Ein Plädoyer für mehr Privatautonomie und mehr Kommunalautonomie
Vortrag vor der internationalen Tagung «Selbstorganisierende Gesellschaft (S.O.G.) – Civil Society», veranstaltet von der Friedrich Naumann Stiftung, Konstanz, 27.- 29. Juli 1998
«Keine Regierung und keine Bataillone vermögen Recht und Freiheit zu schützen, wo der Bürger nicht imstande ist, selber vor die Haustür zu treten und nachzusehen, was es gibt.»
Gottfried Keller, Fähnlein der Sieben Aufrechten
1. Ideen- und begriffsgeschichtliche Einleitung
1.1 Der Begriff «Selbstorganisation» wird für ein hoch komplexes Problemlösungsverfahren verwendet, bei welchem zunächst definiert werden muss, was unter dem «Selbst», das organisiert, bzw. organisiert wird, zu verstehen ist.
1.2 «Organisation» kann als Verfahren oder als Resultat verstanden werden. In Verbindung mit einem «Selbst» bleibt die Frage offen, ob «Selbstorganisation» spontan erfolgt («Von-selbst Organisation»), oder als Resultat einer bewussten Konstruktion («Organisiertes Selbst»).
1.3 Das «Selbst» kann ein Individuum sein oder eine Gruppe, die Organisation kann «organisch wachsen» oder eben willentlich konstruiert werden. Dieselben Schwierigkeiten der Definition ergeben sich übrigens auch beim Begriff Autonomie, welcher möglicherweise nichts anderes ist als das aus dem Griechischen stammende Pendant des Begriffs «Selbstorganisation». Wer ist der «Autos», das Selbst, das sich durch «Nomoi», verbindliche Regeln über das Nehmen, Teilen und Nutzen, verpflichtet, und wie vollzieht sich dieser Prozess der Selbststeuerung durch Selbstbindung?
1.4 Die Forderung nach Autonomie kann aus verschiedensten Motiven erhoben werden. Man begegnet ihr sowohl bei Liberalen, bei Sozialisten, bei Konservativen und bei Kommunitaristen verschiedenster Färbung. Autonomie kann sowohl für Individuen (personale Autonomie) als auch für Gruppen (soziale Autonomie) gefordert werden, wobei sich verschiedenste Mischformen ergeben, welche eine ideengeschichtliche und politische Zuordnung erschweren.
1.5 «Autonomie» hat auch zwei prinzipiell zu unterscheidende Gegenkonzepte. Das eine ist die «Heteronomie», die Fremdbestimmung in einer Hierarchie, das andere ist die Anomie, die Regellosigkeit, welche das «Recht des Stärkeren» als einziges Ordnungsprinzip kennt.
1.6 Um das breite Spektrum der Autonomiediskussion aufzuzeigen seien drei Beispiele angeführt:
Kant schreibt 1793 in seinem Aufsatz «Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis»: «Niemand kann mich zwingen, auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen denkt) glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, der ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, (d.i. diesem Rechte des andern) nicht Abbruch tut.»
Der Sozialanarchist Bakunin schreibt 1882 in «Gott und Staat» (Gesammelte Werke 1, Berlin 19921, S. 177): «Die Freiheit ist das absolute Recht aller erwachsenen Männer und Frauen, für ihre Handlung keine andere Bewilligung zu suchen als die ihres eigenen Gewissens und ihrer eigenen Vernunft, nur durch ihren eigenen Willen zu ihren Handlungen bestimmt zu werden, und folglich nur verantwortlich zu sein zunächst ihnen selbst gegenüber, dann aber der Gesellschaft, der sie angehören, aber nur insoweit, als sie ihre freie Zustimmung dazu geben, ihr anzugehören.»
Walter Kaufmann, ein Rechtsphilosoph der die soziale Dialektik ins Zentrum stellt, unterstreicht in seinem Hauptwerk «Jenseits von Schuld und Gerechtigkeit» (aus dem Engl. übersetzt, Hamburg 1974, S. 115, 118) die ab- und ausgrenzende Konzeption der Autonomie: Autonomie als Versuch der Abkoppelung, als Gegenstück zur Sehnsucht nach Integration. «Die Autonomie schliesst Schuldgefühle aus, aber sie bringt das Gefühl der Entfremdung mit sich.»..»Wenn ich sage, die Entfremdung sei der Preis der Autonomie, so meine ich vor allem die Entfremdung vom Mitmenschen und der Gesellschaft, jedoch auch ein Gefühl der Entfremdung von der ganzen Welt und eine selbstkritische Haltung.»
1.7 Die Autonomie von Individuen (personale Autonomie) und Gruppen (soziale Autonomie) kann absolut oder relativ sein. Relative Autonomie geniesst eine Gruppe, die zwar in einer Rechtsordnung eingegliedert ist, aber organisatorisch einen «eigenen Wirkungskreis» hat, der nach eigenen Vorstellungen geregelt werden kann. Absolute personale Autonomie ist eine Ausnahmeerscheinung, absolute soziale Autonomie gibt es nur in einer eigenständigen Gruppe, die lediglich von sich selbst abhängig ist.
1.8 Systeme die ihren Subsystemen Autonomie lassen, sind komplex, unübersichtlich und schwer steuerbar. Sie sind auf den ersten Blick ineffzienter als zentralisierte Systeme. Sie haben nach aussen und innen weniger Macht. Die Autonomie birgt das Risiko suboptimaler Problemlösung. Man kann Autonomie benutzen um etwas falsch zu machen. Die Effizienz eines Gesamtsystems ist aber nicht nur an seiner Machtfähigkeit, sondern auch an seiner Fähigkeit, Macht zu entgiften sowie an seiner Lern-und Adaptationsfähigkeit zu messen. Friedlich konkurrierende, bis hinunter zu den kleinsten Einheiten möglichst autonome Subsysteme ermöglichen eine dauernde Konkurrenz von Ordnungsentwürfen und Interventions- und Umverteilungssystemen. Sie lassen eine Vielfalt verschiedenster Irrtümer und Fehler zu, vermeiden aber den zentral vereinheitlichten grossen Irrtum und Fehler. Eine Optimierung erfolgt durch die Möglichkeit des Quervergleichs, das »Abgucken» beim Erfolgreichen und das gezielte Vermeiden von beobachteten Fehlschlägen. Je freier die Kommunikation ist, desto schneller und effizienter ist der Lernprozess. Autonome Subsysteme sind im politischen Bereich das Pendant zum Markt.
2. Die «Autonomie» der Neuen Linken und was man davon lernen kann
2.1 Der absolute Autonomiebegriff erlebte in der 68er Bewegung der «Autonomen» eine Blütezeit. Das Ziel der «Autonomen» waren von Staat und Gesellschaft abgekoppelte Freiräume für Aussteiger aller Art, die auch als «Zellen» für soziale und politische Experimente und für einen radikalen Neubeginn in eine «postmaterialistischen Ära» gedeutet wurden. Die Experimente scheiterten aus verschiedenen Gründen.
2.2 Einmal fehlte in der Regel die eigenwirtschaftliche Basis. Die «Produktions- und Lebensgemeinschaften» waren nicht genügend produktiv, um nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche Eigenständigkeit zu gewährleisten, so dass dann doch wieder der Bittgang zum verhassten Staat als Subventionsgeber notwendig wurde. Zum zweiten verstrickte man sich bezüglich Abgaben in Widersprüche. Es gibt keine «Autonomie à la carte», welche nur die Nutzen autonomisiert und die Kosten auf Aussenstehende überwälzt. Die «Autonomen Jugendzentren» wollten zwar autonom sein bezüglich Drogengesetzgebung, aber sie reklamierten handfest Steuergelder von jenem Staat und Unterstützung von jener Wirtschaft, die man abschaffen wollte. Alles nach dem Motto: Steuern zahlen: Nein, Steuergelder beanspruchen:Ja. Kurz, es war eine «Autonomie zu Lasten Dritter». Ferner scheiterten die Experimente auch an der Tatsache, dass sich unter den Abgekoppelten kreative «Dissidente» von gewöhnlichen Schmarotzern und Kriminellen nicht abgrenzen liessen. Die Toleranzschwelle wurde daher nicht nur gegenüber dem Gesamtsystem des Staates, sondern auch innerhalb des Subsystems der Autonomen immer wieder überschritten.
