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Editorial Reflexion Nr. 21, Januar 1990

Lesedauer: 4 Minuten


(Reflexion – Nr. 21, Januar 1990 – Seite 3-5)

Editorial

Traktanden für eine Ideen-Werkstatt

Im Laufe der vergangenen zehn Jahre wurden in unserem Beirat immer wieder Diskussionen geführt, welche die Konzeption des Liberalen Instituts betrafen. Es geht jeweils darum, jene richtige Balance zwischen Selbstkritik und Selbstbewusstsein zu finden, welche eine Voraussetzung aller gemeinsamen Aktivitäten ist. Im Rahmen dieser Diskussionen sind einmal zwei mögliche Modelle formuliert worden, auf welche die Arbeit des Instituts ausgerichtet werden könnte: ein theoretisches und ein kommunikatives. Ersteres haben wir mit dem Kennwort «Liberalismus-Werkstatt», letzteres mit «Liberalismus Schaufenster» bezeichnet, weil wir die allzu kommerziell tönenden Begriffe «Produktion» und «Verkauf>> vermeiden wollten. Schliesslich haben wir – wie könnte es anders sein – beschlossen, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen.

Getreu unserem Konzept des offenen Blicks in die Ideen-Werkstatt haben wir aus Anlass unseres 1O-jährigen Jubiläums Vorträge veranstaltet, welche rückblickend und vorausblickend die Traktanden unserer Tätigkeit festhalten. Sie liegen in dieser Nummer nun gedruckt vor.

Die Herausforderungen an den Liberalismus sind gross, und wenn wir darauf eintreten, so geschieht dies im Vertrauen auf seine Leitideen, die tragfähiger sind als alle Institutionen, die sich in ihren Dienst stellen und daran arbeiten, und glaubwürdiger als alle Personen, welche sich als «liberal» bezeichnen.

Die «Reflexion» ist ein wichtiger Bestandteil unserer Ideen-Werkstatt, und ich freue mich immer wieder, wenn dadurch weitere Reflexionen ausgelöst werden.

Neben zahlreichen anerkennenden Zuschriften hat der in der letzten «Reflexion» abgedruckte Vortrag «Liberalismus und die Idee des Dienens» auch qualifizierte Kritik ausgelöst. Ein Hochschullehrer der Volkswirtschaft bemerkte dazu, es sei «ein tragischer Irrtum zu glauben, sittliche Werte und nationalökonomische Prinzipien» stünden ein einem Widerspruch, und wer die Aufforderung von Louis Philippe «enrichissez-vous» als Kurzformel des Wirtschaftsliberalismus bezeichne, habe «keine Ahnung vom Wirtschaftsliberalismus».

Offenbar hat meine mit «und» verbundene Gegenüberstellung zu Missverständnissen geführt, denn nichts lag und liegt mir ferner, als einen Gegensatz zwischen «Liberalismus» und «Dienen» zu suggerieren. Es geht mir wirklich darum, die Idee des Dienens als eine der Idee des Liberalismus und der Marktwirtschaft bereits inhärente Angelegenheit aufzuzeigen. Offenbar sollte man es im Zeitalter der polarisierenden Medienschaukämpfe tunlichst vermeiden, zwei Begriffe anders als gegensätzlich zu verwenden. Ich gehe mit meinem freundschaftlichen Kritiker einig, dass es «ein tragischer Irrtum» ist, wenn sittliche Werte (und übrigens auch ökologische Überlegungen) nationalökonomischen Prinzipien, die z.T. den Stellenwert von gesellschaftlichen «Naturgesetzen» haben, gegenübergeste!lt werden. Dies ist ja – wenn ich es ideengeschichtlich richtig einordne – die epochemachende Entdeckung von Adam Smith und seinen Vorgängern und Nachfolgern. Für mich liegt darin ein Wesenskern des Wirtschaftsliberalismus.

