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Weltoffenheit

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(Schweizer Monatshefte – Heft 2, 1995 – Seite 1)

EDITORIAL

Die schweizerische Aussenhandelspolitik war schon vor der Existenz des Bundesstaates vom Grundsatz «exportare necesse est» geprägt. Schon früh ist der problematische, aber doch in verschiedener Hinsicht überlebenswichtige Export von Söldnern ergänzt worden durch Warenexporte, und das Netz der Handelsbeziehungen war schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts weltweit ausgespannt. Offenheit beruht aber auch in der Welt des Handels auf Gegenseitigkeit, d. h., man kann sie offerieren, kann aber nie damit rechnen, dass sie spontan allseits und jederzeit auch offeriert wird. Die Schweizer Exporteure sind im Lauf der Geschichte immer wieder mit Handelsschranken aller Art konfrontiert worden.

1825 berichtet Johann Caspar Zellweger, ein Spross der damals einflussreichen Appenzeller Textilexportfirma, in einem amtlichen Bericht als eidgenössischer Zollrevisor über die damalige Diskriminierung der Schweizer Händler auf dem Markt der europäischen Nachbarn. Er reagiert darauf mit einer persönlichen Zwischenbemerkung, die man kaum erwarten würde. «Nun haben uns — der Himmel sei gelobt! — alle unsere Nachbarn von ihren Märkten ausgeschlossen.» Warum dieses paradoxe Loblied? Zellweger begrüsst den damals von aussen kommenden heilsamen Zwang zur globalen Öffnung. «Unsere Handelshäuser sind gezwungen, ihren Horizont zu erweitern. Man findet ihre Söhne in Ägypten, in Persien, in Astrachan, in Rio de Janeiro und in Havanna… Unsere direkten Beziehungen mit den riesigen Ländern von Nord- und Südamerika sind schon so ausgedehnt, dass uns die Verminderung der Exporte in Europa kaum berührt.»

Das traditionelle und heute allzu leichtfertig in Frage gestellte «magische Viereck» der schweizerischen Aussenpolitik, «Neutralität, Solidarität, Disponibilität und Universalität», wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Konjunktur hat heute der Appell zu vermehrter europäischer Solidarität. Solidarität ist eine gute Sache, auch wenn sie in der Aussenpolitik europa- und weltweit mehr zur Rhetorik als zur Realität gehört. Sie kann aber die fatale Neigung haben, zu einem Miteinander gegen Dritte zu werden. Dann verletzt sie den Grundsatz der Universalität, ein Grundsatz, der nicht nur für die schweizerische Aussenpolitik, sondern fur die Politik der Europäischen Union einen hohen und oft unterschätzten Stellenwert hat. Weltoffenheit ist – nicht nur im Bereich der Wirtschaft — für eine kleine Nation und für einen kleinen Kontinent überlebenswichtig.

ROBERT NEF

Schweizer Monatshefte – Heft 2, 1995 – Seite 1

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