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Ordnungspolitische Gedanken zum Kulturartikel

Lesedauer: 11 Minuten
Robert Nef, lic. iur.
Leiter des Liberalen Instituts
Redaktor und Herausgeber der
Schweizer Monatshefte für Politik, Wirtschaft und Kultur
Vogelsangstr. 52
8006 Zürich

libinst @ bluewin.ch
schweizermonatshefte@swissonline.ch

Untertitel: Kultur ist Sache der Kultur

Referat zur Eröffnung des Nachdiplomstudienganges «Kulturmanagement» an der Zürcher Hochschule Winterthur, gehalten am 18. März 2000 im «Alten Stadttheater/Casino» in Winterthur

Die Frage nach dem Verhältnis von Kultur und Politik und nach dem jeweiligen Bezug zur marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik löst zunächst einmal einen terminologischen Klärungsbedarf aus. Wir müssten zuerst präzis wissen was «Kultur» beinhaltet, was «Politik» bedeutet und wodurch eine marktwirtschaftliche Ordnung charakterisiert ist, und das ist keine einfache Hausaufgabe.

Ist Kultur Bundessache oder Ländersache?

Mein Slogan ist irgendwo jenseits dieser Formulierungen angesiedelt, bzw. er ist eine dissidente Reaktion darauf. Er lautet ganz lapidar: Kultur ist Sache der Kultur. Ich wehre mich damit gegen jede politische und ökonomische Instrumentalisierung der Kultur. Kultur hat es schon gegeben, bevor es Staaten gab. Über die Frage, ob es die Hochkulturen waren, welche den Staat als politisches System hervorbrachten, oder ob sich die Hochkulturen aus politischen Herrschaftsstrukturen herausentwickelten, gibt es eine interessante kulturhistorische und staatsphilosophische Debatte, die wir hier nicht fortsetzen wollen. Ich lasse den Slogan im Hinblick auf die Diskussion einfach stehen. Kultur ist Sache der Kultur. Er löst die Probleme nicht, aber er markiert den entscheidenden Ausgangspunkt für die stets heikle Frage nach der Subsidiarität und nach einem allfälligen Primat des Staates, der Wirtschaft oder der Gesellschaft. Jene Kultur, deren Fortexistenz ausschliesslich von der Staatsförderung abhängt ist nicht selbsttragend. Sie wird durch staatliche Förderungsmittel gestützt und ist nicht mehr selbstragend. Diese Gefahr besteht nicht nur bei der Kulturpolitik, sondern auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, d.h. überall wo der Staat als Zwangsapparat auftritt. Die Tatsache, dass man auch als liberaler Kulturinteressierter in den Genuss staatlich verbilligter Angebote kommt, darf kein Grund sein, bei der Skepsis gegenüber der Staatsintervention ausgerechnet im Kulturbereich eine Ausnahme zu machen. Es geht nicht an «weniger Staat» zu fordern und immer dann eine Ausnahme machen, wenn sie von einer Staatsförderung selbst profitiert, wie etwa bei günstigen Kulturangeboten.

Ich meine, dass eine solche staatsskeptische Aussage für alle kulturellen Bereiche aktuell ist, und dass wir darüber auch heute diskutieren sollten. Sicher ist dies eine mögliche «ordnungspolitische Sicht», sicher auch eine liberale, ob es die einzig mögliche liberale Sicht der Filmpolitik und der Kulturpolitik ist, lasse ich jetzt offen. Auch ich sehe mir gerne gute Filme an, auch gute Schweizer Filme. Auch ich stehe vor der Herausforderung, eigene Interessen immer wieder an eigenen Grundsätzen zu messen, und umgekehrt.

Wenn ich hier gegenüber einem Ausbau der staatlichen Kulturförderung die skeptische Stimme vertrete, so ist dies nicht aus Verachtung für die Kultur, sondern im Gegenteil, aus Liebe zur Kultur und in der Überzeugung, dass wir aus der Kultur wesentliche Kräfte schöpfen; aus echter Sorge für eine lebendige Kultur die sich möglichst eigenständig und ohne Staatskrücken entwickeln sollte.

Nun aber zu Heinrich Heine. (vgl. dazu auch Robert Nef, Kultur ist Sache der Kultur, Schweizer Monatshefte Jg. 74, 1994, H.5, S.4 ff.)