2.3 Die Akzeptanz «autonomer Bereiche» sank daher von aussen und von innen unter den Nullpunkt. Die Autonomie tendierte zur Anomie, zur allgemeinen Regellosigkeit. Die Hoffnung auf das Entstehen einer «postmaterialistischen Kultur» war ein Luftschloss. Die «Neue Linke» ist schliesslich an ihrer anthropologisch nicht fundierten sozialromantischen Utopie gescheitert. Sie passte nicht zu den Menschen «wie sie sind» und war nicht in der Lage, eine grössere Zahl von Individuen auf die Dauer im Sinn ihrer Utopie grundlegend zu verändern.
2.4 Die radikalliberale Forderung nach der Privatsierung zahlreicher Infrastrukturaufgaben kann aber ideengeschichtlich als die realitätsbezogene Variante der «Autonomiebewegung» gedeutet werden. «Weniger Staat» bedeutet: «Wo bisher Staat war, soll Privatautonomie werden».
2.5 Bürokratie ist durch Selbstorganisation zu ersetzen, was wiederum Privatinitiative, Verantwortungsbewusstsein und unternehmerischen Sinn für Wirtschaftlichkeit voraussetzt.
3. Privatsierung, Entstaatlichung, Entbürokratisierung, Deregulierung
3.1 Privatisierung bedeutet nicht zwingend Ökonomisierung, man kann Privates auch auf gemeinnützige nicht gewinnorientierte Weise autonom lösen. Aus dieser Sicht wäre die Bezeichnung «Entstaatlichung» bzw. «Entbürokratsierung» besser.
3.2 Gegenüber der Bezeichnung «Deregulierung» gibt es berechtigte Vorbehalte. Man sollte «Regulierung» und «Deregulierung» nur im Zusammenhang mit dem staatlichen Interventionismus verwenden, obwohl es ja auch andere Regelsysteme gibt. Auch private Lösungsmodelle sind regelungsbedürftig. Autonomie ist nicht mit Anomie zu verwechseln. Die privaten, auf Vereinbarungen beruhenden Problemlösungsverfahren schaffen «massgeschneiderte» und nur für die Vertragspartner verbindliche Regeln und sind möglicherweise sogar komplexer als die öffentlichrechtlichen «konfektionierten» Regulierungen. Sie haben aber den Vorteil, dass sie unter den Betroffenen und Beteiligten flexibel und ohne Formalitäten an die sich wandelnden Bedürfnisse angepasst werden können.
3.3 Eine technisch-zivilisierte arbeitsteilige Gesellschaft ist hoch regulierungsbedürftig. Sie kann aber ihren hoch komplexen Regulierungsbedarf nicht mehr über generell abstrakte allgemeinverbindliche Vorschriften bewältigen, sondern muss sich notgedrungen auf ein Netzwerk von privatautonom festgelegten Vereinbarungen abstützen, die in einem dauernden Lernprozess immer wieder zwischen den direkt Beteiligten und Betroffenen ausgehandelt und adaptiert werden.
3.4 Während in der rechtsphilosophischen Debatte noch in den 50er Jahren einerseits mit Bedauern, anderseits mit Freude das Ende des Privatrechts verkündet wurde, kann man am Ende dieses Jahrhunderts die Privatautonomie und das Privatrecht als Schlüssel für die Bewältigung der Zukunftsprobleme in einer globaliserenden Bürgergesellschaft sehen.
3.5 Wo (nationalstaatlicher) Zwang war, soll vertragliche Vereinbarung werden, wo öffentliches Recht war, soll Privatrecht werden.
4. Vom Scheitern umverteilender Sozialpolitik
Die umverteilende Sozialpolitik, welche ein «Leitfossil» des 20. Jahrhunderts ist, hat zur Finanzkrise des Wohlfahrtsstaats geführt. Es zeigt sich, dass sie – losgelöst von der Frage, wie erwünscht sie sein mag -, nicht nachhaltig praktizierbar ist, weil ihre Finanzierbarkeit in Frage steht.
Für das Scheitern umverteilender Sozialpolitik können u.a. folgende Gründe geltend gemacht werden:
4.1 Der Staat kann soziale Probleme nicht befriedigend lösen.
Der Staat ist nicht nur ungeeignet, um wirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen, er ist auch unfähig, soziale Probleme zu lösen, die Kultur zu tragen und weiter zu entwickeln, ethische Werthaltungen und Verhaltensweisen zu garantieren, religiöse Bekenntnisse zu verbreiten und Lebenssinn zu vermitteln.
Ohne ethisches Fundament und ohne die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Unterstützung Notleidender sind soziale Probleme nicht lösbar.
Der Staat kann letztlich nicht sozial sein, und es ist unmöglich, soziales Verhalten von allen Menschen durch die Gesetzgebung zu erzwingen.
Eine Ethik des gegenseitigen Helfens basiert immer auf Freiwilligkeit.
Die wahre Förderung sozialen Verhaltens braucht eine freie Gesellschaft und eine freie Marktwirtschaft, welche auf freiwillig eingegangenen vertraglichen Beziehungen beruht. Eine wirklich “soziale Demokratie” im ursprünglichen Sinn ist vermutlich nur in Verbindung mit «Liberalismus» im ursprünglichen Sinn möglich.
4.2 Unbegrenzte Demokratie und Wohlfahrtsstaat sind auf die Dauer unverträglich.
Demokratie kann nur in einem Staat überleben, welcher seine eigene Zuständigkeit limitiert und vor allem die zulässige Steuerlast und die Quote der Umverteilung begrenzt. Die Notwendigkeit einer Begrenzung des Wohlfahrtsstaates und eines Ausstiegs aus dem Teufelskreis wohlfahrtsstaatlicher Umverteilung ist kein Postulat der Ideologie oder der finanzpolitischen Effizienz, sondern eine Frage der Existenz und der Überlebensfähigkeit. Der Wohlfahrtsstaat ist nicht einfach “zu teuer”, er führt zu einem Zusammenbruch des Gesamtsystems.
Wenn wir die rechtsstaatliche Demokratie erhalten wollen, müssen wir den Wohlfahrtsstaat abbauen und umbauen.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass dieser “geordnete Rückzug” auf demokratischem Weg sehr anspruchsvoll ist, vor allem wenn bereits mehr als die Hälfte der Stimmbürgerschaft zu den Leistungsempfängern gehört. Am Ende einer Sackgasse bleibt nur der Rückweg offen.
4.3 Der Staat kann als Umverteiler des Wohlstands nie gerecht sein.
Der Staat muss als “Hort des Rechts” stets den Anspruch einlösen können, in dem Sinn “gerecht” zu sein, dass er alle Bürger gleich behandelt. Dieser Anspruch ist bestenfalls im Bereich der öffentlichen Ordnung und der Justiz erfüllbar. In allen andern Bereichen führt das politische Versprechen “gerecht” oder “gerechter” zu sein in die grenzenlose Unzufriedenheit und in die grenzenlos wachsenden Ansprüche: in den Teufelskreis der Enttäuschungen und Frustrationen, die schliesslich auch das Vertrauen in das Funktionieren des Staats als Hüter der Ordnung unterminieren.
4.4 Die Maxime liberaler Sozialpolitik ist nicht die wohlfahrtsstaatliche Umverteilung, sondern die Integration derer, die ausgeschlossen sind, und zwar durch gezielte personenbezogene Hilfe (Subjekthilfe).
