmte Solidarität miteinbezieht — eigentlich die Grundlage jeder vernünftigen Aussenpolitik, die nicht auf Dogmen, sondern auf Optionen basiert.

ROBERT NEF

Schweizer Monatshefte – Heft 2, 2002 – Seite 1

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