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Werkstätten für die Zukunft

Lesedauer: 2 Minuten


(Schweizer Monatshefte – Heft 5, 1998 – Seite 1)

EDITORIAL

Mit guten Gründen bedauert man den Verlust der Anschaulichkeit und der Unmittelbarkeit, welche mit dem Übergang von der Industriegesellschaft in eine Dienstleistungsgesellschaft verbunden ist. Im Zentrum menschlicher Arbeit steht heute nicht mehr die sinnlich wahrnehmbare Herstellung eines Produkts — sie wird zur Hauptsache von Maschinen besorgt —, sondern die Mehrung und Vertiefung des Wissens und seine zeitgerechte und effiziente Kommunikation. Dass bereits in der traditionellen Werkstatt das Wissen eine zentrale Rolle gespielt hat und immer noch spielt, zeigt jene Anekdote, in welcher ein Handwerker für seine Bemühungen bei einer Reparatur 10 Franken fakturiert und weitere 100 für das «Gewusst wo». Dieses «Gewusst wo» wird in Verbindung mit dem «Gewusst wie» und dem «Gewusst warum» in einer Wissensgesellschaft eine entscheidende Rolle spielen. Die Universitäten rücken damit ins Zentrum des wirtschaftlichen Interesses und werden zu einer Schaltstelle für die Bewältigung des nächsten Zivilisationsschrittes. Der effiziente Umgang mit der Wahrheitssuche und mit der Vorbereitung von Kadern für anspruchsvolle Funktionen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik erhält eine Schlüsselfunktion, von der über die internationale Konkurrenzfähigkeit des Standortes Schweiz bzw. des Standortes Europa auch die Lösung einer befriedigenden Verteilung der Arbeit auf funktionierenden Arbeitsmärkten abhängt. Die Verantwortung ist gross, und sie wird in den Universitäten erkannt. Dass daraus letztlich immer auch zusätzliche finanzielle Forderungen an den Staat abgeleitet werden, ist verständlich, aber nicht zukunfisweisend. Der Staat kann die Gesamtverantwortung für die Finanzierung der Bildung und Ausbildung nicht allein übernehmen, er kann und darf auch nicht als Monopolist jene Werkstätten betreiben, welche sich mit der Zukunft befassen. Der «Denkplatz Schweiz» braucht verschiedene konkurrierende Zukunftswerkstätten, welche die Suche nach der Wahrheit nonzentral angehen und stets mit der Möglichkeit von Irrtümern rechnen, die keinesfalls zentralisiert und für allgemeinverbindlich erklärt werden sollten. Gottfried Kellers «Kantate zum fünfzigjährigen Jubiläum der Hochschule Zürich» schliesst mit der bemerkenswerten Mahnung: «Ergründe kühn das Leben, / Vergiss nicht in der Zeit, / Dass mit verborgnen Stäben / Misst die Unendlichkeit.»

ROBERT NEF

Schweizer Monatshefte – Heft 5, 1998 – Seite 1

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