4.5 Die Finanzkrise des Staates ist das Symptom einer tiefer liegenden Krise.
Die wirkliche Krise des Wohlfahrtsstaates ist die Krise der totalen Überforderung durch nicht mehr einzulösende politische Versprechungen und durch Übertragung von Aufgaben an den Staat, in der Hoffnung, dass er deren Erfüllung in alle Zukunft erzwingen könne. Dieser Zwang stört und zerstört aber jene Bereitschaft, auf der Spontaneität, Gegenseitigkeit, und Freiwilligkeit beruhen, die einzigen langfristigen Garanten sozialen Verhaltens. Dieses Verhalten entsteht und besteht aufgrund von bewährten immer wieder neu verankerten und weiter entwickelten kulturellen und sozialen Traditionen, ohne die keine Gesellschaft längerfristig überleben kann.
4.6 Familien müssen selbsttragend sein.
Familien und vergleichbare Kleingruppen müssen im Normalfall selbsttragend funktionieren und sich dem entsprechenden Wohlstandsniveau ohne staatliche Umverteilung anpassen können. Sie sind die Versorgungs- und Vorsorgeinstitution “für die normalen Not- und Wechselfälle des Lebens”.
Sie können und sollen ergänzt und entlastet werden durch ein vielfältiges und massgeschneidertes Angebot auf dem Versicherungsmarkt.
Der Generationenvertrag sollte – früher oder später – wieder aufgrund selbstbestimmter sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen funktionieren, ohne dass dafür Zwangsabgaben erhoben werden und ein obligatorisches Sozialversicherungssystem ein lebenslängliches kollektives Sparen erzwingt.
Staatliche Sozialbeiträge sollten nur für jene 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung vorgesehen werden, die ohne sie nicht in der Lage sind zu überleben.
4.7 Keine Besteuerung ohne Begrenzung. (No taxation without limitation).
Die heutige Steuer- und Abgabenlast ist ein Relikt aus Kriegs- und Krisenzeiten. Wir müssen wieder zu einer für Zivilgesellschaften in Zeiten relativen Friedens tragbaren Belastung zurückkehren indem die Kompetenz zur Besteuerung auf allen Staatsebenen verfassungsrechtlich beschränkt wird.
Die Europäer mit ihrer von blutigen Kriegen geprägten Geschichte, welche auch das Steuersystem massgeblich beeinflusst hat, sind diesbezüglich – global gesehen – weder Vorbild noch Massstab.
Auch unser Abgaben- und Sozialversicherungssystem ist ein Relikt aus einer Kriegs- und Krisenzeit und wir haben es bisher nicht geschafft, zur Normalität der nicht-interventionistischen Privatautonomie und einer nicht-inflationären Währung zurückzukehren.
Als Steuerzahler leben wir auch in der sogenannt freien Welt immer noch wie in Kriegs- und Krisenzeiten und die «fiskalische Abrüstung» hat noch nicht stattgefunden.
In einer friedlichen Zivilgesellschaft mündiger Bürger sollte die Staatsquote wieder auf den berühmten «Zehnten» des Mittelalters zurückkehren, der in Epochen galt, die nicht periodisch von totalen Kriegen heimgesucht worden sind (anstelle von gut 40 Prozent in der Schweiz, über 5O Prozent in der Bundesrepublik und über 7O Prozent in Schweden).
4.8 Gesucht ist eine «Strategie des geordneten Rückzugs».
Politik wird häufig als “die Kunst des Möglichen” definiert. Im Zusammenhang mit dem Abbau und Umbau des Wohlfahrtsstaates geht es aber um mehr. Wir stehen vor der Herausforderung, vor «der Kunst, das Unmögliche möglich zu machen”.
Das «Wie» dieser Kunst, die Strategie, welche von einem als unbefriedigend empfundenen Zustand A zu einem als besser erhofften Zustand B führt, kann nur von Praktikern und Theoretikern, von Realisten und Utopisten gemeinsam erarbeitet und in die Tat umgesetzt werden.
Der aktuelle Zustand unseres Wohlfahrtsstaates ist nicht einfach ein Engpass sondern eine Sackgasse. Die heutige Konstellation ist nicht zukunftstauglich, weil sie weder auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren kann, noch die sozialen Leistungen erbringt, die gefordert und versprochen werden. Aus einer Sackgasse muss man sich zurückziehen, einen geordneten Rückzug antreten.
«Die Strategie des geordneten Rückzugs» tönt vielleicht etwas konservativ und ist als Motto eines politischen Programms zu wenig attraktiv. Man kann dieselbe Strategie auch «Aufbruch zu neuen Ufern» nennen, denn Freiheit und Autonomie sind Ziele, die vor uns liegen und nie definitiv erreichbar sind.
4.9 Aufbruch wohin?
Die in den 70er Jahren geprägte Formel «Weniger Staat» setzt auf dem Hintergrund einer radikalen Kritik am umverteilenden Wohlfahrtssaat richtige Zeichen. Sie ist aber als politische Maxime ungenügend, solange die Frage «Aber wer löst denn die Probleme, die bisher dem Staat oblagen?» nicht beantwortet ist. Die Freisinnig-demokratische Partei der Schweiz hat daher den Slogan «Weniger Staat» schon vor über zwanzig Jahren ergänzt durch die Forderung nach «mehr Selbstverantwortung». Doch wo und wie entsteht «mehr Selbstverantwortung»? Genügt der «geordnete Rückzug», damit in einer Art «Sponatanzeugung» tragfähige soziale Netze entstehen, welche das brüchige Netz des umverteilenden Wohlfahrtsstaats ersetzen?
5. Die Bürgergesellschaft – Voraussetzung und Folge global vernetzter Gemeinschaften
5.1 «Bourgeois und Citoyen»
Als Bürger bezeichneten sich zunächst die eigenständigen Bewohner von Stadtgemeinden. Nach der Französischen Revolution ist der Bürger zum Inbegriff des gleichberechtigten Mitglieds einer nationalen Gemeinschaft geworden. Die durch Verfassungsrecht vor Staatseingriffen in ihrer privaten und beruflichen Aktivität geschützten und durch «Bürgerliches Recht» privatautonom selbstverantwortlich handelnden Individuen nannten sich stolz “bourgeois”, “Bürger”. Bürgerlichkeit hat aber schon seit ihrem Ursprung in Stadtgemeinden auch eine aktive und verpflichtende Komponente. Keine Bürgerrechte ohne Bürgerpflichten. Für die aktiven, ihr Gemeinwesen politisch mitgestaltenden und finanziell über Steuern mittragenden Bürger kennt die französische Sprache die Bezeichnung “citoyen”. Seine Rechte und Pflichten im Staat und gegenüber dem Staat werden grundsätzlich im öffentlichen Recht definiert. Man mag bedauern, dass die deutsche Sprache für “bourgeois” und “citoyen” nur eine einzige Bezeichnung kennt. Es kommt aber dadurch sehr schön zum Ausdruck, dass der vor Staatseingriffen geschützte Privatmensch und der aktiv am Gemeinwesen Beteiligte und vom Gemeinwesen Betroffene ein und dieselbe Person ist, und dass letztlich in einer funktionierenden Gemeinschaft immer beide Aspekte zusammenwirken müssen.
5.2 Der Begriff «civil society», auf Deutsch «Bürgergesellschaft» oder «Zivilgesellschaft», wird in letzter Zeit immer gebräuchlicher. Er signalisiert eine Ablösung von der nationalen Staatsbürgerschaft. Die Briten haben schon früh den Begriff des Bürgers in einem weiteren Sinn verwendet und damit nach dem ersten Schritt vom Stadtbürger zum Staatsbürger einen zweiten Schritt vom Staatsbürger zum Bürger einer Staatengemeinschaft, eines «Common-wealth» vollzogen. Nach 1989, d.h. nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Sowjetimperiums hat ein weiterer Bedeutungswandel stattgefunden. Während die sozialistische Ideologie das Bürgertum als Klasse definierte, in welcher die Grossbürger angeblich eine Vorherrschaft ausübten, werden in einer demokratischen Gesellschaft jenseits der Klassenkämpfe und der nationalen Kriege tatsächlich alle – zwar nicht gleiche aber gleichberechtigte – Mitglieder von staatlichen und überstaatlichen Gemeinschaften.
