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Erb und Eigen

Lesedauer: 18 Minuten

Sprach- und kulturgeschichtliche Hinweise

“Nobody knows what liberty is – everybody knows what property is.”
(Algirdas Degutis, Vilnius/Litauen 1993)

Wenn wirklich alle darüber einig wären, was Eigentum ist, würden ganze Bibliotheken und auch dieser Beitrag überflüssig. Offenbar gibt es trotz allgemein anerkannten Legaldefinitionen und trotz der kaum bestreitbaren alltagssprachlichen Selbstverständlichkeit noch genügend Diskussionsstoff rund ums Privateigentum. In der eingangs zitierten lapidaren und paradox scheinenden Aussage, die wohl nicht zufällig aus einem ehemaligen Ostblockland stammt, steckt allerdings mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Bonmots enthüllen ja in der Regel nur die halbe Wahrheit, aber das ist (nach einem Aphorismus von Stanislaw Jerzy Lec) immerhin “ein ungeheuer hoher Prozentsatz”. Im Folgenden sollen über das subtile Verhältnis von “Eigentum” und “Freiheit” einige Reflexionen dargestellt werden, welche Wortbedeutungen ernst nehmen und zur Klärung herbeiziehen. Die Herausforderung, welche in dieser, für die Ideengeschichte des Liberalismus zentralen Thematik enthalten ist, besteht u.a. darin, dass sich Begriffe mit offenem und kontroversem Inhalt gegenüberstehen und Unbestimmtes mit Unbestimmbarem erklärt werden muss. In einer solchen – übrigens durchaus nicht aussergewöhnlichen – Situation bedeutet die Aussage, es wüssten alle, was Eigentum ist, eine Erleichterung. Wo kämen wir hin, wenn wir nicht immer wieder dieses Vertrauen in die Selbstverständlichkeit und das nicht mehr in Frage gestellte Einverständnis, die mit Worten verbunden werden voraussetzen könnten…

Privateigentum als “ideologisches Schlachtfeld”

Im folgenden Beitrag sollen keine neuen allgemeingültigen Definitionen von “Freiheit” und “Eigentum” entwickelt werden. Es geht auch nicht darum, den einen Begriff gegen den andern auszuspielen. Die ideologische Kontroverse, ob das Privateigentum die Hauptquelle oder das Haupthindernis für persönliche Freiheit sei, beschäftigt Politiker, Philosophen, Juristen, Ökonomen und Theologen schon seit der Antike. Die Frage nach dem Stellenwert des Privateigentums gilt als eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen “rechten” und “linken” Parteien. Nach der “Französischen Revolution” welche das Privateigentum für “heilig und unverletzlich” deklarierte, begann jene ideologische Auseinandersetzung, welche im 19. Jahrhundert im Mittelpunkt stand. Alexis de Tocqueville hat im ersten Teil seiner Erinnerungen (1848) folgendes vorausgesagt: “Bald wird der politische Kampf zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen ausbrechen. Das Eigentum wird das grosse Schlachtfeld bilden und die hauptsächlichen politischen Streitfragen werden sich um die mehr oder weniger tiefgreifenden Veränderungen drehen, denen die Rechte der Eigentümer unterworfen werden sollen.”

Im 20. Jahrhundert, einem Jahrhundert der Kriege, hat die “Heiligkeit nationaler und sozialer Interessen” eine grössere Rolle gespielt als die Unverletzlichkeit des Privateigentums. Enteignungen, Geldentwertungen, und zwangsweise Umverteilungen durch Steuern und Abgaben in historisch noch nie dagewesener Höhe erlangten in Notzeiten eine derartige Akzeptanz, dass sie auch in Programme eigentumsfreundlicher bürgerlichen Parteien integriert wurden. Eine eigentliche Abkehr vom eigentumsfeindlichen Notrecht hat nie mehr stattgefunden. Dies ist wohl der Grund dafür, dass die radikale Grundsatzdiskussion rund ums Privateigentum seltener geführt worden ist und geführt wird als dies der sonst so hellsichtige Tocqueville vorausgesagt hat. Vielleicht hat man allerdings unter dem Eindruck der Marx’schen Radikalkritik, welche das Privateigentum zum Sündenbock für alles Böse in der Welt werden liess, die Bedeutung der Kontroverse auch überschätzt. Der grundsätzliche Meinungsgraben beim Thema Eigentum wird aber heute innerhalb der vielfältigen parteipolitischen Koalitionen doch zu unbedacht zugeschüttet. Insbesondere die eigentumsrechtlichen Schranken der Besteuerung werden in ihrer Bedeutung unterschätzt. Auch das Bürgertum ist heute stark vom sozialdemokratischen Konsens geprägt, während der Sozialismus seine radikalen eigentumsfeindlichen Positionen, die stets nur bei einer Minderheit von Intellektuellen Anklang fanden, schon längst vor der “grossen Pleite” im Ostblock aufgegeben hat.

Die Verfassungen sozialistischer Staaten haben das Privateigentum an Arbeitseinkünften, an Ersparnissen und an ererbten Vermögen stets zugelassen. John Stuart Mill hat in seinem Werk “Principles of Political Economy” zwei Kategorien von Gegnern des Privateigentums unterschieden: die Kommunisten und die Sozialisten im weiteren Sinne. Der “real existierende Sozialismus” des 20. Jahrhunderts fällt unter die zweite Kategorie, sodass sich die eigentliche Kontroverse ins Spannungsfeld “Freiheit” versus “Gleichheit” verlagert hat. Dies führte zu einer Verflachung der Auseinandersetzung, indem auch die eigentumsfreundlichen “Rechten” mannigfaltige Einschränkungen des Privateigentums unter dem Stichwort “Sozialbindung” und “Beschränkung im öffentlichen Interesse” befürworten. Der zunächst prinzipielle Gegensatz zwischen Befürwortern und Gegnern ist in diesem Jahrhundert immer mehr zu einem graduellen geworden. Wohlfahrtsstaatlich motivierte Beschränkungen und Beeinträchtigungen des Privateigentums geniessen eine hohe Akzeptanz.

