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Umweltpolitische Denkanstösse

Lesedauer: 4 Minuten


(Reflexion – Nr. 22, Juni 1990 – Seite 13-15)

Ein Versuch, die populäre Strategie des Sowohl-als-auch zu hinterfragen

In der umweltpolitischen Diskussion werden auf der Suche nach dem Minimalkonsens immer wieder klassische Konsensformeln ausgetauscht. Sie sind als Basis für politische Kompromisse unerlässlich, erschweren aber gelegentlich das radikale Weiterdenken jenseits aller Gemeinplätze. Im Folgenden wird der Versuch gemacht, aus der Gegenüberstellung von Zustimmungen und Einwänden herausfordernde Schlussfolgerungen zu ziehen und zur Diskussion zu stellen.

«Ökologie und Ökonomie sind keine Widersprüche»

Pro: Wenn das Ökosystem zusammenbricht, ist auch keine rentierende Wirtschaft mehr möglich. Der langfristig disponierende Unternehmer berücksichtigt im intelligenten Eigeninteresse ökologische Zusammenhänge. Umweltrowdies und Öko-Schmarotzer sägen am Ast, auf dem sie sitzen und können auf die Dauer keinen Erfolg haben. Somit sind ökologische Programme «self-executing».

Contra: Okonomie braucht Wachstum, um Gewinne zu erzielen. Dieses Wachstum geht immer – wenigstens zum Teil – auf Kosten der Natur. Unternehmerisches Denken und Handeln dringen nur mit Mühe bis in jene langfristigen Dimensionen vor, welche eine Konvergenz ökologischer und ökonomischer Ziele erbringen. Vor allem Publikumsgesellschaften stehen unter dem Druck, auch kurz- und mittelfristig Gewinne auszuweisen – nötigenfalls auf Kosten der Umweltschonung.

Conclusio: Langfristige und globale Oberlebensinteressen haben keine wirksame Lobby. Auch die Politik ist kurzfristig ausgerichtet und denkt und handelt in Demokratien in 4-Jahres-Zyklen. Die internationale «scientific community» sowie die «Elite der langfristig Engagierten» haben in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie müssen «Strategien für langfristiges Denken und Handeln» entwickeln, welche die notwendigen Lernprozesse in Gang bringen und halten. Die Idee des Marktes spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Das politische und das wirtschaftliche Mehrheitsprinzip stösst hier an seine ökologischen Grenzen. Wir brauchen mehr umweltverantwortliche «leadership».

«Wirksamer Umweltschutz entsteht aufgrund einer Kombination von polizeilichen und marktwirtschaftlichen Instrumenten»

Pro: Der Mensch reagiert erfahrungsgemäss sowohl auf Verbote und Gebote als auch auf An- und Abreize finanzieller Art. Absolut Umweltschädliches ist also zu verbieten, und die Verbote sind durch Grenzwerte und deren Kontrolle durchzusetzen. Relativ Umweltschädliches ist auf dem Weg der Verteuerung schrittweise abzubauen. Umweltschonung muss sich finanziell lohnen.

Contra: Die beiden Strategien sind grundsätzlich nicht vereinbar.

Zahlreiche Verbote provozieren eine «Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität» und die Lust am Übertreten. Verbote bewirken eigentliche «Gratis-Verschmutzungsrechte» unterhalb der Grenzwerte. Die vorgesehene kontinuierliche Verschärfung bringt bald einmal jene Widerstände gegen «mehr Staat», welche die Idee der schrittweisen Umweltsanierung blockieren.

In der 3.Welt gibt es die politischen Strukturen nicht, welche Verbote und Grenzwerte durchsetzen könnten.

Die marktwirtschaftlichen Instrumente kranken politisch daran, dass sie den Reichen mehr U mweltverschmutzung und -verbrauch zubilligen als den Armen. Die Sozialverträglichkeit dieser Strategien wird dadurch in Frage gestellt.

Eine Kombination der beiden Verfahren wird aus entscheidungstheoretischen Gründen erschwert, weil sich die jeweilige Gegnerschaft zu einer Sperr-Majorität zusammentun kann, ohne umweltpolitisch das Gesicht zu verlieren (Umweltschutz ja – aber…).

Conclusio: Das «Unmögliche» einer Kombination muss trotzdem versucht werden. Im Zweifelsfall sollen marktwirtschaftliche Instrumente Vorrang haben. Sie bedingen aber ihrerseits ebenfalls «mehr Staat», allerdings nicht als «Polizei», sondern als «Fiskus»-Organisation.

