(NZZ – POLITISCHE LITERATUR – Samstag/Sonntag, 1./2. Oktober 1994, Nr. 229, Seite 89)
Neue und wiederentdeckte Bücher
zz. Die «Schweizer Monatshefte» (Zürich) lenken in der Oktoberausgabe den Blick auf teilweise vergessene oder verkannte, in letzter Zeit meist neu zugänglich gemachte Bücher, denen besondere «Nachhaltigkeit» innewohnen konnte. Robert Nef empfiehlt Ludwig von Mises’ «Liberalismus» (1927) nicht als «nach wie vor» aktuell, sondern im Sinn einer Aufforderung, einen liberalen Anfang zu machen. «Die Europäischen Revolutionen» (1931) von Eugen Rosenstock sind nach Sven Papcke von besonderem Interesse als Analyse von Nationalismus und politisch-sozialen Umwälzungen, als Europakunde, die ein Multiversum erhellt. Andreas Urs Sommer weist hin auf theologiekritische Schriften des in Basel lehrenden Theologen Franz Overbeck (1837-1905), die in den ersten zwei Bänden einer Werkausgabe vorliegen. Manfred Jauslin deutet Kafkas «Der Bau» gesellschaftskritisch als Darstellung der Spannung von organischer und geschaffener Welt, in der konsequenter Machtwille seine eigenen Grundlagen beseitigt. Eine literarische Trouvaille sind nach Elsbeth Pulver die Gedichte Annemarie von Matts (1905-1967), die Otto Marchi in seinem neuen Roman «Soviel ihr wollt» «seitenlang sorgfältig und brillant» paraphrasiert.
Der regelmässige Kulturteil enthält einen Brief über Nietzsche von Rüdiger Görner, einen Beitrag von Rafael Ferber über Schopenhauers Betrachtungen zur Melancholie des Genies und drei Besprechungen. Vorgestellt werden eine Untersuchung der Alpensehnsucht in der Literatur der Goethe-Zeit (von Petra Raymond), zwei Bücher über Ingeborg Bachmann (von Heidi Borhau und den Referentinnen der «Schriftwechsel»-Tage in Bern) und der Quellenband «Thomas Mann. Ein Leben in Bildern» (von Hans Wysling und Yvonne Schmidlin). Hans-Werner Tobler kommentiert in einem Gespräch mit Lukas M. Schneider die mexikanischen und lateinamerikanischen Politikstrukturen. Der Nachruf auf Karl R. Popper stammt von Joachim Güntner.