Selbst F.A. von Hayeks moderate Kritik am Wohlfahrtsstaat ist in der Grauzone zwischen prinzipiellen und graduellen Standpunkten anzusiedeln. In seinem Werk “Verfassung der Freiheit” distanziert er sich vom radikalen “strengen Standpunkt”, “dass sich der Staat mit solchen Dingen” (gemeint ist die Sozialpolitik) ” überhaupt nicht befassen solle.” Bei der Befürwortung einer Garantie des Existenzminimums mit öffentlichen Mitteln geht er sogar so weit, dass er “mit zunehmendem Reichtum” eine allmähliche Steigerung für unschädlich hält. “Es gibt” für Hayek “auch kaum einen Grund, warum die Regierung nicht auf Gebieten der Sozialversicherung oder dem Erziehungswesen eine Rolle spielen oder sogar die Initiative ergreifen oder nicht vorübergehend experimentelle Entwicklungen subventionieren sollte.” (1)

Radikaler oder “sozial gebundener” Eigentumsbegriff?

Die ursprünglich radikale und prinzipielle Kontroverse um das Verhältnis von Freiheit und Eigentum, bei der auf der einen Seite etwa Aristoteles, Thomas von Aquin, Locke und Kant stehen und auf der andern Plato, Franz von Assisi, Rousseau und Marx, ist im 20. Jahrhundert verblasst. Im linken, eigentumskritischen Lager hat man vor der empirisch eindrücklichen anthropologischen Verankerung des “Besitzestriebs” resigniert und die Sinnlosigkeit einer zwangsweisen Aufhebung eingestanden, im rechten Lager der Eigentumsfreunde hat man zu einer Interessenabwägung Zuflucht genommen, welche Enteignungen im öffentlichen Interesse (bzw. im wirtschaftlich und gesellschaftlich dominierenden Gruppeninteresse) akzeptiert und lediglich über Entschädigungshöhen und -verfahren debattiert. Der Unterschied liegt nur noch in der Verteilung der Beweislast: “Soviel Schranken wie möglich, soviel Privateigentum wie nötig” auf der linken Seite, “soviel Eigentum wie möglich, soviel Schranken wie nötig” auf der rechten. Dies hat im Effekt zur erwähnten, insgesamt eher kleinlichen Diskussion um die Definition “öffentlicher Interessen” geführt und um die Instrumentarien der sogenannten “Sozialbindung”.

Eine typische Begleiterscheinung dieser Kontroverse ist die bei Juristen beliebte Diskussion der “immanenten Schranken” des Privateigentums. Sie hat eine logisch-terminologische und eine inhaltlich-ideologische Dimension, was oft nicht klar genug unterschieden wird. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert das Privateigentum und erwähnt gleichzeitig ausdrücklich dessen Sozialgebundenheit. Diese Regelungsart spricht eigentlich gegen die Immanenz der Schranken. Wenn die Sozialbindung notwendigerweise bereits durch den Begriff gegeben wäre, würde sich die besondere Hervorhebung erübrigen. Die Auseinandersetzung um den Begriff löst die politische Kontroverse nicht. Man kann ohne weiteres für eine sehr weitgehende soziale Bindung des Privateigentums sein und trotzdem einen an sich unbeschränkten, radikalen Eigentumsbegriff vertreten. Klare und eindeutige Grenzen lassen sich am besten ziehen, wenn von einem nicht relativierten Eigentumsbegriff der rechtlich geschützten umfassenden Sachherrschaft ausgegangen wird. Eine schrittweise Uminterpretation von ursprünglich klaren herkömmlichen Begriffen führt, wie man schon bei Orwell nachlesen kann, schliesslich zu jener allgemeinen Konfusion, in der die Bedeu-tung von Worten von jenen vorgeschrieben wird, die politisch an der Macht sind. Es gibt also gute Gründe, die ideologische Diskussion um das Privateigentum von der logischen zu trennen und nicht “in den Begriff hinein” zu verlagern. Dann bleibt auch klar, dass die sogenannten Schranken des Privateigentums von zwei verschiedenen Seiten her gesetzt werden: einerseits willentlich durch Rechtsnormen, die in einem politischen Prozess geschaffen werden und andererseits durch die ökonomische, soziologische und technisch-zivilisatorische Vernetzung, welche eine Isolierbarkeit von Gegenständen, Personen und Rechten unabhängig von irgendwelchen Bekenntnissen tatsächlich erschwert. Der juristische Eigentumsbegriff ist nur der “sichtbare Teil des Eisbergs”, den das Eigentumsproblem in seinen rechtlichen und politischen, ökonomischen und soziologischen Dimensionen tatsächlich ausmacht.

