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Friede statt Verteilungsgerechtigkeit

Lesedauer: 3 Minuten


(Reflexion – Nr. 22, Juni 1990 – Seite 11-12)

Sechs Thesen zum Problem des Interessengegensatzes und der Kooperation und zur Idee des Vertrags

1. Gerechtigkeit im Sinn der Verteilungsgerechtigkeit – jedem gleichviel – ist vermutlich im «Weltplan» nicht vorgesehen, und wer sie verspricht und anstrebt, schafft in der Regel grössere Übel als er beseitigen will.

Wer von der Utopie des allgemeinen Anspruchs auf gleiche Anteile an den Gütern dieser Welt bzw. auf den politischen Auftrag des dauernden Ausgleichens historisch und naturgegeben vorhandener Ungleichheiten ausgeht, begegnet beim Versuch der Realisierung immer wieder grossen Widerständen, die letztlich nur mit totalitären Methoden zu beseitigen sind. Wir Menschen können einander in diesem Sinn nie «gerecht» werden. Wir haben aber stets die Möglichkeit, untereinander auf Gewalt zu verzichten, d.h. notwendige Abgrenzungen tolerant vorzunehmen und frei gewählte Zuneigungen immer wieder neu zu entwickeln.

2. Unsere Privatrechtsordnung ist ein historisch gewachsenes Kulturgut ersten Ranges; sie verkörpert die gesellschaftliche Entwicklung, welche vom Gewaltprinzip zum Vertragsprinzip geführt hat und weiterhin führt.

Die differenzierte systematische Verknüpfung von Personenrecht, Familienrecht, Erbrecht und Sachenrecht mit dem Obligationenrecht bis und mit Handels- und Wertpapierrecht enthält im Kern die Philosophie des Liberalismus, die vom autonomen Individuum ausgeht und dieses auf dem Wege des Konsenses sozial einbindet.

3. Persönlichkeit, Selbstorganisation, Konsensehe, Familie und Erbprinzip, Eigentum, Leistungsprinzip, Vertragsprinzip, Verantwortlichkeit, organisierte Kooperation, Geld- und Kreditwesen sind alles Marksteine auf dem Weg vom Gewaltprinzip zum Vertragsprinzip – der liberale Weg, der gleichzeitig auch die liberalen Ziele enthält. Dieser Weg bildet keine Gerade, sondern eine Spirale, bei der immer wieder alle Bereiche in neuen Zusammenhängen und Spannungsfeldern auftauchen.

Das Eigentum der natürlichen Person bleibt beispielsweise stets mit dem Erbrecht und damit – wenigstens zum Teil – mit der Institution der Familie verknüpft.

4. Die Institute des Privatrechts garantieren wegen der inhärenten Widersprüche keine automatische Konfliktfreiheit. Sie basieren von ihrer Entstehungsgeschichte her nicht auf dem politisch konfliktträchtigen Gedanken der Verteilungsgerechtigkeit, sondern auf dem Prinzip der flexiblen Handhabung eines Friedensschlusses nach dem Verzicht auf Gewaltanwendung.

5. Verträge können aufgrund des Interessengegensatzes zwischen Menschen (homo homini lupus) als ad-hoc-Friedensschlüsse unter Vertragspartnern (und auf Zeit) konzipiert oder aus der Idee der Kooperation (zoon politikon), d.h. als ad-hoc-Gesellschaftsstatut zwischen Personen konstituiert werden.

Der erste Ansatz beruht auf der pessimistischen Erwartung einer wechselseitigen Defensive. Die Minimierung von Risiken und die Verhinderung von Schäden steht im Vordergrund. Modell: Risikoteilung.

Der zweite Ansatz beruht auf der optimistischen Erwartung einer gegenseitigen Vermehrung von Chancen, die eine für beide Beteiligten vorteilhafte «gegenseitige Bewirtschaftung» in Aussicht stellt.
Modell: Nutzenbeteiligung.

6. Wer vom Modell der Kooperation ausgeht, läuft Gefahr, sich in der unendlichen Komplexität und der Vielfalt zu verlieren, indem er Undefinierbares auf Undefinierbares wirken lässt und somit einem hohen Grad an Ungewissheit ausgesetzt ist. Bei ungleichen Vertragspartnern tritt das Modell der Kooperation in den Hintergrund. Der Schwächere läuft Gefahr, ein Opfer des Mächtigeren zu werden, und er tut gut daran, sich ans Modell des Interessengegensatzes zu halten.

Je begrenzter die Kooperation und je vertrauter die Kooperierenden, desto begrenzter sind auch die Ungewissheiten, die ihrerseits Chancen und Gefahren mit sich bringen (Trau schau wem…).

Dies führt zu folgender – zum Teil paradoxer – Schlussfolgerung: Die Gefahren des Kooperationsmodells lassen sich reduzieren, wenn möglichst viele Elemente des Gegensatzmodells eingebaut werden. Mit anderen Worten: Der Gedanke der Risikominimierung muss in die Idee der Chancenoptimierung integriert werden. (Hope for the best and expect the worst…).

Auch im Bereich der wirtschaftlichen Interessen gilt nach dem Konfliktmodell die Strategie der Vorsorge durch Bereitschaft für den schlimmstmöglichen Fall (si vis pacem para bellum). Das heisst, es sind die Grundsätze des Vorbeugens (präventiv), Abhaltens (dissuasiv) und Abwehrens (defensiv) zu beachten, die den Umgang mit Risiken charakterisieren. Mit anderen Worten: Es geht um die bestmögliche Wahrung eigener Chancen mit dem Zugeständnis, dass alle anderen dies auch tun dürfen und sollen.

Beim Kooperationsmodell geht es darum, «den Nächsten zu lieben wie sich selbsb>, in der nicht unbegründeten Erwartung, dass dadurch das Vertrauen und die Chancen wechselseitig wachsen.

In diesem prinzipiell schwer kombinierbaren praktischen Umgang mit «Konflikt» und «Kooperation» steckt die Herausforderung zum gesellschaftlichen Frieden durch Verträge.

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