(Vgl. dazu Jörg Rappold, Die Bürgergesellschaft – Voraussetzung und Folge global vernetzter Gemeinschaften, Schweizer Monatshefte, Jg.78, Feb. 1998, H.2, S. 3).
5.3 Das Bürgertum als Klasse existiert nicht mehr, bürgerliche Lebens- und Wirtschaftsformen sind zum prägenden, allgemein angestrebten Leitbild in der pluralistischen, arbeitsteiligen, technisch-zivilisierten Gesellschaft geworden. In der Bürgergesellschaft sind alle, die guten Willens sind, auch zur Mitwirkung eingeladen und aufgerufen. Es darf keine neue Klasse der Ausgeschlossenen, Nicht-Beteiligten, Ausgesteuerten geben. Die Bürgerlichen im alten, engeren Sinn müssen den Dialog mit allen Mitgliedern der Bügergesellschaft pflegen, auch mit denjenigen, die grundlegend andere Auffassungen vertreten. Nachdem alle zur Bürgergesellschaft gehören, sind auch alle an der Suche nach gemeinsamen Lösungen für gemeinsame Probleme zu beteiligen.
5.4 Die Bürgergesellschaft ist nichts abschliessend Definierbares. So wie der Begriff des Bürgers sich wandelt, indem er lokale, regionale und ideologische Grenzen überschreitet und zum Inbegriff der Mitgliedschaft in einer weltweit vernetzten ökonomischen und politischen Gemeinschaft wird, so müssen sich auch bürgerliche Institutionen und Organisationen dynamisch dem Wandel anpassen. Es gehört zum Wesen des Bürgerlichen, dass Bürgerinnen und Bürger ihre gemeinsamen Angelegenheiten gemeinsam beweglich gestalten wollen.
5.5 Der «richtige Weg» ist in einem Wettbewerb der Ideen, Modelle, Vorschläge und Experimente immer wieder neu zu ermitteln. Die Diskussion um die jeweils bestmögliche Lösung kann nur dann fruchtbar sein, wenn sich möglichst viele politische und wirtschaftliche Interessengruppen daran aktiv beteiligen, d.h. wenn sie pluralistisch ist. Eine zweite Voraussetzung ist die internationale Zusammensetzung. In einer kontinental und global vernetzten Gemeinschaft kann die Suche nach gemeinsamen Lösungen nur grenzüberschreitend und international organisiert werden. Die dritte Voraussetzung ist der interdisziplinäre Ansatz. Kein vielschichtiges Problem kann heute allein von Fachleuten gelöst werden.
6. Subsidiartät als «Prinzip für alles und nichts»
6.1 Das Subsidiaritätsprinzip basiert auf einer grundsätzlichen Trennung von Individuum, Staat und Gesellschaft, die schon bei Aristoteles angelegt ist. Aus liberaler Sicht ist das Prinzip ein freiheitssicherndes Abwehrprinzip der Individuen gegenüber dem Kollektiv und speziell gegen alle Formen staatlichen Zwangs. Es kommt in den Formeln «In dubio pro libertate» und «Soviel Freiheit wie möglich, soviel Zwang als nötig» zu Ausdruck. In der katholischen Soziallehre findet sich die klassische Formulierung, «dass der Mensch als Individuum jede an ihn herantretende Aufgabe selbst erfülle, soweit er dazu fähig ist. Die Gemeinschaft muss subsidiär eingreifen.»(F. Klüber, Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg i.Br. 1957 ff., Stichwort «Soziallehre»).
6.2 Mit all diesen Formulierungen ist wohl eine Tendenz zugunsten individueller Lösungen im möglichst kleinen Kreis angelegt. Aber sämtliche Formulierungen «im Zweifel», «möglich-nötig» «soweit fähig», sind im höchsten Grad interpretationsbedürftig. Die Gefahr, dass das Prinzip durch Interpretation der Bedingungen, unter denen dann doch der übergeordnete Verband «geeigneter» ist, zentralisierend angewendet wird, höhlt das Prinzip aus. Es wird dadurch sehr häufig bei der Anwendung in sein Gegenteil verkehrt, weil und immer wieder neue Argumente für die «bessere» Zuordnung an zentralere und höhere Instanzen gefunden werden. Wer davon ausgeht, dass die meisten Menschen nicht oder noch nicht mündig seien, und durch komplexe Entscheidungssituationen (z.B. welche Methoden der Empfängnisverhütung moralisch zulässig seien) tendenziell überfordert wären, wird in folgerichtiger Anwendung des Subsidiaritätsprinzips den Papst als abschliessende und «unterstmögliche» Autorität für die Beantwortung dieser heiklen Frage für zuständig erklären. Die an den aufklärerischen pädagogischen Machbarkeitswahn anknüpfenden amerikanischen Sozialwissenschafter, welche von einem Konzept des aktiven Befähigens («enabeling») und des transitiv aufgefassten Begabens und der «affirmative action», welche intervenierend Ungleichheiten kompensiert, anknüpfen, werden ihrerseits keine Mühe haben, sich als «Päpste» des jeweils erzieherisch und sozial «Richtigen» darzustellen, welche nach dem Subsidiaritätsprinzip die «unterstmögliche» Instanz des «Social Engineering» sind .
6.3 Noch schwieriger wird es, wenn man die Fähigkeit zur Problemlösung auch an der Finanzierbarkeit misst. Ein zentralisiertes Steuersystem wird notwendigerweise eine «Unfähigkeit» zur Erfüllung von Infrastrukturaufgaben untergeordneter Instanzen hervorbringen und praktisch eine Einbahnstrasse zur Zentralisierung signalisieren.
So bemerkt etwa der Salzburger Politologe Franz Horner: «Weil die autonomen, privaten Gestaltungskräfte in der Vergangenheit in Wirtschaft und Gesellschaft zu unsozialen Zuständen führten bzw. so eminent bedeutsame Probleme wie Vollbeschäftigung, gleichmässiges Wirtschaftswachstum und Preisstabilität nicht zu lösen vermochten, ist öffentliche Planung und Leitung in der modernen Industriegesellschaft unentbehrlich.» (In: Handbuch für christliche Ethik, Bd.3, Freiburg i.Br. 1982, S. 226). Dies ist ein perfekter Freipass zur schrittweisen Zentralisierung und Etatisierung, und zwar nicht in Abweichung, sondern in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips.
6.4 Obwohl das Subsidiaritätsprinzip verlangt, dass gemeinsame Probleme auf der unterstmöglichen Stufe gelöst werden sollen, enthält es keine Kriterien, welche Lösungen im einzelnen Fall auf welcher Stufe für «möglich» gehalten werden. Es bleibt bezüglich Zentralisierung und Non-Zentralisierung neutral und führt in der Praxis zu zusätzlichen Zentralisierungen.
6.5 Das Subsidiaritätsprinzip muss daher am Ende des bürokratisierenden und zentralisierenden Jahrhunderts in dem Sinn präzisiert und radikalisiert werden, dass es für die Rückgabe von Kompetenz, Verantwortung und Finanzierung an die möglichst kleine bzw. problemnahe autonome bzw. privatautonome Trägerschaft optiert, sobald ein Problem auf der höheren zentraleren Stufe nicht mehr adäquat gelöst bzw. nachhaltig finanziert werden kann.