Da sich auch Wissenschafter bei ihrer Suche nach Wahrheit nur ungern dem Vorwurf aussetzen, asozial zu sein, ist heute in der Rechtswissenschaft die Meinung vorherrschend, die Schranken des Privateigentums lägen schon im Begriff selbst vor, und ein “unbeschränktes Eigentum” sei gar nicht denkbar. Terminologie ist immer auch eine Frage der Übereinkunft. Wenn sich die Fachterminologie allzu weit vom historisch belegten bzw. eingebürgerten Sprachgebrauch entfernt, so verdunkelt sie die Probleme, die sie erhellen sollte. Aus diesem Grund wird hier Position bezogen zugunsten eines genuin unbeschränkten Eigentums, bei dem der Eigentümer über den Gebrauch, die Nutzung und Veräusserung und auch über den Verbrauch und den Missbrauch (usus, usus-fructus und abusus) verfügt. Der Hinweis auf den möglichen Missbrauch hat sozial Denkende und Fühlende immer wieder zur Kritik herausgefordert. Die Kritiker haben dabei vielleicht zu wenig berücksichtigt, dass es für die Unterscheidung von “Gebrauch” und “Missbrauch” in zahlreichen Fällen gar keine objektiven Kriterien gibt. Gerade die testamentarische Verfügung über “Erb und Eigen” erscheint den Bedachten als äusserst sinnvoller “usus”, während alle, die leer ausgehen verständlicherweise eher an einen “abusus” denken. Dies gilt auch bei allen andern Arten der Verfügung und Nutzung. Was die einen als sinnvollen “usus” ansehen, erscheint andern als verderblicher “abusus”, und es gibt weder eine politische noch eine ethische Instanz, welche abschliessend und allgemeingültig darüber befinden könnte. Die klare Unterscheidung von persönlich definierter Verfügung über das Eigentum und allfälligen politischen Restriktionen ist gerade aus dieser Sicht in einer freiheitlichen Ordnung entscheidend. Es gilt hier der Grundsatz : Im Zweifel für die Freiheit. Die Verfügbarkeit des Privateigentums wird in erster Linie nicht durch den Willen der politischen Gemeinschaft definiert, sondern durch den Willen des Eigentümers selbst: durch den unbeschränkten “Herrn der Sache”.

Dass die tatsächlich gegebenen Möglichkeiten nie schrankenlos sind ist unbestritten, und dass die meisten Menschen – vor allem wenn man sie nicht unter Druck setzt – auch ethische Schranken akzeptieren, entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung.

Eigentum als Sachherrschaft

Eine klassische Umschreibung der hier vertretenen Auffassung vom umfassenden Herrschaftsrecht an einer Sache findet sich im Neuen Testament bei Matthäus im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. ( Mt 20, 1 -16). Der Text verdient aus liberal-marktwirtschaftlicher Sicht aber auch aus andern Gründen höchste Beachtung). Im Vers l5 finden wir die das Eigentum charakterisierende Frage: “Steht es mir nicht frei, mit dem Meinigen zu tun was ich will?”

Die Auseinandersetzung um den juristischen Eigentumsbegriff würde an Klarheit gewinnen, wenn in der Diskussion die präzisere Bezeichnung “rechtlich geschützte umfassende Sachherrschaft” verwendet würde. Der komplexe Begriff wird so in Teilprobleme zerlegt und man ist gezwungen, sich sowohl mit dem Begriff der Sache als auch mit dem Begriff der Herrschaft auseinanderzusetzen und die Frage zu beantworten, was es denn mit dem Belieben des Eigentümers, über das Seinige frei verfügen zu können, auf sich habe. Das ethische Problem, dass “Herrschaft über Sachen” über das Ausschlussrecht auch “Herrschaft über Personen” bewirken kann, sollte m. E. nicht “verniedlicht” werden. Die Problemkreise sollten aber doch auseinandergehalten werden. Die Fremdbestimmung Dritter durch das Eigentümerbelieben, das nach frei gewählten Kriterien die einen begünstigt und die andern benachteiligt, ist keine direkte, befehlende und allgemein zwingende, sondern eine indirekte Fremdbestimmung, die zwar im speziellen Fall “nach Belieben ausschliesst”, aber kein allgemeines positives Tun erzwingt.

Die erwähnte politisch – juristische Diskussion um die Schranken des Privateigentums ist den prinzipiellen Fragen immer mehr ausgewichen. Im Zentrum standen und stehen die Fragen nach den vielfältigsten mehr oder weniger guten oder auch nur gut gemeinten Schranken des Privateigentums sowie nach den mehr oder weniger gut begründeten öffentlichen Interessen, die gegenüber den Eigentümerinteressen angeblich überwiegen sollen. Die entscheidende und prinzipielle Grundfrage wird dabei kaum mehr gestellt: Gibt es nicht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der möglichst ungeschmälerten Garantie des Privateigentums, welche das Eigentümerbelieben darum schützt, weil dies im Endeffekt – alles in allem – die sozialverträglichsten Folgen hervorruft?

Erst in neuerer Zeit wird der Zusammenhang von Privateigentum und Freiheit von libertären Theoretikern wie Murray Rothbard wieder ins Zentrum gerückt. Aus dieser sehr bemerkenswerten Sicht hat der Staat keine andere Aufgabe als den Schutz vor Gewaltakten (Strafrecht) sowie die Garantie des Privateigentums und der Privatautonomie. Hayek hält einen solchen Standpunkt zwar für vertretbar, meint aber doch, “dass er mit Freiheit nicht viel zu tun hat” (2

Life, Property, Liberty

Das eingangs zitierte Bonmot befasst sich nur mit zwei Begriffen, mit dem Spannungsfeld von “liberty” und “property”. In John Lockes “Second Treatise of Government” findet sich die seither klassisch gewordene Dreierformel “life, liberty and property”.