In seinem Gedicht «Das Sklavenschiff» berichtet er von einer besonders zynischen Form der Kulturförderung. Ein holländischer Sklavenhändler (eine Art negativer Prototyp des kapitalistischen Unternehmers) hat in Afrika eine kostbare Fracht bestehend aus Negersklaven geladen, die er, möglichst günstig und daher dicht zusammengepfercht, auf seinem Schiff nach Südamerika transportieren möchte.

Doch viele Sklaven sterben wegen der ungesunden Lebensverhältnisse, und die Leichen werden ins Meer geworfen, wo sich die Haifische über den täglichen Nahrungsnachschub freuen. Der Sklavenhändler wird durch seinen Schiffsarzt auf die hohe Sterblichkeit unter den Sklaven aufmerksam gemacht. Weder beim Schiffsarzt noch beim Händler löst dieser Verlust mitmenschliche Regungen aus, aber aus kommerziellen Erwägungen stellt der Händler die Frage, wie «die Progression der Sterblichkeit» zu verhindern wäre.

Der Doktor, ein intelligenter Diener der Macht — «klug wie Aristoteles, / Des Alexander Lehrer» — gibt folgenden Rat «Durch etwas Luft. Musik und Tanz / Lässt sich die Krankheit heilen» — ein prophetischer Hinweis auf das nationalsozialistische Rezept der staatlichen Förderung von Freizeitkultur nach dem Motto «Kraft durch Freude». Das Motto ist ja dann, gewissermassen in doppelter Perversion, auch in Hitlers Konzentrationslagern umgesetzt worden. Dort, wo man noch Arbeitsleistungen herausholen wollte, und die kollektive Vernichtung nicht oder noch nicht der Hauptzweck war, wurden, wie auf Heinrich Heines Sklavenschiff, von Lagerinsassen «Kulturprogramme» verlangt, die – nach historischen Zeugnissen – oft ein hohes Niveau erreichten. Es handelt sich hier um eine wirklich makabre Extrem- und Grenzform totalitärer «Kulturförderung» auf deren Hintergrund das Heine-Gedicht als Warnung und als Schreckvision betrachtet werden kann. Kultur als Frühwarnsystem, als Seismograph und als Schreckvision, die künftige Schrecken verhüten soll, das sind alles Kulturfunktionen, die erst im 20. Jahrhundert thematisiert worden sind, aber Heine hat sie in seinem Gedicht vorweggenommen.

«Musik! Musik! Die Schwarzen solln / Hier auf dem Verdecke tanzen. / Und wer sich beim Hopsen nicht amüsiert, / Den soll die Peitsche kuranzen.»

Diese nach fachmännischen Kriterien verordnete Form der Kulturförderung hat die beabsichtigte Wirkung. «Der Büttel ist maître des plaisirs, / Und hat mit Peitschenhieben / Die lässigen Tänzer stimuliert, / Zum Frohsinn angetrieben.» Die kostbare Fracht jauchzt und hopst und kreist wie toll herum — und überlebt, zur Freude des Händlers, und zum Ärger der Haifische, welche ihr «Frühstück», die Toten, die man jeweils ins Meer geworfen hatte, missen.

«Das Sklavenschiff» hat nicht nur die hier angetönte sozialkritische und prophetische Dimension, es verdichtet eine unendliche Fülle von Anspielungen, Bedeutungen und Deutungsmöglichkeiten, welche das Verhältnis von Macht, Kalkül, Kultur und Natur (der Haifische) betreffen — das «Sklavenschiff» als Sinnbild unserer Zivilisation. Vordergründig wird das rein kommerzielle Denken des Sklavenhändlers und seines «wissenschaftlichen Beraters» angeprangert. Das Gedicht kulminiert zuletzt in jenem «Gebet» des Händlers, das an Zynismus kaum mehr zu übertreffen ist: «Verschone ihr Leben um Christi willn, / Der für uns alle gestorben! / Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück, / So ist mein Geschäft verdorben.»