6.6 Das Subsidiaritätsprinzip ist in seiner ursprünglichen Tendenz der Non-Zentralisierung verfassungsrechtlich zu verankern: Vorrang für die kleinere, bzw. für die private Trägerschaft. Das Subsidiaritätsprinzip in Kombination mit dem Postulat der Entzentralisierung verlangt, dass bei allem Staats- und Zentralitätsversagen privatisiert, dezentralisiert und dereguliert wird.
6.7 Die Lösung öffentlicher Aufgaben auf kommunaler Ebene ist allerdings nicht in allen Fällen optimal. Die Gemeinden können ihre Autonomie auch durch eine demokratisch und populistisch gestützte Reglementiererei missbrauchen. Auch auf Gemeindeebene muss der Grundsatz des «limited government» gelten, und es darf keine grenzenlose Demokratie zu Lasten irgendwelcher Minderheiten praktiziert werden.
6.8 Zu den Regeln, die auf kommunaler Ebene, nicht abänderbar sind, gehören wichtige Prinzipien wie Freiheitsrechte, Rechtsgleichheit, Freihandel, Persönlichkeitsschutz, Eigentumsgarantie sowie Verfahrensgrundsätze wie Willkürverbot, «Treu und Glauben», «Due process of law», «In dubio pro libertate», «In dubio pro reo» sowie das Rückwirkungsverbot beim Erlass und bei der Anwendung gesetzlicher Vorschriften.
6.9 Ein grosser Teil der Probleme, die man in den letzten dreissig Jahren durch Regionalisierung, Zweckverbände, Finanzausgleich und Zentralsierung glaubte organisieren und reglementieren zu müssen, sind in Zukunft durch Privatisierung (nach dem Konzept: Benützer zahlt, Staat leistet allenfalls Subjekthilfe) zu lösen.
7. Autonomie, Regionalismus, Kommunalismus und Transparenz des Steuersystems
7.1 Wer im Zusammenhang mit hohen Idealen wie «Autonomie», «Identität», «Demokratie» und «Minderheitenschutz» auf so prosaische Dinge wie Finanzen und Steuern zu reden kommt, setzt sich leicht dem Verdacht aus, er sei ein Materialist, dessen geistiger Horizont beim Geld beginnt und wieder aufhört. Man sollte die finanzielle Dimension eines Problems nicht verabsolutieren, aber man sollte sie auch nicht verdrängen. Wer zahlt, befiehlt, und wer keine finanzielle Autonomie hat, hat wenig, das er wirklich selbst bestimmen kann.
7.2 Niemand zahlt gerne Steuern, und das Thema «Fiskus» ist auch in der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion eine Materie, in der sich die Spezialisten tummeln. Gemessen am zentralen historischen Stellenwert, den Steuersysteme haben und hatten, ist es erstaunlich, wie wenig Allgemeinverständliches darüber publiziert worden ist. Es gibt zwar ganze Bibliotheken über die technischen Belange des Besteuerns, über die vielfältigen und phantasievollen Methoden alles und alle immer mehr zu besteuern einerseits, und über die ebenso vielfältigen Methoden des legalen oder illegalen Widerstands auf der andern Seite. Dass die Geschichte der politischen Systeme mindestens zur Hälfte eine Geschichte der Steuersysteme ist und eine grosse Zahl von historischen Veränderungen als Steuerrevolten begonnen haben, wird zu wenig beachtet. Historiker befassten sich früher lieber mit den «Heldentaten» auf den Schlachtfeldern oder mit den ideologischen Debatten der philosophischen Führer und Verführer als mit Steuern, obwohl diese für die Lebensqualität eines Durchschnittsmenschen, für seine persönliche Autonomie, eine ausschlaggebende oder eben eine «steuernde» Rolle spielen. Der Beginn der amerikanischen Unabhängigkeit an der «Boston Tea Party», einem Steuerkonflikt, ist das bekannteste, aber nicht das einzige Beispiel. Die Loslösung der Schweiz vom «Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation» ist mit der Weigerung eingeleitet worden, die Reichssteuer zu bezahlen. Zahlreiche andere Sezessionen waren mindestens zum Teil fiskalisch motiviert.
7.3 Die historische und politische Bedeutung der Staatsfinanzen und der Steuersysteme wird häufig unterschätzt, während die ideologischen und nationalen Konflikte überschätzt werden. Wir stehen gegenwärtig vor dem noch nicht geglückten Versuch, die Folgen der zwei Weltkriege und des kalten Krieges für die Staatsfinanzen und die Steuersysteme, wieder in den Griff zu bekommen. Die Bedeutung des Nationalstaates als Fiskalsystem, als Umverteilungs- und Versorgungsmaschinerie ist – bei den Siegern und Verlierern – in den letzten zwei Jahrhunderten in eine Dimension hineingewachsen, die für friedlichere Zeiten absurd ist. Es ist an der Zeit, die politischen Systeme auf jene Bedeutung zurückzuführen, die ihnen in Zeiten relativen Friedens angemessen ist. Die fiskalische Abrüstung ist noch nicht vollzogen. Die Macht unserer Regierungen und die Bevormundung der Bürger ist immer noch auf den Notstand von Kriegen abgestützt, der einen grossen Bedarf an öffentlichem Recht, an Interventionen und Subventionen auslöst. Eine friedliche Bürgergesellschaft wäre dadurch charakterisiert, das sie mit wenigen öffentlichen Ordnungsvorschriften, technischen und sozialpolitischen Infrastrukturen auskommt und ihre Konflikte unter den Betroffenen und Beteiligten privatautonom lösen lässt.
7.4 Viele Autonomiebestrebungen wären gar nicht notwendig, wenn sich die jeweiligen Zentralregierungen auf das beschränken würden, was wirklich not-wendig ist: Begrenzte Herrschaft, d.h. beschränkte Regierungsmacht, limitierte «power to tax» und limitierte unentgeltliche Bereitstellung zentraler öffentlicher Einrichtungen und Dienste. Gebietskörperschaftliche Autonomie würde dadurch im gleichen Prozess erzeugt wie Privatautonomie entsteht, nämlich durch den geordneten Rückzug des politischen Systems aus allen Bereichen, in denen es in einer friedlichen Bürgergesellschaft nichts zu suchen hat.
7.5 Der Kampf um die regionale und kommunale Autonomie ist identisch mit dem Kampf gegen eine überdimensionierte, auf den Notstand des Krieges ausgerichtete zentrale politische Macht- und Finanzierungsstruktur.
7.6 Der Staat hat sich im Lauf seiner Geschichte mit grosser Konstanz zwei grundlegende Kompetenzen angemasst: «Taxation» und «Conscription», d. h. das Recht zwangsweise Steuern zu erheben und das Recht zwangsweise Soldaten zu rekrutieren. Beide Eingriffe in Vermögen und Freiheit waren stets umstritten und die Staaten haben immer wieder Motive vorgebracht, warum beide Kompetenzen notwendig seien. Die Variationen mit denen diese beiden Zielsetzungen durchgesetzt bzw. relativiert wurden, sind sehr vielfältig. Vielleicht sollte man die Staaten nicht nach ihrem Regierungssystem (Monarchie, Oligarchie, Demokratie) klassifizieren, sondern nach der Kombination von Wehrpflicht, Steuerpflicht und Stimmrecht und die gegenseitige Abstimmung von Rechten und Pflichten sowie das allgemeinverbindliche Umverteilungssystem.
7.7 Das seit dem Vertrag von Maastricht zu Recht wieder diskutierte Subsidiaritätsprinzip ist aus dieser Sicht vor allem ein Steuer- und Finanzierungsmodell. Es kann losgelöst von der Frage wer, was für wen finanziert, verteilt und umverteilt gar nicht richtig verstanden werden.
7.8 Die Bedeutung des Steuersystems für die Organisation des politischen Zusammenlebens wird dadurch unterstrichen, dass die Unabhängigkeit der USA durch einen an sich geringfügigen Steuerkonflikt um die Teesteuer ausgelöst worden ist. Der Slogan, der damals geprägt worden ist lautet:«No taxation without representation», keine Besteuerung ohne Mitbestimmung.