Durch die Erweiterung der Zweierformel “property” und “liberty” durch den Hinweis auf das Leben wird die Basis dessen, “was alle wissen” noch verbreitert. Leben ist etwas Elementares, sinnlich Wahrnehmbares, und das “Recht auf Leben” ist eine Voraussetzung jedes andern Rechtes. ( Immerhin gibt es auch für das Phänomen “Leben” keine abschliessende naturwissenschaftliche Definition und der “Anfang des menschlichen Lebens” sowie der Schutz des Embryos bleiben Gegenstand heftiger Kontroversen).

Wenn man von der antiken Zweiteilung von Physik und Metaphysik ausgeht, so kann der “Physik des Lebens” die “Metaphysik der Freiheit” gegenübergestellt werden – in Anlehnung an das eingangs erwähnte Bonmot könnte man sagen: das Selbstverständliche (“property”) dem Unverständlichen (“liberty”). Bei dieser Gegenüberstellung gelangt “property” in eine Zwischenstellung, welche eine Art Korrespondenz herstellt, ein vermittelndes Prinzip, das “Leben” mit “Freiheit” verbindet. Die Änderung der Reihenfolge ist mehr als nur ein rhetorischer Trick. (Sie korrigiert vielleicht eine Reihenfolge, die eher mit dem Stabreim der beiden “l” von “life” und “liberty” zu tun hat als mit einer inhaltlichen Begründung…). Wenn hier nach “life” “property” gesetzt wird, so soll damit einerseits eine Stufenfolge markiert werden und andererseits eine Rangfolge. Die Stufenfolge ist auch entwicklungsgeschichtlich nachweisbar. Voraussetzung für das Leben sind eine individuelle Gestalt, ein Austauschprozess von Aktionen und Reaktionen sowie eine Entwicklung. Mit guten Gründen kann man diese Merkmale schon bei der Befruchtung feststellen, und sie verdeutlichen sich bei der Geburt und im Rahmen der frühkindlichen Entwicklung. Eine wichtige Funktion für die Herausbildung des Bewusstseins von “Eigentum” und “Freiheit” hat die Isolierbarkeit. Eigentum betrifft Relationen zwischen Personen und Sachen und bestimmte Relationsmöglichkeiten zwischen Personen im Hinblick auf Sachen, und sowohl Personen als auch Sachen können nur definiert werden, wenn sie sich durch individuelle Merkmale von grösseren Zusammenhängen unterscheiden lassen.

“Property” hat allerdings eine umfassendere Bedeutung als der deutsche Begriff “Eigentum”. “Property” ist mehr als Sachherrschaft, es ist der Inbegriff aller vermögenswerten Rechte. Derselbe Begriff wird zudem auch im Zusammenhang mit den Persönlichkeitsrechten verwendet, indem man die Persönlichkeit – anschaulich und folgerichtig, aber in Abweichung von der deutschsprachigen wissenschaftlichen Terminologie – als das Eigentum am eigenen Körper, das Sich-selbst-gehören und demzufolge Über-sich-selbst-verfügen-Können gedeutet werden kann. Auf diesem terminologischen Hintergrund wird die Vermittlungs-funktion von “property” noch einmal veranschaulicht. Die biologische Tatsache des Lebens wird mit der soziologischen Tatsache des Besitzens durch eine institutionelle, politisch-rechtlich Anerkennung zum Eigentum, und dieses Eigentum ermöglicht die individuelle Entwicklung zur Person, die frei und unabhängig sein will. Eigentum ist die “äussere Sphäre der Freiheit”, die materielle Voraussetzung für eine autonome Persönlichkeit, welche nimmt und gibt, tauscht und teilt.

Die – durchaus nicht zufällig – in England geprägte Dreierformel “life, liberty, property” bildet nicht nur als Slogan eine organische Einheit. Benjamin Constant hat Grossbritannien als das “freieste Land der Welt” bezeichnet. Hauptgrund dafür ist nach seiner Meinung die Vielfalt verschiedenster Gesetze und Sitten sowie die Tatsache, “dass nirgends der Besitz besser gesichert, die Rechte der Menschen besser geachtet und die Rechtsprechung unparteiischer seien.” (4)

Die innere Verknüpfung von Eigentum und Freiheit ergibt sich auch durch historische und entwicklungsgeschichtliche Zusammenhänge, die allerdings sehr subtil und wechselseitig sind. Im Vergleich zu dieser angelsächsischen “säkularen Dreifaltigkeit” taugt der von einem katholischen Priester geprägte Schlachtruf der französischen Revolution “liberté, égalité, fraternité” kaum als Grundlage eines liberalen Programms. Es führt kein entwicklungsgeschichtlicher Weg von der Freiheit zur Gleichheit und auch keiner von der Gleichheit zur Freiheit, und auf die Brüderlichkeit ist seit Kain und Abel keinerlei Verlass. Sie entzweit meist mehr als sie vermittelt und versagt deshalb als “Prinzip der Korrespondenz”. In Anlehnung an das einleitend verwendete Zitat wäre auch zu bemerken, dass es hier nichts Selbstverständliches gibt, “von dem alle wissen was es ist”: “Freiheit” und “Gleichheit” sind wenig anschauliche Ideale, die sich mindestens zum Teil gegenseitig ausschliessen. Bei den vielen – trotz oder wegen ihrer Kompromisslosigkeit vergeblichen – Versuchen, diese Ideale zu verwirklichen sind schon zahllose Verbrechen begangen worden. Das Anschaulichste der drei Ideale ist wohl die Brüderlichkeit. Es gibt aber fast so viele Arten der Brüderlichkeit, wie es Brüder gibt, während Eigentum, unabhängig von der Vielfalt der Eigentümer, stets Eigentum bleibt.

