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Wiederentdeckt

Lesedauer: 2 Minuten


(Schweizer Monatshefte – Heft 10, 1994 – Seite 1)

EDITORIAL

Wesentliche Beiträge zur Kultur sind immer wieder von Aussenseitern geschaffen worden und fanden erst bei späteren Generationen die ihnen zukommende Beachtung, andere sind bis heute noch nicht entdeckt worden. Zahlreiche Berühmtheiten ihrer Epoche, darunter auch Nobelpreisträger, Bestsellerautoren und Publikumslieblinge aller Art, sind heute vergessen. Gibt es für die Dauerhaftigkeit, Zukunftstauglichkeit oder Nachhaltigkeit (alles unvollkommene Übersetzungen des englischen Begriffs «sustainability») in der Kultur irgendein allgemeingültiges Kriterium?

Sicher bürgt Aussenseitertum und fehlende Akzeptanz beim grossen Publikum allein keineswegs für Qualität – viele unter den Grossen wurden schon von ihren Zeitgenossen erkannt und geschätzt. Andere hatten das Privileg, als Geheimtip unter einer Elite von Kennern und Liebhabern zu überdauern. Wieder andere wurden in schwer durchschaubaren Zyklen vergessen, verdammt, verdrängt und wiederentdeckt. Gelegentlich bieten Jubiläen, die Wiederkehr von «runden» Geburtstagen und Todestagen eine willkommene Gelegenheit, um zu Unrecht Vergessenen eine neue Publizität zu verschaffen. Die Jahrtausende und Jahrhunderte sowie ihre jubiläumsträchtigen Bruchteile eignen sich aber kaum, um den Rhythmus des historischen Erinnerns und Vergessens zu bestimmen. Da sind wohl subtilere und verborgenere Kräfte am Werk. Die Redaktion der «Schweizer Monatshefte» masst sich nicht an, diese Kräfte zu kennen oder gar zu bestimmen. Gemeinsam mit unsern Autoren und unserer Leserschaft möchten wir aber dem Prinzip der Nachhaltigkeit nachspüren und immer wieder auf das — abseits aller Modeströmungen — Bleibende und Zukunftsträchtige hinweisen. Dieses ökologische Prinzip bewährt sich nicht nur im Forstwesen als Alternative zu Kahlschlag und Wiederaufforstung, sondern hat auch in kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Biotopen eine zunehmende Aktualität. Neben den grossen, dickstämmigen Bäumen hat auch das Unterholz eine wichtige Bedeutung. Dort entsteht und wächst das Neue, und dort zerfällt das Alte zu nährendem Humus.

ROBERT NEF

smh-1994-10-s1

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