7.9 Die Delegation von sozialen und kulturellen Aufgaben an den Staat, in der Hoffnung, dass dieser deren Erfüllung in alle Zukunft erzwingen könne, ist auch in der Schweiz des 20. Jahrhunderts immer wieder praktiziert worden. Dieser Zwang stört und zerstört aber jene Bereitschaft, auf der Spontaneität, Gegenseitigkeit, und Freiwilligkeit beruhen, die einzigen langfristigen Garanten sozialen Verhaltens. Dieses Verhalten entsteht und besteht aufgrund von bewährten immer wieder neu verankerten und weiter entwickelten kulturellen und sozialen Traditionen, ohne die keine Gesellschaft längerfristig überleben kann.
8. Je betroffener desto beteiligter, wer zahlt befiehlt
8.1 «Wer zahlt, befiehlt», ist eine der fiskalischen Grundregeln der Demokratie. Niemand soll besteuert werden, ohne dass er die Möglichkeit hat, die Steuerhöhe und den konkreten Verwendungszweck – wenigstens indirekt – mitzubestimmen. Dieser Grundsatz hat ausserordentlich weitreichende Konsequenzen. Auf dem Hintergrund der Autonomiediskussion führt er zu einer grundsätzlichen Einschränkung der Umverteilung zwischen verschiedenen Regionen und Gemeinden. Jede Auferlegung von Steuern und andern Lasten, jede Verteilung von Steuern und auch jede Umverteilung muss demokratisch legitimiert sein. Wenn man den Grundsatz der Demokratie in dieser Beziehung konsequent zu Ende denkt, gelangt man zu einem weiteren Prinzip, das ebenfalls sloganartig formuliert werden kann. Es lautet folgendermassen und hat für die Autonomiediskussion weitreichende Konsequenzen: «Je betroffener desto beteilgter».
8.2 Dieser Grundsatz ist ein Kernsatz der Autonomisten. Er steht in vielen Fällen in einem direkten Konflikt mit dem radikaldemokratischen Grundsatz «one man, one vote», der – angewendet auf ein grösseres Gebiet – oft zu gegensätzlichen Resultaten führt. In einem heterogenen multiethnischen Gebiet, kann eine Mehrheit von Beteiligten mit dem Prinzip von «one man one vote» eine Minderheit von besonders Betroffenen überstimmen. Im Bereich der Steuern führt dies zu einem besonders brisanten Dilemma. Wenn wir die Bevölkerung grob in zwei Kategorien einteilen, in «taxpayers» und «taxeaters», so ist es nicht nur möglich sondern sogar wahrscheinlich, dass eine Mehrheit von Steuerkonsumenten eine Minderheit von Steuerzahlern majorisiert. Dies kann vor allem dann zu Problemen führen, wenn die Steuerzahler, wie etwa in Italien, vor allem in derselben Region, nämlich im Norden, wohnen, und die Steuerkonsumenten im Süden.
8.3 Aus dem Prinzip «Je betroffener desto beteilgter» kann man ein weiteres autonomistisches Prinzip ableiten, das, etwas überspitzt, folgendermassen charakterisiert werden kann. «No representation without taxation», keine Mitbestimmung ohne Mitbesteuerung.
8.4 Diese provokative These besagt Folgendes: Die Repräsentation von Interessen, die sich in einer bestimmten Region bzw. einem Gliedstaat manifestieren, sollte verbunden sein mit der bei den Verantwortlichen notorisch unbeliebten Kompetenz, die Steuern zu erheben, welche für die Finanzierung der damit verbundenen Anliegen notwendig sind. Oder noch pointierter: Eine Region, bzw. ein Gliedstaat ist nur dann lebensfähig, wenn auch finanzielle Autonomie vorliegt, und zwar eine eigenständige und nicht eine abgeleitete. Notwendig ist letztlich auch die Kompetenz und die Pflicht, jene Einnahmen zu erzwingen, welche zur Lösung der gemeinsamen Probleme gebraucht werden. Dazu gibt es vier Möglichkeiten, von denen keine restlos befriedigt.
Erstens: Man kann kommunale Steuerkompetenzen zentralisieren. Dies ist dann möglich, wenn überhaupt kommunale Steuerressourcen vorhanden sind. Es würde damit eine Zentralisierung zu Lasten von lokaler Autonomie stattfinden. Eine solche Lösung hat in der real existierenden Politik kaum Chancen. Wenn regionale Autonomie zu Lasten lokaler Autonomie erkauft werden muss, so ist dies auf dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips ein Rückschritt . Bei aller Sympathie für das Postulat der Regionalisierung und gliedstaatlicher Autonomie: Die zentralen Postulate für die Bewältigung künftiger Aufgaben heissen Privatisierung und «Local Self-managment», und es gibt zahlreiche Hinweise, dass der wirtschaftliche und politische Erfolg der Schweiz auf einer Kombination von Privatautonomie und Kommunalautonomie beruht.
Zweitens: Der Gliedstaat bzw. die Region kann zusätzlich – kumulativ – zu kommunalen und zu nationalen Steuern ein System von regionalen Steuern aufbauen. Diese Lösung hat kaum Chancen, weil die Grenzen der Besteuerung im bisherigen System meist schon voll ausgeschöpft sind und niemand bereit ist, zusätzliche Steuerquellen zu erschliessen bzw. eigene Steuerquellen – nach oben oder nach unten – abzugeben.
Drittens: Der Gliedstaat, bzw. die Region kann sich durch ein Subventionssystem von oben finanzieren, wenn die Zentralregierung dies durch entsprechende Mittel ermöglicht. Dieses Verfahren ist trotz seiner grossen Verbreitung und seiner Beliebtheit mit Skepsis zu beurteilen. Es gibt zwar den gliedstaatlichen bzw. regionalen Funktionären eine gewisse Macht. Es raubt aber der betroffenen Gebietsköperschaft die Eigenständigkeit und macht sie zur Agentur der Zentralbehörde, nach dem Motto : Wer zahlt befiehlt. Die ganze Regionalisierung, welche unter dem fragwürdigen Stichwort «Dezentralisierung» läuft, ist letztlich eine Entmündigung der kleiner Subsysteme und eine Zerstörung regionaler Autonomie, weil sie die Kleinen von den Subsidien der Zentrale abhängig macht, ein Verhältnis das mit guten Gründen mit einer Sucht verglichen werden kann. Die betroffenen und beteiligten Funktionäre leben dabei recht gut, aber sie repräsentieren früher oder später – bewusst oder unbewusst – faktisch die Interessen der zahlenden Zentralbehörde und verkörpern einen Zustand der dauernden legalen Korruption. Nur jene europäischen Regionalisten, welche auch eine finanzielle Abkoppelung von einer ausgleichenden und umverteilenden Zentrale befürworten, sind echte Befürworter regionaler und lokaler Autonomie.
Viertens: Eine Region, bzw. ein Gliedstaat kann sich durch Beiträge finanzieren, welche die Gemeinden und allenfalls Private für die Benützung ihrer Leistungen und Einrichtungen bezahlen. Dies ist die schwierigste aber die zukunftsträchtigste Finanzierungsform. Sie hat nicht mehr den Charakter von Zwangsabgaben, sondern den Charakter von Benutzungsgebühren, bzw. von Preisen, welche als Entgelt für bestimmte Leistungen erbracht werden. Bei dieser Lösung kommt es auch zu überlappenden Bereichen verschiedenster öffentlicher Einrichtungen, die nicht mehr durch das Territorium, sondern durch die Funktion definiert werden. (Sog. Focj-Modell, d.h. Functional, overlapping, competing jurisdictions, vgl. dazu: Reiner Eichenberger/ Bruno Frey, NZZ Nr. 3O, vom 6. Feb. 1996).