Liberi – die Freien, die Kinder, die Erben

Nach dem klassischen “Deutschen Wörterbuch” von Hermann Paul (5) geht das Wort “frei” auf eine gemeingermanische Wurzel zurück, “deren ursprüngliche Bedeutung “lieb, lieben” gewesen ist”. Das Wörterbuch listet nach diesem Hinweis vier Begriffe auf, die mannigfaltigste Assoziationen auslösen und welche die eingangs erwähnten Zweifel an der Klarheit und Selbstverständlichkeit des Begriffs “Freiheit” verstärken: “freien”, “Freund”, “Friede”,”Friedhof”. Liegt hier ein modernes Stabreimgedicht zum Thema “Freiheit” vor? Oder die Kurzfassung eines Romans ? oder das Grundschema einer Tragödie? Eine Ausleuchtung der vier Bedeutungsfelder und die Verfolgung von sprachlichen und inhaltlichen Zusammenhängen wäre vermutlich ein spannendes geistiges Abenteuer…Im Wörterbuch folgt nach dieser bedeutungsschweren Vierzahl von etymologischen Verwandtschaften der Hinweis auf “Frei” in “Freitag”, was wieder auf die Bedeutung “lieb” verweist. “Frei” im Sinne von “lieb” sind für Kelten und Germanen jene Menschen, die zur eigenen Sippe gehören, im Gegensatz zu den Unfreien, unter welche die fremden Kriegsgefangenen fielen.

Auch das “Etymologische Wörterbuch” von Kluge (6) enthält zum Begriff “Freiheit” Bemerkenswertes. Hier wird nämlich sprachgeschichtlich jene Korrespondenz zwischen Eigentum und Freiheit analysiert, von der im Zusammenhang mit “property” und “liberty” bereits die Rede gewesen ist. Kluge verweist auf eine Wurzel “prijo”, die ursprüglich “eigen”, dann “vertraut” “lieb” bedeutete. Diese Bedeutungen sind mit der örtlichen Vorstellung “nahe bei”, “das was bei mir ist” verknüpft. Wörtlich heisst es dann bei Kluge: “Die Bedeutung “frei” entwickelt sich aus “eigen” vermutlich in Wendungen wie “die eigenen Kinder””. Dieser Hinweis ermöglicht auch einen Seitenblick auf den nicht minder aufschlussreichen englischen Sprachgebrauch. Liberty, das Wort lateinischen Ursprungs, gehört in den sippen- und familienrechtlichen Zusammenhang. “Liberi” sind die Freien, und “frei” sind die eigenen erbberechtigten Kinder…Die Verknüpfung von Freiheit und Eigentum ist nicht nur eine sprachgeschichtliche Tatsache. Sie lässt sich auch entwicklungsgeschichtlich beim Menschen als Gattungswesen und auch beim einzelnen Individuum empirisch nachweisen. Dass Freiheit nicht nur etymolo-gisch mit zivilrechtlichen Institutionen, d.h. mit der Privatautonomie im weitesten und besten Sinn zu tun hat, ist kaum überraschend. Eine viel zu wenig beachtete Dimension ist aber der Zusammenhang von Eigentum und Erbe. Frei sein bedeutet die Fähigkeit haben, zu vererben und zu erben.

Dieser Zusammenhang mag für manchen Liberalen, der im Erbrecht nur einen Störfaktor der Chancengleichheit und eine Verfälschung des Leistungsprinzips sieht, ärgerlich sein. Vermutlich hat man aus dieser Verärgerung heraus versäumt, über die soziokulturelle und ökonomische Funktion des Erbvorgangs, losgelöst von der Frage nach der individuellen Verteilungsgerechtigkeit hinreichend nachzudenken.

Lassalle und das römische Erbtum

Nicht nur die Sprachgeschichte, auch die Kulturgeschichte ist voller Überraschungen. Über die auf das Römische Recht zurückgehende Vernetzung der Privatautonomie mit verschiedenen privatrechtlichen Institutionen und über die zentrale Bedeutung der Systematik, bei der jedes Institut nur im Konnex mit den andern verständlich und praktikabel wird, ist vor allem im letzten Jahrhundert viel nachgedacht und publiziert worden. Bedauerlich ist eigentlich nur, dass die Diskussion um Eigentum und Freiheit (vielleicht unter dem Eindruck von Hegel und Marx) zunehmend aus der Domäne der Privatrechtler in die Domäne der Verfassungsrechtler, Volkswirtschafter und Politologen übergegangen ist. Die politische Philosophie hat dann naturgemäss vor allem den Dialog mit den letzteren gesucht. Rechtsphilosophie wurde und wird vor allem von Verfassungsrechtlern und von Strafrechtlern gepflegt, während sich die Privatrechtsgelehrten in die zahllosen, durchaus anspruchsvollen und meist auch lukrativen praktischen und rechtstechnischen Detailfragen ihres Fachs zurückziehen.