Wer nur diese – sagen wir einmal kapitalismuskritische und anti-ökonomistische und anti-klerikale Deutungsebene beachtet, wird aus dem Gedicht eine Warnung herauslesen, welche die «Kommerzialisierung der Kultur» betrifft: So weit kann es also kommen, wenn wir den Händlern und ihren sozialwissenschaftlichen Beratern die Verwaltung der Kultur anheimstellen … Höchste Zeit also, die Kultur «zur Sache des Staates» zu machen und damit ihre ökonomische «Verzweckung» zu verhindern oder zu mildern …

Ich meine, dass eine solche Deutung die Radikalität der Botschaft dieses Gedicht unterschätzt. Es steckt noch mehr dahinter, als eine Lektüre mit der kapitalismuskritischen ideologischen Brille erwarten lässt. Ein Dichter wie Heine ist eben nicht so leichtfertig in ein vereinfachendes Links-Rechts-Schema einzuordnen.

Heine geisselt nicht nur die allein auf die egoistischen ökonomischen Zwecke ausgerichtete Perversion kultureller Aktivitäten, er zeigt die Gefahren jeder Art von «Verzweckung» und «Vermachtung» auf: die prinzipielle Unvereinbarkeit von Ordnungsmacht und kultureller Kreativität, die Katastrophe, die verursacht wird, wenn der «Büttel» zum «maître des plaisirs» wird, bzw. der Steuervogt zum Kulturvogt, pardon, Kulturförderer. Die Szenen des «Sklavenschiffs» haben, wie bereits erwähnt, in den «Kulturprogrammen» der Konzentrationslager ihr makabres Pendant gefunden, dort ging es allerdings nicht um wirtschaftliches Kalkül, sondern um einen staatlich angeordneten rassistischen Vernichtungswahn, ein ideologisches Programm. Aber nicht nur der Nationalsozialismus hat die Verbindung von «Büttel» und «maître des plaisirs» praktiziert, auch im Sklavenschiff des DDR-Sozialismus gab es staatlich verordnete und geförderte Kultur, bei der sogar eine dosierte Systemkritik Bestandteil der Förderungsprogramme war und wo die Rolle der «Kulturschaffenden» in perfider Weise mit derjenigen von informellen «Bütteln» d.h. von Stasi-Mitarbeitern verknüpft worden ist.

Gestatten Sie mir hier noch einen kritischen Blick auf das Schicksal jener Kultur, die allein davon abhängt, ob sie vom Staat jene Mittel erhält, die ihre Fortexistenz gewährleisten. Nicht nur in der DDR, im ganzen ehemaligen Ostblock gab es eine durchaus aktive und qualitativ nicht zu unterschätzende Kulturszene, in welcher klassische Musik von Bach bis Schostakowitsch und Theater von Shakespeare bis Brecht und Heiner Müller zu sehr günstigen Preisen und auf hohem technischem Niveau «unters Volk» gebracht worden ist. Nach dem wirtschaftlichen und politischen Kollaps ist dann allerdings auch diese Form von Kulturförderung kollabiert. Bei vielen der einst so grosszügig Geförderten ist dann ein eigentlicher Katzenjammer ausgebrochen, und aus diesen Kreisen stammen nun u.a. die Vorreiter der sogenannten «Ostalgie». Auf den ersten Blick könnte man in dieser Entwicklung einen «Beweis» sehen für die kulturverachtende bzw. -vernichtende Tendenz des blindwütenden Kapitalismus, der wie ein Sturm die vielen unter dem Sozialismus gedeihenden kulturellen Bäume und Bäumchen brutal gefällt hat und eine «kulturlose kapitalistische Wüste» hinterlassen hat.

Ich sehe es nicht so. Die vom Sozialismus staatlich geförderte Kultur hatte den Kontakt zu den wirklich nachgefragten kulturellen Bedürfnissen, für die man auch bereit ist, etwas zu bezahlen, mindestens zum Teil, verloren. Das staatlich geförderte Billigangebot hat die notwendigerweise bestehende Verbindung von Kultur und Ökonomie aus dem Bewusstsein getilgt. Die Kultur ist allerdings nicht völlig abgestorben. Im Gegenteil. «Die Wüste lebt», aber nicht in erster Linie wegen der Fortsetzung der alten Kulturpolitik, sondern weil es eine echte Nachfrage nach Kultur im Sinn des Kreativen, des Wahrem, Schönen und Guten gibt, für das einige, aber niemals alle, auch bereit sind, etwas zu bezahlen. Zwar stimmt der Brecht’sche Satz, dass zuerst das Fressen kommt und dann die Moral. Wann aber kommt die Kultur? Glücklicherweise erwacht bei vielen Menschen die Nachfrage nach Kultur schon auf einem ganz bescheidenen Niveau des Verpflegt-Seins. Und dank dieser Menschen lebt und überlebt die Kultur.