Wenn ich von der Ergänzungsbedürftigkeit dieses Liberalismus spreche, so ist dies nicht als Gegenüberstellung gemeint, sondern eben als Ergänzung im ursprünglichen Sinn, dass namhch der Liberalismus nicht ganz erfasst wird, wenn man vom ethischen Fundament absieht.

Kurz: Es ging mir bei diesem Vortrag nicht um eine Gegenüberstellung von sittlichen Werten und wirtschaftlichen Gesetzen, sondern um einen Hinweis auf ihre gegenseitige Bedingtheit.

Die lapidare Aufforderung, Gewinne zu maximieren, halte ich nicht einfach für falsch, und meine sogar, sie stehe nicht prinzipiell im Gegensatz zur Idee des Dienens, wenn man den subtilen Zusammenhang von Egoismus und Altruismus berücksichtigt. Wer der Gewinnmaximierung die ihr zukommende Rolle zuweist, hat also durchaus «eine Ahnung von Wirtschaftsliberalismus», er macht sich allerdings damit nicht überall beliebt und muss den Vorwurf, asozial zu sein, mit Fassung tragen. Bei aller Übertreibung hat Mandeville mit seiner Charakterisierung «privater Laster» als «öffentliche Tugenden» etwas Richtiges gesehen. Ich halte allerdings daran fest, dass die deskriptive «Primitivformel» keinesfalls als Grundlage eines normativen gesellschaftspolitischen Programms taugt.

Zu diskutieren wäre unter Liberalen, ob und inwieweit das ethische Fundament ein Bestandteil, eine Voraussetzung oder eine Folge der Marktwirtschaft sei – oder irgend eine Kombinmation dieser Möglichkeiten. Da kämen wohl subtile Meinungsverschiedenheiten zum Vorschein – auch zwischen den von mir als Zeugen und nicht als Widersacher angeführten Liberalen Röpke und Hayek.

Hayek betont in dem von mir ausgewählten Schlüsselzitat, dass es «zur Natur» (Unterstreichung vom Verf.) «des Mannes (und vielleicht noch mehr der Frau)» gehöre, «das Wohlergehen anderer zu seiner Hauptaufgabe zu machen.» Mit anderen Worten: die «Idee des Dienens» ist nach seiner Auffassung ein Produkt der natürlichen und kulturellen Evolution und damit Bestandteil der spontanen unendlich komplexen Ordnung von Wirtschaft, Politik und Kultur. Wenn dem tatsächlich so ist, dann braucht es für die Ethik gar keine missionarischen Eiferer und auch keine Busse-Prediger, welche sich um die Statik des ethischen Fundaments Sorgen machen. Die «unsichtbare Hand», welche nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Evolution steuert, besorgt dies wirksamer (so Hayek in Anknüpfung an Adam Smith). Ich kann mir aufgrund einer recht guten Kenntnis von Hayeks Werken vorstellen, dass er – wie sein jüngerer Fachkollege – meinen mit rhetorischem Pathos redigierten Text nicht durchwegs goutieren würde. Hier gibt es tatsächlich Angriffsflächen jenseits der Missverständnisse: Viel gesellschaftskritisches Engagement (Röpke) und wenig evolutionsbewusste Geduld und Gelassenheit (Hayek)…

Letztlich liegt keine prinzipielle Frage vor, sondern eine Frage des für relevant gehaltenen Zeithorizonts und der tolerierbaren gesellschaftlichen «Schmerzgrenze» beim gemeinsamen Lernen.

Dir durchaus freundschaftliche Kontroverse hat sich schliesslich nach beidseitiger Klärung von Missverständnissen in ein «agreemenb> bzw. in ein «agreement to disagree» aufgelöst. Trotzdem wollte ich den Lesern der Reflexion diesen kleinen Blick in die offene Ideenwerkstatt nicht vorenthalten.

Einen weiteren Einblick in unsere Werkstatt persönlicher Deutungen des höchst spannenden Zeitgeschehens vermitteln die ökonomisch-politischen Tagebuchnotizen von Jörg Baumberger, Mitglied unseres Beirats, die wir aus aktuellem Anlass abdrucken und zur Diskussion stellen.

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