Es gehört zur Ironie der Geistesgeschichte, dass eine der anregendsten rechtsphilosophischen Auseinandersetzungen mit dem oben angesprochenen Zusammenhang zwischen Eigentum und “Erbtum” und dem für die Kulturgeschichte höchst bedeutsamen Stellenwert des letzteren vom Sozialdemokraten Ferdinand Lassalle stammt. In seinem “System der erworbenen Rechte”(1861) stellt er eine “Versöhnung des positiven Rechts und der Rechtsphilosophie” in Aussicht und bezeichnet das Resultat als “wissenschaftliches Rechtssystem für Revolution und Sozialismus”. Im Vorwort seines Werks verweist er auf den zentralen Stellenwert der “erworbenen Rechte” und beklagt sich darüber, “dass sich das Privatrechtliche völlig von dem Politischen abzulösen scheint.” Er hält es für “noch viel politischer als das Politische selbst, denn da ist es das soziale Element”. Damit wird von einem Kenner der Materie, der sich selbst als Sozialdemokrat zu den Kritikern der damaligen Liberalen zählte, ein wichtiger Zusammenhang aufgezeigt. Das Soziale, das heisst die Sozialbindung, muss nicht von Staates wegen durch öffentliches Recht in die Privatrechtsordnung hineingezwungen werden. Wer die Institutionen des Privatrechts in ihrem Zusammenhang versteht und in ihrer kulturhistorischen Verknüpfung wirken lässt, gelangt zur Auffassung, dass eine vernünftig praktizierte Privatautonomie, welche erworbene Rechte ernst nimmt, von ihren Resultaten her sozialer ist als jede wohlfahrtsstaatlich verordnete öffentlich-rechtliche Umverteilung…Eigentlich eine recht aktuelle und aus heutiger Sicht liberale Auffassung, und man mag einmal mehr bedauern, dass der intelligente Lassalle nach einem Duell im Alter von 39 Jahren gestorben ist und sich der Sozialismus nach den Vorstellungen des Eigentumskritikers Marx, des Familienkritikers Engels und des bürokratischen Zentralisten Lenin weiterentwickelt hat. Der bei Lassalle – mindestens implizit – vorhandene Gedanke, dass sich der Mensch als privatautonomes Subjekt normalerweise durchaus sozial verhält, wenn die Rahmenbedingungen ihn nicht davon abhalten, findet sich übrigens schon bei Adam Smith und wird auch von F.A. Hayek wieder aufgenommen. Dieser schreibt in seiner bereits erwähnten “Verfassung der Freiheitfolgendes dazu: “Es gehört zur Natur des Mannes (und vielleicht noch mehr der Frau) und bildet die Hauptgrundlage seines Glückes, dass er das Wohlergehen anderer zu seiner Hauptaufgabe macht. Das ist eine der uns offenstehenden Möglichkeiten und oft die Entscheidung, die im allgemeinen von uns erwartet wird.” (7)

Es ist das Verdienst Lassalles, dass er auf die zentrale Bedeutung des “testamentarischen Erbtums” für die Rechts- Wirtschafts- und Kulturgeschichte aufmerksam gemacht hat, und es ist vielleicht auch seine Tragik, dass man die subtilen Erkenntnisse, die den engeren Rahmen der Rechtswissenschaft sprengen und auch bemerkenswerte Deutungen von Mythen beinhalten, von einem “Revolutionär” kaum zur Kenntnis nahm. (Das Buch aus dem hier zitiert wird, entstammt der Zentralbibliothek der Arbeiterunion Herisau. Es wurde offensichtlich kaum je gelesen und aus den Beständen ausgeschieden. So gelangte es über das Antiquariat zufällig in die Hände des Autors).

Man hat bei der kulturgeschichtlichen Beurteilung des Römischen Rechts seinen individualistischen Gehalt hervorgehoben und es als Wegbereiter des Egoismus diffamiert. Nach Lassalle ist das System des Römischen Rechts, ja das System des Rechts schlechthin vom Bestreben nach Verselbständigung des Willens, vom Bemühen um dessen Forterhaltung, und durch den Drang nach der Verleihung von Dauer über das biologische Leben hinaus geprägt. “Das römische Erbtum stellt daher, wie wir erschöpfend gesehen haben, nicht eine Vermögenszuwendung, sondern die Forterhaltung der Willenssubjektivität dar. Nur hierin ist seine geistige Substanz, seine geistige Bedeutung, sein Interesse, weshalb wir dasselbe als das Dogma der Unsterblichkeit in seiner römischen Gestalt bezeichnen konnten” (a.a.O. S. 589). Damit ist es zum kulturhistorischen Wegbereiter der Verselbständigung von Vermögen und von deren langfristigen, von natürlichen Personen unabhängigen Bindung an bestimmte Zwecke im Rahmen einer Stiftung oder einer anderen juristischen Person geworden. Das römische Erbtum ist nach Lassalle “gerade die ungeheure Anstrengung, den Willen im Tode der natürlichen Person nicht untergehen zu lassen, sondern ihn mit der Identifikation mit einer lebenden Willensperson in alle Ewigkeit zu erhalten.”

Eigentümer als Erben und Verwalter

Beim Besitz sind Person und Sache direkt miteinander verbunden, wie dies die archaische Sitte, den Besitzer nach seinem Tod zusammen mit den von ihm “imprägnierten” Gegenständen zu bestatten, zum Ausdruck bringt. Der Übergang von der soziologischen Tatsache des persönlichen Besitzes zur rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Institution des über die natürliche Person hinausreichenden Privateigentums führte über das Testament. Man kann aufgrund von Lassalles kritischer Analyse der “wohlerworbenen Rechte” geradezu von einer “Geburt des Privateigentums aus dem Geist des Erbtums” reden. Das Privateigentum ist aus dieser Sicht nicht eine Ausgeburt individualistischen und egoistischen Denkens und Wirtschaftens, sondern eine Voraussetzung für die Organisation einer Lebens- und Wirtschaftsweise, in welcher funktionsfähige soziale Strukturen auch ohne bestimmte Personen über längere Zeit erhalten bleiben. Bestimmte Strukturen, die willentlich geschaffen wurden, erhalten über Eigentum und Erbtum eine Chance, den Generationenzyklus zu überdauern. Von einer prinzipiellen “Sozialfeindlichkeit” dieses Instituts kann also keine Rede sein. Um das erwähnten sozio-kulturell höchst bedeutsame Ziel der Verstetigung eines Willens in Bezug auf die Zukunft einer Gesamtheit von Personen und Sachen, d.h. einer Widmung zu erfüllen, wurden im Lauf der Kulturgeschichte noch andere Verfahren entdeckt und praktiziert. Sie basieren meist auf sakralen und stark zentralisierten Hierarchien, hängen von einer kleinen Elite ab und sind daher höchst verletzlich. Die Kombination einer dezentralen Erhaltung und Verselbständigung von Willensakten und Vermögenskomplexen als “Traditionsspeicher”, welche die Institution Familie in Verbindung mit Eigentum und Erbtum ermöglicht, ist wegen ihrer Vielfalt sowohl robust als auch zukunftstauglich.