«Anstelle des quantitativen Wachstums soll das qualitative Wachstum treten»

Pro: Wer eine Fortsetzung des quantitativen Wachstums und seine Ausdehnung und Verallgemeinerung im weltweiten Rahmen zulässt, nimmt katastrophale Entwicklungen in Kauf oder führt sie herbei, beispielsweise eine Klimakatastrophe aufgrund von CO2-Emissionen. Ohne Wachstum ist aber eine technisch-zivilisatorische Entwicklung und eine marktwirtschaftliche Ordnung nicht denkbar. Die einzig mögliche Alternative zum quantitativen Wachstum ist daher das qualitative Wachstum, das zu konkretisieren und zu spezifizieren ist.

Contra: Qualitatives Wachstum ist ein Widerspruch in sich selbst. Jedes Wachstum ist auch quantitativ. Man müsste ehrlicherweise von Metamorphose reden oder von Assimilierung durch immer wieder neues Anpassen und Zusammenschliessen (Adaptation, Akkommodation und Assoziation), durch Formung, Umformung, Gestaltung und Veredelung, schöpferisches Tun (Poiesis/Poesie) und Kunstfertigkeit (Techne/Technik). Die Idee des ökonomischen Wettbewerbs zwischen Menschen müsste durch den Wettbewerb der Vorstellungen, Wünsche und Massstäbe untermauert werden, welcher bewirkt, dass es «Qualität nur noch als individuell definierbare Präferenz gibt. Aus dieser Sicht verliert der Begriff «Qualitatives Wachstum» in seinen beiden Komponenten den Sinn.

Conclusio: Der Begriff «qualitatives Wachstum» sollte durch eine ehrlichere und adäquatere Bezeichnung ersetzt werden, die allerdings – im Gegensatz zu den unter «Contra» angeführten Begriffen – allgemeinverständlich sein müsste. Vielleicht fehlt nicht nur der Begriff, sondern auch eine reflektierte Vorstellung über das Ziel.

«Wir brauchen eine ökologische und soziale Marktwirtschaft»

Pro: Politische und wirtschaftliche Entscheidungen bedürfen heute einer kombinierten Überprüfung ihrer Umwelt- und Sozialverträglichkeit. Jede Entscheidung und jedes Verhalten, das diese beiden Prüfungen nicht besteht, ist grundsätzlich nicht zukunftstauglich und trägt den Keim des Scheiterns in sich. Wenn beide Zielbündel nicht gleichzeitig vollumfänglich erreichbar sind, müssen wir optimieren. Dabei sind Kompromisse einzugehen, was aber nichts Ungewöhnliches ist.

Contra: Wer das Dilemma im weltweiten Rahmen sieht – und ein anderer bietet sich nicht an -, sieht rasch einmal ein, dass eine zahlenmässig wachsende Menschheit (und vermutlich bereits auch eine stabilisierte) grundsätzlich nicht umweltverträglich ist. Die aus ökologischer Sicht erforderlichen Verzichtleistungen und deren weltweite Umverteilung ist ihrerseits nicht sozialverträglich. Das «Experiment Menschheit» gerät – über kurz oder lang – an seine ökologischen Grenzen. Wie der einzelne Mensch ist auch die Menschheit als ganzes sterblich. Entweder setzen wir die Priorität bei der Natur und überfordern damit den Menschen, oder wir setzen sie beim Menschen und überfordern die Natur.

Conclusio: Selbst wenn eine Optimierung letztlich auch nicht möglich ist, muss das Ziel dennoch verfolgt werden. Umweltzerstörung ist immer unsozial. Im Zweifelsfall sollten ökologische Ziele gegenüber sozialen Zielen Vorrang haben. Das ist unpopulär und demokratisch kaum konsensfähig. Umverteilungspotentiale zwischen Reichen und Armen werden häufig überschätzt. Der planwirtschaftliche Egalitarismus ist weder umwelt- noch sozialverträglich, weil er letztlich alle ärmer macht und zur gemeinsamen Plünderung der Natur verleitet. Verantwortungsethische Strategien einer pflegerischen Umweltnutzung (sustainable development) sind auf lange Sicht generell und global sozialer als gesinnungsethische Armutsbekämpfung und Umverteilung nicht nur in der 3. Welt.

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