8.5 Am meisten Vorteile hat die vierte Lösung, auch wenn einzuräumen ist, dass sie zur Zeit noch einen hohen Utopiegehalt hat. Sie hat eigentlich nichts mehr mit einem herkömmlichen Steuersystem zu tun und ist ihrem Wesen nach mit dem Konzept der Privatisierung verwandt. Sie entlastet die staatliche Gebietskörperschaft von Zwangsleistungen und Zwangsabgaben und rückt sie in die Nähe eines Dienstleistungsbetriebs, der seine Leistungen auf einem Markt verkauft. Regionalisierung und Kommunalisierung kommt in eine enge Beziehung zur Privatisierung und zum Rückzug des Staates aus der Sackgasse der Aufgaben- und Ausgabenexplosion und aus der Verschuldungsfalle.
8.6 Vom amerikanischen Chief Justice John Marshall stammt der berühmte Satz: «The power to tax involves the power to destroy». Darin kommt das grösste und grundlegendste Dilemma staatlicher Aufgabenerfüllung zum Ausdruck. Jede Regierung will im Auftrag der Regierten öffentliche Aufgaben wahrnehmen und Umverteilung organisieren. Kein politisches System kann daher generell auf die Besteuerung verzichten. Besteuerung lähmt aber immer auch den Leistungswillen und den Sparwillen sowie die Bereitschaft zu persönlicher freiwilliger Solidarität, drei wichtige Grundlagen einer auf die Dauer funktionierenden Gesellschaft (sustainable society). Eine Optimierung staatlicher Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen ist möglich, wenn man auf allen Stufen Kostentransparenz schafft und den politischen Entscheidungsprozess darauf ausrichtet, ein Gleichgewicht zwischen diesen Grössen herzustellen. Je kleiner und je übersichtlicher der Rahmen ist, desto eher ist dies in einer Demokratie möglich. Als Ziel muss uns die kombinierte Minimierung und Limitierung von öffentlichen Aufgaben und der Umverteilung vor Augen stehen.
8.7 Der Schweizer Finanzwissenschafter Charles Blankart hat seine Auffassung über das Autonomieprinzip wie folgt zusammengefasst: «Ein nach dem Autonomieprinzip aufgebauter Staat führt nicht, wie Kritiker oft meinen, zu einem losen Konglomerat von Gemeinden. Vielmehr werden sich mehrere bundesstaatliche Ebenen mit unterschiedlichen Zuständigkeiten herausbilden. Aber jede Ebene oder jeder «Klub» finanziert sich selbst. Damit herrscht Übereinstimmung zwischen Nutzniessern, Entscheidungsträgern und Steuerzahlern. Insbesondere gibt es keine Entscheidungsträger, die nicht Steuerzahler sind. Es herrscht also die institutionelle Symmetrie.» (Charles Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 3. Aufl., München 1998, S. 514).
8.8 In der anschaulichen Terminologie welche «taxpayers» und «taxeaters» gegenüberstellt, könnte man das Prinzip folgendermassen zusammenfassen: No taxeating without taxpaying…Kein Konsum öffentlicher Leistungen ohne Mitträgerschaft der Kosten. Der Trend der Zentralisierung öffentlicher Aufgaben beim Kanton und beim Bund konnte auch in der Schweiz nicht gebrochen werden, obwohl die föderative Staatsordnung diesbezüglich über einige «Bremsen» verfügt.
8.9 Die Finanzverfassung ist ein Kernbereich des Verfassungsrechts, deren grundsätzliche Seite meist unterschätzt wird. Es geht nicht einfach darum, dem Staat durch ein Flickwerk von Improvisationen von Jahr zu Jahr die geforderten Mittel zu beschaffen, es geht um eine klare Limitierung der fiskalischen Zugriffsmöglichkeiten, um die wohl wirksamste Methode, die Staatsquote zu senken und die Standortqualität für die Wirtschaft zu erhöhen. Entscheidend ist, dass die Limitierung steuerlicher Beanspruchung durch Obergrenzen der Progression und der Besteuerung insgesamt, durch Reduktion des Giesskannenprinzips bei der Umverteilung, durch einen limitierten Finanzausgleich sowie durch eine Konkurrenz der Gemeinden, Kantone und Nationalstaaten bei der Besteuerungskompetenz ermöglicht wird. Auch die Verankerung von «Ausgabenbremsen», eine handfeste Limitierung der Verschuldung und eine politisch wirksamere «klagbarere» Verpflichtung zum Budgetausgleich ist anzustreben, wobei die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen «Zauberformeln» noch nicht erfunden sind und die Akzeptanz bei der Mehrheit der konservativen Sozialdemokraten und der sozialdemokratischen Konservativen aller Parteien gering ist. (Vgl. dazu Guido Westerwelle, Wiesbadener Grundsätze für die liberale Bürgergesellschaft, S. 220, 221)
9.Traktanden der Staatsreform
9.1 Aus liberaler Sicht hat eine politisch verfasste Gebietskörperschaft folgende Funktionen: Sie hat als rechtliche Grundordnung des Staates erstens die Freiheiten und Rechte der Staatsbürger und der Einwohner vor Eingriffen der Behörden zu schützen, zweitens die Mitwirkungsrechte im Staat sowie die Pflichten der Bürger und Einwohner gegenüber dem Staat (insbes. Steuerpflicht, Wehrpflicht, Versicherungspflichten und Schulpflicht) zu definieren, drittens die Grundzüge der Staats- und Behördenorganisation insbesondere der Staatsfinanzierung festzulegen, viertens die sozial-, wirtschafts-, und kulturpolitischen Leistungen festzulegen, fünftens Nutzung (Planung, Schutz, Finanzierung, Bau und Betrieb) öffentlichen Eigentums, öffentlicher und gemischtwirtschaftlicher Einrichtungen und Anlagen grundsätzlich zu regeln, sechstens die Modalitäten der Rechtsänderung zu normieren und siebtens den Übergang vom bisherigen zum neuen Recht regeln.
9.2 Die Verfassung einer Gebietskörperschaft muss eine Antwort geben auf die aktuellen, vordringlichen politischen Probleme unserer Zeit, zu denen das unkontrollierten Wachstum der Staatsaufgaben, des Staatsapparats und der Staatsverschuldung gehören.
9.3 Dahinter steckt ein weltweit beobachtbares Phänomen. Es hat sich als ausserordentlich schwierig erwiesen, aus den etatistischen und interventionistischen Teufelskreisen auszubrechen. Es gibt zwar interessante Beispiele für den geordneten Rückzug aus dem nahezu bankrotten Wohlfahrtsstaat (beispielsweise in Grossbritannien, in Neuseeland und in Chile). Die teilweise bemerkenswert erfolgreichen Reformprogramme beruhen aber auf politischen Strategien und nicht auf formellen Verfassungsrevisionen. Die erwähnten Reformen konnten auch, – es sei zugestanden -, vor allem dank relativ zentralistischen Strukturen innert nützlicher Frist durchgeführt werden. Das Übel des Zentralismus, das die Missstände mitverursachte, hat somit auch den relativ raschen geordneten Rückzug erleichtert…
9.4 Die Fragestellungen, welche dem Reformprogramm in Neuseeland zugrunde lagen, sind folgende:
Erstens: Ist diese Norm, Massnahme, Institution wirklich not- wendig?.
Zweitens: Wenn Ja, muss sie unbedingt durch den Staat erlassen bzw. durchgeführt werden?
Drittens: Wenn Ja, wer soll sie bezahlen, der Benutzer oder der Steuerzahler?
9.5 In den meisten Nationalstaaten Europas ist das politische System von einem Ordnung gewährleistenden Rechtsstaat teilweise und schrittweise und zu einem Leistungs-, Lenkungs-, Umverteilungs- und Bevormundungsstaat mutiert.