Mit diesen knappen Hinweisen ist der Stellenwert des Zusammenhangs von Erbtum und Eigentum und seine Bedeutung für die Freiheit bei weitem nicht ausgeschöpft. Sicher geht er weit über das hinaus, was wir gewöhnlich mit dem “Erbrecht” im engeren Sinn meinen. Freiheit als Fähigkeit, willentlich zu vererben, hat auf dem Hintergrund ökologischer Überlegungen eine neue Aktualität. Auch die in agrarischen Gesellschaften tief verwurzelte Auffassung, dass die jeweiligen Eigentümer nur die Verwalter für die Zukünftigen seien und dass sie nur im Rahmen der Tradition darüber verfügen dürfen, ist auf dem Hintergrund des Postulats nach einem “sustainable development” heute besonders aktuell. Einen eindrücklichen Beleg für diese traditionsreiche Auffassung finden wir in Travens Erzählung “Die weisse Rose”. Der Mexikaner Jacinto will sein Grundstück, auf dem Erdöl gefunden wurde, um keinen Preis verkaufen. Er argumentiert wie folgt: “Natürlich gehört die “Rosa Blanca” mir, aber wie sie einstmals meinem Vater gehört hat. Sie gehört meinem Vater nicht mehr. Ich meine, die Hazienda gehört mir nicht so, dass ich damit machen kann, was ich will. Sie gehört doch auch denen, die nach mir leben wollen. Für die bin ich verantwortlich. Ich bin nur der Verwalter für die, die später leben wollen und leben werden, wie mein Vater nur der Verwalter war und dessen Vater und dessen Vater und so immer weiter zurück und immer weiter voran.” (B. Traven, Die weisse Rose, Zürich 1942, S. 13 ff., ausführlicher dazu Robert Nef, in: Eigentum und seine Gründe, “Studia Philosophica” Supplementum 12/1983, S. 199 ff.)

Privatautonomie als “Schule des Vertrauens”

Der Zusammenhang zwischen Eigentum, Erbe und Freiheit ist nicht nur von historischem Interesse. Das im antiken Rom und in späteren Jahrhunderten entwickelte System des Privatrechts ist der soziale Rahmen, in dem die Privatautonomie ohne “Umweg über öffentlich-rechtlichen Zwang” ihre soziale Funktion erfüllen kann. Unsere Privatrechtsordnung ist als “Kommunikationsmuster” ein historisch gewachsenes Kulturgut ersten Ranges – vergleichbar etwa mit der Erfindung der Schrift oder gar der Sprache. Sie verkörpert, wie ich andernorts ausgeführt habe (8) jene gesellschaftliche Entwicklung, welche vom Gewaltprinzip zum Vertragsprinzip führt. Persönlichkeit, Selbstorganisation, Konsensehe, Familie und Erbrecht, Eigentum, Vertrag, Haftung und Verantwortlichkeit, organisierte Kooperation, Geld und Kreditwesen sind alles Marksteine auf dem Weg von der Gewalt zum Vertrag: der liberale Weg, der gleichzeitig auch die liberalen Ziele enthält. Während das Erbrecht den Zusammenhang zwischen Person, Familie und Sachen herstellt und ein Überdauern von Willensakten ermöglicht, ist der Vertrag im Zusammenhang mit der Haftung das eigentliche Kernstück der Privatautonomie. Unterschätzt wird häufig der kulturhistorische und philosophische Stellenwert des Wertpapierrechts. Es schliesst den Kreis zwischen Person, Sache und Vertrag, indem es die Verdinglichung von vertraglichen Beziehungen ermöglicht und damit eine für die persönliche Freiheit wesentliche Funktion erfüllt.

Die Institutionen des Privatrechts bilden kein System, das Konfliktfreiheit garantiert. Als historisch gewachsene und immer wieder adaptierte und neu interpretierte Gesamtheit muss dieses System als “Traktandenliste der Privatautonomie” stets weiterentwickelt werden. Aus liberaler Sicht besteht die grosse Stärke der Privatrechtsordnung darin, dass sie nicht vom konfliktträchtigen Gedanken der Verteilungsgerechtigkeit ausgeht, sondern von der flexiblen Handhabung eines Friedens, der auf die Herstellung irgendeiner “gerechten” Verteilung und Umverteilung des Privateigentums bewusst verzichtet: Friede nach Massgabe eines stets unvollkommenen status quo bildet die Basis, auf der die Dreieinigkeit “life, property and liberty” aufbaut. Sobald die politischen Wunschkataloge, welche bestimmte Vorstellungen von Gerechtigkeit ins Zentrum stellen, eine insgesamt “bessere Ordnung” für die Zukunft versprechen und dafür die stets vorhandenen Instinkte des Neids schüren, ist der Friede als Voraussetzung der Privatautonomie gefährdet und es beginnt der Teufelskreis der “gut gemeinten Interventionen” zugunsten von öffentlichen Interessen oder zur Verwirklichung des sogenannten Gemeinwohls. In einem solchen Umfeld kann sich die Privatautonomie als eine “Schule des Vertrauens” nicht entfalten. Die Angst vor allen Formen von Eingriffen und Enteignungen bewirkt eine grosse Zahl von Abwehr- und Umgehungsstrategien, und das Misstrauen gegenüber den Behörden verhindert auch das Entstehen eines Vertrauensklimas unter Bürgern, die auf dem Markt möglichst unbeeinträchtigt und einvernehmlich geben und nehmen, teilen und tauschen wollen. Das bewährteste Mittel, um jene optimale Mischung von wechselseitigem Vertrauen und Misstrauen zu erzeugen, welche in einer Marktwirtschaft notwendig ist, besteht in einem verfassungsrechtlich garantierten Sachenrecht, welches Privateigentum verlässlich definiert und in einem Steuerrecht, das dessen Substanz nicht gefährdet.

