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Bevölkerungswachstum – zwischen Optimismus und Pessimismus

Lesedauer: 2 Minuten


(Schweizer Monatshefte – Heft 11, 1998 – Seite 1)

EDITORIAL

Das Thema Bevölkerungswachstum polarisiert. Man spricht einerseits von drohenden Explosionen und von Zeitbomben, aber auch vom Überaltern und Aussterben ganzer Kontinente wegen negativer Reproduktionsraten. Kaum jemand ist in solchen Fragen ganz frei von ethnozentrischem Egoismus.

Bevölkerungsschwund wird bei der eigenen Gruppe bedauert, Bevölkerungswachstum bei Fremden erzeugt Angst und Abwehr. Offensichtlich ist im Bereich der Reproduktion unser primitives stammeskulturelle Erbe noch lebendig, welches dem Eigenen mehr traut als dem Fremden. Führt Bevölkerungswachstum zu mehr wünschenswerter Begegnungsdichte, zu «density» oder führt es zu gegenseitiger Bedrohung, zu «crowding»? Wer hat die besseren Argumente, die Optimisten, die nachweisen, dass zunehmende Bevölkerungsdichte bei offenen Märkten weltweit zur Wohlstandsvermehrung beiträgt, oder die Pessimisten, die seit Robert Malthus’ «Essay on Population», der vor genau 200 Jahren erschienen ist (s. «Schweizer Monatshefte» 6/98), die grosse Ernährungs- bzw. Umweltkatastrophe voraussagen, wenn nicht einschneidende Gegenmassnahmen getroffen werden? Rein quantitativ überwiegen in der Fachliteratur — im Unterschied zum Dossier dieser Ausgabe — die pessimistischen Stimmen, welche das «Experiment Menschheit» in irgendeiner Katastrophe enden sehen.

Demographie versteht sich mit guten Gründen als Frühwarnsystem. Die Vorstellung, globale Entwicklungen liessen sich voraussehen und richtig bewerten, verleitet oft zur Folgerung, man könne und solle sie auch wirksam steuern. Aber wer zählt all die Fehlprognosen, und wer misst all das dadurch bewirkte Fehlverhalten, und wer kann beurteilen, wieviele wirkliche Katastrophen nicht vorhergesehen wurden und wieviel andere durch gut gemeinte Interventionen erst recht herbeigeführt worden sind? Sind nicht viele Wachstumspessimisten, was die Machbarkeit und Steuerbarkeit der Entwicklung betrifft, in einem gefährlichen Ausmass zu optimistisch? Jene Wachstumsoptimisten hingegen, welche jede Art von prognostischer Anmassung und von globalen Patentrezepten scheuen und eher auf eine sorgfältig beobachtende Empirie bauen, sind möglicherweise vernünftiger und zukunftsverträglicher. Wir brauchen auch hier mehr wertneutrale Empirie, mehr Erfahrungsaustausch und weniger Propaganda.

ROBERT NEF

Schweizer Monatshefte – Heft 11, 1998 – Seite 1

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