9.6 Um beurteilen zu können, welche Inhalte ausgebaut, abgebaut oder umgebaut werden sollen, sind zunächst die liberalen Prinzipien der Staatsorganisation festzuhalten. Ganz pauschal lässt sich der Änderungsbedarf wie folgt charakterisieren:
Rechtsstaat (Schutz der Freiheiten und Rechte, Schutz polizeilicher Güter), Gewährleistung von Ordnung: Ausbauen.
Leistungs- und Lenkungsstaat (Infrastruktur): Umbauen, Privatisieren, Deregulieren.
Umverteilungs- und Bevormundungsstaat: Abbauen, Limitieren.
9.7 Folgende Prinzipien sind das Richtmass des Veränderungsbedarfs:
Der wichtigste liberale Grundsatz ist der Schutz der individuellen Freiheit und der Privatautonomie durch die Begrenzung staatlicher Macht. Im Dienste dieses Ziels stehen folgende Institutionen:
Ein Offener Katalog von Freiheitsrechten, die Kompetenzvermutung zugunsten von individueller Freiheit und Privatautonomie, die Trennung von Staat und Gesellschaft, das Subsidiaritätsprinzip in Verbindung mit dem Postulat der Nonzentralität, Privatautonomie und Gemeindeautonomie, Konkurrenz vielfältiger Gebietskörperschaften, Subjekthilfe und Integration statt Umverteilung mit der Giesskanne, Nachhaltigkeitsprinzip, Verantwortungsprinzip, Budgetdisziplin, Transparenz, verfassungsrechtliche Limiten der Besteuerung und der Verschuldung.
10. Der Weg zum selbstorganisierten Optimalstaat, oder:
Von der Robustheit des Komplexen
Folgende Stichworte markieren diesen Weg:
10.1 Es geht in erster Linie darum, eine sozialverträgliche Kombination von Kooperation und Konkurrenz zu finden (Co-opetition): «Miteinander, gegeneinander, durcheinander».
10.2 Vielfalt, Non-Zentralität, Durchmischung, Konkurrenz, flexible Kooperation, Überschaubarkeit statt Übersichtlichkeit, Dergulierung statt Harmoniserung, charakterisieren die lernfähigen, adaptationsfähigen politischen Systeme der Zukunft. Kleinheit wird bei der Organisation und Gewährleistung der notwendenden politischen Ordnung zu einem Vorteil, wenn die Bedrohung durch militärische und wirtschaftliche Macht nicht im Vordergrund steht.
10.3 Im Rahmen verfassungsrechtlicher Limiten können und sollen Entscheidungen direktdemokratisch gefällt werden. Dies gilt ganz besonders auch für die Besteuerung, selbst wenn immer wieder bezweifelt wird, dass Regierung und Parlament so etwas Heikles wie «the power to tax» unvermittelt der Verantwortung der Steuerzahler anheimstellen könnten und dürften. Eine Zuständigkeit der Volksmehrheit für die Festlegung der Steuern auf allen Ebenen der Staatsorganisation setzt allerdings voraus, dass diese nicht allzu progressiv gestaltet sein dürfen, weil sonst eine «demokratische Fremdbestimmung» der Steuerzahler mit höhern Einkommen möglich wird, die schliesslich mit deren «Vertreibung» endet. Pro-Kopf -Abstimmungen funktionieren nur, wenn auch die Betroffenheiten Pro-Kopf vergleichbar sind.
10.4 Auch aus liberaler Sicht wird das Resultat in einem solchen «Durcheinandertal» politischer und fiskalischer Ordnungen nicht überall optimal sein. Es entsteht aber ein Experimentierfeld, ein Markt von politischen Konzeptionen und Steuertarifen, bei dem eine «Abstimmung mit den Füssen» (bzw. mit dem Zügelwagen) um so zumutbarer ist, je kleinräumiger diese Gebietskörperschaften sind. Überzeugte Sozialisten könnten sich beispielsweise angesichts solcher Wahlmöglichkeiten in einer möglichst «roten Gemeinde» (oder – auf höherer Ebene – in einem relativ sozialistischen Nationalstaat) niederlassen. Es muss allerdings durch eine Rahmenordnung gewährleistet sein, dass auch Subsysteme, welche sozialistische Experimente wagen, ihre Aufgaben und Ausgaben selbst ins Lot bringen müssen. Die praktizierte Solidarität in «face-to-face» Gruppen darf nicht zu Lasten Dritter und auch nicht zu Lasten einer anonymen Grossgesellschaft gehen.
10.5 Die Gefahr eines «race to the bottom», des Wettlaufs zum Nullsteuer- und Nullleistungsstaat, ist nicht von der Hand zu weisen, sie darf aber nicht überschätzt werden. Eine politische Unterversorgung bezüglich Ordnung und Infrastruktur ist um so unwahrscheinlicher, als Vergleichsmöglichkeiten mit andern Gebietskörperschaften bestehen, welche eine Nachfrage nach solchen Gütern besser befriedigen. Für erwünschte und knappe öffentliche Güter lässt sich in vielen Fällen durchaus eine Mehrheit von Steuerzahlern zu Steuererhöhungen motivieren, d.h. man ist bereit, einen höheren Preis zu bezahlen, wenn man dadurch die kollektive Lebensqualität erhöhen kann. Dies gilt auch bei Einrichtungen, von denen nicht alle unmittelbar profitieren. Allerdings muss verhindert werden, dass sich ein allgemeines Trittbrettfahren etabliert. Transparante Bezüge zwischen Ausgaben, Leistungen und Bürokratiekosten sowie Budgetdisziplin sind eine Voraussetzung für die Delegation der Steuerhoheit an die Steuerzahler. Der Grundsatz, dass Infrastrukturen von den Benützern zu bezahlen sind, muss auch im kommunalen Bereich angemessen berücksichtigt werden, wenn man die stets vorhandene aber stets auch knappe Soldidaritätsbereitschaft nicht zerstören will.
10.6 Die hier skizzierte polit-ökonomische Mechanik darf durch gut gemeinte Ausgleichszahlungen (interkommunaler, interregionaler und internationaler Finanzausgleich, Förderungs- und Strukturfonds aller Art) nicht gestört werden.
10.7 Je direkter die Demokratie ist, desto stärker wird der Zusammenhang von Steuer und Gegenleistung wahrgenommen und gegenüber den Behörden, die gleichzeitig Steuern erheben und Infrastruktur bereitstellen, zum politischen Thema gemacht. Der mündige Steuerzahler ist in diesem Fall mit dem mündigen Bürger identisch, welcher dauernd kritisch das Preis/Leistungsverhältnis der von ihm gewählten Behörden überwacht, Sparsamkeit und Transparenz fordert und fördert sowie auf Unterversorgungen aller Art empfindlich reagiert.
10.8 Bei hoher Kommunal- und allenfalls auch Regionalautonomie (und, auf europäischer Ebene, Nationalautonomie) muss allderdings auch das Risiko von durchaus unliberalen Experimenten und auch von Versorgungsengpässen aller Art in Kauf genommen werden. Die Grenze des Experimentierens sollte bei Menschenrechtsverletzungen liegen, welche generell nicht geduldet werden dürfen, und die ein überlokales und überregionales Sanktionssystem voraussetzen.
10.9 Es soll nicht verschwiegen werden, dass Vereinheitlichung, Harmonisierung und Zentralisierung, wenn sie liberale Ziele anstreben, insgesamt und per saldo in erster Annäherung durchaus «mehr Freiheit» bringen können, vor allem in diesbezüglich rückständigen Gebieten. Zentralisierung birgt aber auch die Gefahr einer Vereinheitlichung gemäss dem neuesten Stand des wissenschaftlichen und politischen Irrtums in sich, – auch Liberale sind davor nie gefeit… Lauter kleine non-zentrale Irrtümer, die gegeneinander konkurrieren, sind hingegen auf die Dauer auch puncto Freiheitsgehalt und Lernfähigkeit im Vergleich mit einem hoch zentralisierten System effizienter und – nach aussen und innen – weniger gefährlich.