Wer bei einer derart nachhaltigen Betonung der Dreierformel “life, property, liberty” die “soziale Watte” vermisst, sei darauf hingewiesen, dass die Versuche, wirtschaftlichen Wohlstand und bürgerliche Tugenden durch “Sozialbindungen” mit Hilfe des Staatsapparats zu erzwingen, bisher wenig Ermunterndes hervor-gebracht haben. Demgegenüber haben Staats- und Wirtschaftsordnungen, welche den Markt und die Privatautonomie zulassen oder nur wenig behindern, zu Entwicklungen geführt, in denen zwar die Einkommens- und Vermögensunterschiede nicht kleiner geworden sind, in denen es aber dem Durchschnitt und auch den Ärmsten signifikant generell besser geht als in Systemen mit stark beschränkter Privatautonomie. Die begehrtesten Einwanderungsländer sind bei der weltweiten “Abstimmung mit den Füssen” nicht etwa jene mit den höchsten Steuern und Sozialleistungen und den mit den kleinsten Vermögensunterschieden sondern jene, die Privateigentum und Privatautonomie garantieren. Und wer wäre berufener, die Bedeutung dieser Institutionen zu bewerten, als jene, die vor Armut und Unterdrückung fliehen?

Auch in diesem Zusammenhang sein noch einmal auf die Sprachgeschichte verwiesen. Freiheit ist im sprach- und bedeutungsgeschichtlichen Wurzelbereich nicht nur mit “Eigentum” verbunden, sondern auch mit Frieden. Kluge (9) verweist auch unter dem Stichwort Frieden auf indogermanisch “pri”, “lieben” und ruft die drei Stichworte “frei”, “freien” “Freund” in Erinnerung. Durch die bedeutungsgeschichtliche Verbindung von “freien” und “lieben”, von “frei” und “lieb” und dem nicht nur biblischen, sondern auch sprachgeschichtlichen Hinweis auf die örtliche Nähe, wird das Thema der “Sozialbindung” auf einer ethischen Ebene neu gestellt: es geht um eine Sozialbindung, welche unabhängig vom rechtlichen Zwang auf Freiwilligkeit basiert und von der Nächstenliebe ausgeht. Die biologische Verbindung der Blutsverwandtschaft mit den Miterben (Brüderlichkeit, Schwesterlichkeit) muss dahingehend weiterentwickelt werden, dass der Bruder und die Schwester zum Freund und zur Freundin werden, dass unsere “Nächsten” eben nicht nur unsere Verwandten sind, und dass die Kinder, die genetisch – und vielleicht auch vermögensmässig – unterschiedlich erben, sich als “liberi”, als Freie und Befreite begegnen und die “liberalitas”, die Freigiebigkeit, auch über die Blutsverwandtschaft in der Familie hinaus praktizieren. Nächstenliebe ist aus dieser Sicht kein Gegenprinzip zum Eigentum, auch wenn dies von anarchistischen Kritikern des Privateigentums wie etwa Proudhon und Tolstoi immer wieder verkündet worden ist. Ohne “property” im Sinn des Persönlichkeitsrechts hat die Erkenntnis, dass der Nächste so ist wie du selber, keine Verankerung, und die Nächstenliebe verliert ihren irdischen Bezugspunkt. Liebe ohne materielles Eigentum ist zwar denkbar. Liebe ohne “property” d.h. ohne selbstbewusste Persönlichkeit ist aber kaum möglich, denn schliesslich kann nur das freiwillig verschenkt und getauscht werden, was einem gehört.

Anmerkungen:

(1) F.A. von Hayek, “Die Verfassung der Freiheit”, dt. Übersetzung, Tübingen 1971, S. 32
(2) a.a.O. S. 329
(3) Helmut Rittstieg in: Eigentum als Verfassungsproblem, Darmstadt l975, S. 32
(4) Benjamin Constant, Über die Gewalt (1814), dt. Übersetzung Bern 1942, S. 190
(5) Hermann Paul, 9. Aufl., Tübingen 1992
(6) Friedrich Kluge, 22. Aufl., Berlin usw. 1989
(7) F.A. von Hayek, a.a.O., S. 97
(8) Robert Nef, Wege in die Freiheit, In: Brühlmeier Daniel /Nef Robert, (Hrsg), Zürich 1992, S. 16 ff.
(9) Kluge a.a.O.

Publiziert in: Freiheit: Die unbequeme Idee, Argumente zur Trennung von Staat und Gesellschaft, Hrsg. von Detmar Doering und Fritz Fliszar, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1995, S. 99 ff.

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