Diese genuine Nachfrage nach Kultur lässt sich auch in zwei bzw. drei Generationen staatlich verordneten Kulturkonsums nicht ganz ausrotten. Wer aus der heutigen kulturellen «Unterversorgung» im ehemaligen Ostblock eine Überlegenheit sozialistischer Kulturförderung ableitet und dafür einen Beweis sieht, dass sich «gute Kultur» eben nicht selbst tragen kann, sondern auf Staatshilfe angewiesen sei, verwechselt Ursache und Wirkung. Eine lebendige Kultur entwickelt sich im Umfeld von vitalen Angeboten und Nachfragen, die möglicherweise staatlich gestützt und gefördert aber niemals voll getragen und gesteuert werden können. Jede Staatskultur wird schliesslich staatssüchtig und staatsabhängig und degeneriert im Zyklus des Machtzerfalls. Was viele aussenstehende Beobachter im ehemaligen Ostblock als Sündenfälle eines entfesselten Ökonomismus und Kapitalismus deuten, ist nichts anderes als die Altlast von totalitären Regimen, in welchen die Kultur durch eine Schicht mächtiger Bürokraten von den Wurzeln der Selbstorganisation und Eigenständigkeit abgetrennt worden ist: Kultur als «Veranstaltung» der Kapitäne des Sklavenschiffs, deren Ziel zwar – auf den ersten Blick – nicht der Gewinn, sondern der politische Machterhalt war. Aber auch dieser hat ja letztlich – wie wir alle wissen – eine ökonomische Komponente.

Die Diskussion um einen neuen Kulturförderungsartikel in der Schweizerischen Bundesverfassung ist bisher kaum je zu den Grundproblemen, die das Gedicht vom «Sklavenschiff» zeigt (aber nicht löst), vorgedrungen. Ist Kultur nun «Sache» der Wirtschaft, indem sie vollumfänglich dem Prinzip von Angebot und Nachfrage unterstellt wird und unter Umständen auch als «Mittel zu rein wirtschaftlichen Zwecken» missbraucht werden kann, oder ist sie «Sache» der politischen Gemeinschaft, der Gemeinde, des Kantons oder des Bundes oder der Pro Helvetia? Die Pro Helvetia wäre – bei aller Anerkennung dessen, was sie leistet, wirklich überfordert, wenn sie plötzlich für «die Kultur» in der Schweiz zuständig wäre, und der Kultur wäre auch nicht gedient, wenn sie plötzlich existenziell von der Pro Helvetia abhienge. Kultur ist meines Erachtens jenseits staatlicher Institutionen, in einem «dritten Bereich» anzusiedeln, der weder ausschliesslich dem Kalkül – des Tauschs (im engeren rein materiellen) noch dem Bannkreis kollektiver Ordnungsproduktion und der (Um-) Verteilung von Zwangsabgaben angehört. Es gibt einen Bereich der Selbstorganisation und des «herrschaftsfreien Tauschs» jenseits rein materieller Interessen, und die Kultur ist auf diesen Bereich ebenso angewiesen, wie dieser Bereich auf die Kultur. Es gibt eine Kultivierung, eine nichtstaatliche Zähmung, des Kommerzes die einer Kommerzialisierung der Kultur entgegenwirkt und letztlich beiden Bereichen dient. Es führt nicht zum Untergang der Kultur, wenn sich die Kultur, wenigstens zum Teil, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage stellen muss. Im Gegenteil. Die Demokratie ist schliesslich auch nichts anderes als die Unterstellung der Regierungsangebote unter dieses Gesetz: Bürgerinnen und Bürger, Steuerzahler auf der Nachfrageseite handeln das Angebot aus, für das sie bereit sind, etwas (in Form von Steuern oder Benutzungsgebühren) zu bezahlen. Die Regierenden müssen die Popularität und Akzeptanz ihrer Angebote und Programme bei Wahlen periodisch immer wieder testen lassen.

