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Technikfeindlichkeit – Zukunftsangst und Machbarkeitswahn

Lesedauer: 2 Minuten


(Schweizer Monatshefte – Heft 10, 1999 – Seite 1)

EDITORIAL

In seinem satirischen «Philosophischen Mini-Wörterbuch für Heimdenker» hat Rolf F. Schütt die Technik als «Erfahrung, die die Natur mit dem Menschen macht» definiert. Er stellt damit die herkömmliche Sicht- und Denkweise auf den Kopf und zwingt so zum Nachdenken. Wie ist der Mensch an diesem Experiment beteiligt? Als souveräner Meister, als überforderter Zauberlehrling, als Beobachter oder als Beobachteter, als Bestandteil der Natur, oder als ein von der Natur Befreiter bzw. Ausgestossener?

Naturkatastrophen, welche die zivilisierte Welt nicht verschonen, ja, oft sogar besonders empfindlich treffen, führen uns drastisch vor Augen, dass der Mensch den Naturgewalten trotz aller Wissenschaft und Technik in vielen Fällen schutzlos ausgeliefert ist. Ist dies nun ein Grund, die Technik, welche zur Beherrschung und Nutzung der Naturkräfte geschaffen wurde, zu verdammen und blind Rousseaus Appell «Zurück zur Natur!» zu folgen?

Das Motto ist wohl nicht zufällig zu Beginn des Industriezeitalters formuliert worden. Jeder Wandel trifft die Menschen unvorbereitet und erzeugt vor allem bei jenen Angst, die etwas zu verlieren haben. Darum bedeutet «mehr materielle Sicherheit» nicht unbedingt «weniger Angst», und dies erklärt auch, warum Zukunftsängste auch bei hohem Wohlstandsniveau nie verschwinden. Es gibt die Furcht, die sensibilisiert, die im voraus warnt und damit die Sicherheit erhöht. Sie ist von der Angst zu unterscheiden, welche nicht nur «die Seele aufisst», sondern auch die Vernunft.

Die Weiterentwicklung der Technik ist not-wendig für den Menschen, aber auch für die Natur, welche durch den technischen Fortschritt weniger bedroht ist, als sie es durch einen Stop auf dem heutigen Stand des Wissens und der Technik und ihrer aktuellen Anwendung wäre. Technischer Fortschritt ist auf Vernunft angewiesen, und diese erscheint — zwar leider nicht immer, aber doch auch nicht ganz selten — in Verbindung mit der Fähigkeit zur Kritik aufgrund von übergeordneten Wertvorstellungen.

Gute Techniker und Ingenieure sind von Berufes wegen auf Perfektion ausgerichtet und damit notwendigerweise kritisch und selbstkritisch. Dies bewahrt sie vor jener Selbstüberschätzung, welche sich so häufig mit dem Machbarkeitswahn verbindet; diesem Übel verfallen nur die schlechten. Die anderen (die Mehrheit?) überlassen diese Domäne den Politikern.

ROBERT NEF

Schweizer Monatshefte – Heft 10, 1999 – Seite 1

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