Je transparenter dies abläuft, desto kleiner ist die Gefahr, dass sich eine Politik, vor allem auch eine Kulturpolitik, von den ökonomischen, politischen und sozialen Realitäten löst. Dies führt zu einem Postulat, das ich hier nur noch deponiere aber nicht mehr im Detail begründe. Es lautet: Wenn schon öffentliche Kulturförderung, dann im kleinen überschaubaren Rahmen, je nationaler und internationaler man fördert, desto grösser wird die Gefahr, sich von der Realität zu lösen und damit das Lebendige, Kreative zu Tode zu fördern und für die Kultur überlebenswichtige Experimente zu blockieren.

Ebenfalls nur angetönt sei hier das, was ich das «Förderungsparadox» nenne. Wer Teile eines Gesamtsystems durch Zwangsmassnahmen oder Subventionen fördert, behindert, ohne dies zu wollen, oft andere vitale Teile. Die Förderung von A und B bedeutet eben immer auch die Nichtförderung von C bis Z, und die Nicht-Förderung von C- Z verhindert möglicherweise mehr Gutes als die Förderung von A und B bewirkt.

Es gibt als also nicht nur liberale Gründe zur Förderungsskepsis, sondern auch systemtheoretische. Diese gelten allerdings auch für die private Förderung. Das «Förderungsparadox» wird dort allerdings durch die Tatsache gemildert, dass sowohl bezüglich Kriterien als auch unter den Gesuchstellern ein freier Wettbewerb herrscht, der aber durch Staatsförderung wieder verfälscht werden kann.

Alle diese Fragen werden in der kulturpolitischen Diskussion gerne durch mehr oder weniger beruhigende allgemeine ,,Kann-Vorschriften» und durch den Hinweis auf die ziemlich schwammige «Zauberformel» der Subsidiarität offengelassen.

Die gesellschaftlichen Subsysteme waren schon immer miteinander vernetzt. Jacob Burckhardt hat anschaulich geschichtsbildende «Potenzen» unterschieden (und keine «Systeme»): «Staat», «Religion» und «Kultur», wobei er die Wirtschaft und die ganze wissenschaftlich-technische Zivilisation — mit guten Gründen — als Bestandteile der Kultur deutete. (Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Basel 1905). Die Art und Weise, wie Kultur finanziert wird, ist ihrerseits auch wieder Bestandteil dieser Kultur.

Aus dem postkommunistischen Ungarn stammt der drastische Vergleich, welcher die Unumkehrbarkeit gewisser Prozesse illustriert, bzw. die Schwierigkeiten die auftauchen, wenn man konstruktivistische, tote Systeme in spontane, lebendige Prozesse zurückverwandeln sollte. Das Spruch lautet: «Man kann zwar sehr leicht ein Aquarium in eine Fischsuppe verwandeln, das Umgekehrte ist schwieriger».
Im Zusammenhang mit unserm Thema würde dies Folgendes bedeuten:

Staatliche Kulturförderung kann zwar aus einer Institution des öffentlichen Lebens eine Institution der öffentlichen Hand machen, sie kann ein Aquarium in eine Fischsuppe verwandeln, aber kaum eine Fischsuppe in ein Aquarium. Wie entsteht und überlebt aber ein ganzer kultureller «Biotop» von frei lebenden «Kulturfischen»? Gilt auch hier das Prinzip von Fressen und Gefressenwerden, das übrigens — auch in der Natur — kleinen und kleinsten Fischen durchaus gute Lebens- und Überlebenschancen einräumt? Man sollte Metaphern nicht strapazieren, vor allem, wenn es um Analogien von Kultur und Natur geht. Sie vermitteln nie Rezepte, aber immerhin Anhaltspunkte.

In einer berühmt-berüchtigten Rede an der Unesco-Konferenz in Helsinki hat der vor etwa 5 Jahren verstorbene Eugène Ionesco seine Skepsis gegenüber allen Formen der nationalen und Internationalen Kulturpolitik folgendermassen zum Ausdruck gebracht:

«La culture a l’air, de nos jours, d’être un instrument manié par des fonctionnaires pour fabriquer des fonctionnaires qui fabriqueront des fonctionnaires … Cela est en réalité le contraire de la culture … Pour les fonctionnaires et les administrateurs, la culture est une série de tradition : donc du conservatisme chez les Occidentaux, qui sont un peu plus débonnaires, et, chez d’autres, elle est une idéologie, une religion, une contraint, une forme de pensée ou plutôt des formules à imposer par les gouvernantes a leurs gouvernée» («Le Monde», 12. julliet 1972).

Staatliche Kulturförderung rückt die Kultur — ob man will oder nicht — auch dann in den Bannkreis der Macht, wenn es «nur» um die Verteilung von Subventionen geht. Diese Macht kann allerdings demokratisch kontrolliert sein, sie kann auf der politischen Ermächtigung beruhen, ganz bestimmte und beschränkte Aufgaben im Bereich der Pflege des gemeinsamen kulturellen Erbes, der Information und Dokumentation und des Minderheitenschutzes wahrzunehmen. Wenn sich aber Kultur mit Macht verbindet, beginnt — wie dies Wolfgang Kraus formuliert hat «hinter der Kulisse der Scheingeltung ihre Selbstverstümmelung, ihr Verfall. Und da die Menschen es nur selten und nur für kurze Zeit ertragen, auch ihren besten Vorhaben nicht den Nachdruck von Macht zu geben, finden wir in der Geschichte der Menschheit meist nur Ansätze und Fragmente der Kultur, dafür um so mehr Brutalitäten, Kriege und Ausübung von Macht.» (Kultur und Macht; München 1978).

Man braucht ja nicht gleich so pessimistisch zu sein wie Heine, Ionesco und Wolfgang Kraus. Solange auf dem «Sklavenschiff» noch Gedichte entstehen wie «Das Sklavenschiff», leben wir nicht ausschliesslich auf Sklavenschiffen, und solange die Ionescos «Nashörner» auch in subventionierten Theatern zu sehen sind, sind wir noch nicht alle von Kulturfunktionären funktionalisiert. Ich bin für eine strikte Trennung von Staat und Kultur, von Staat und Wirtschaft. Das heisst nicht, dass man «durchs Band» auf jede Form staatlicher Kulturförderung zu verzichten hätte. Wer aber etwas fördert, mit eigenen oder fremden Mitteln, demokratisch legitimiert oder aus privater Initiative, sollte sich an den tiefsinnigen Satz von Friedrich Nietzsche erinnern. «Der Schenkende, der Lehrende und der Helfende sind Vorstufen des Herrschenden.» Jede Krücke kann dazu dienen, dem Gehbehinderten das selbständige Gehen wieder zu ermöglichen, sie kann aber auch dazu beitragen, dass er schliesslich das selbständige Gehen noch ganz verlernt und als ewig Förderungsbedürftiger auf Gedeih und Verderb von den Förderern abhängig wird und bleibt. Ein Blick auf das, was sich zur Zeit in der Österreichischen Kulturpolitik abspielt, mag einiges zur Illustration meiner These beitragen. Die Gefahr der Nicht-Förderung, bzw. Der Nicht-mehr- Förderung nach einem demokratischen Regierungswechsel wird dort von einigen Kulturschaffenden bereits als «Untergang der Kultur» bzw. als Etablierung einer Kulturzensur – und inquisition wahrgenommen. Wie wenn Nicht-Förderung dasselbe wäre wie Behinderung, Zensur und Verbot! Kulturförderung als Hilfe zur Eigenständigkeit macht Sinn, als Vorstufe zur Bevormundung der Produzenten und der Konsumenten leistet sie Beihilfe zur Totengräberei und zu einer unerträglichen Abhängigkeit von denen, die in der Politik das Sagen haben. Die beste Charakterisierung des schwierigen Verhältnisses von Staat und Kultur aus ordnungspolitischer Sicht ist diejenige der «ehrlichen Verlegenheit».

Diese Grundhaltung ermöglicht es einerseits, die Kultur als Sache der Kultur zu sehen und andererseits zwischen Staat und Kultur — subsidiär — jene Osmose zuzulassen, die beiden Bereichen keinen bleibenden Schaden zufügt und — bestenfalls — dem politischen System jene kreativen Anstösse vermittelt, die gerade verhindern, dass es zum «Sklavenschiff» oder zum «absurden Theater» der Funktionäre wird.

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