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Mehrwertabschöpfung – ein Postulat der Gerechtigkeit

Lesedauer: 2 Minuten

(NZZ – INLAND – Dienstag, 7. September 1976, Seite 25)

Der Verfasser der juristischen Zürcher Dissertation über «Grundlagen und Ausgestaltung der Mehrwertabschöpfung»,* welche in der Schriftenreihe des Instituts für Orts-, Regional- und Landesplanung herausgegeben wurde, vermittelt im ersten Teil seiner Arbeit die theoretischen Grundlagen für das Verständnis des vielschichtigen Problems, das letztlich darauf zurückzuführen ist, dass der moderne Leistungs- und Lenkungsstaat gewollt oder ungewollt in wirtschaftliche Prozesse eingreift und dabei notgedrungen Vorteile und Nachteile schafft, was vom Zweck der Massnahmen her häufig weder beabsichtigt noch erwünscht ist. Die Mehrwertabschöpfung ist nun eines der Instrumente, mit welchem das ungerechtfertigte Reichwerden im Staat, speziell im Zusammenhang mit raumplanerischen Massnahmen, in Schranken gehalten werden soll. Für Markus Wirth ist dieser Grundgedanke wegleitend. Die Mehrwertabschöpfung ist nicht einfach eine neue Geldquelle, die der Staat anzapft, sondern ein Postulat der Gerechtigkeit.

Nach einer Klärung der begrifflichen Grundlagen nimmt der Verfasser die rechtspolitische Begründung und die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Mehrwertabschöpfung unter die Lupe. Er kommt dabei zum Schluss, dass eine Abschöpfung von Massnahmemehrwerten nicht nur zulässig, sondern zur Verwirklichung der Rechtsgleichheit geradezu verfassungsrechtlich geboten ist. Sehr kritisch werden in einem rechtsvergleichenden Teil die im Ausland (vor allem in der Bundesrepublik Deutschland, in England, Frankreich und Dänemark) praktizierten Ausgestaltungen der Mehrwertabschöpfung untersucht, wobei auch den Gründen für Erfolge und Misserfolge nachgegangen wird. Mit der Typisierung und der systematisch-kritischen Beurteilung der verschiedenen möglichen Abschöpfungsinstitute liegt auch ein gewichtiger selbständiger Beitrag zur internationalen Diskussion vor.

Im letzten Abschnitt wendet sich der Verfasser der Lösung des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (Art. 37) zu und handelt dabei sorgfältig die zahlreichen Einzelfragen im Zusammenhang mit der konkreten Ausgestaltung ab. Auch losgelöst vom Raumplanungsgesetz sind die behandelten Fragestellungen und Antworten hochaktuell, weil der Vorteilsausgleich im Leistungs- und Lenkungsstaat zu den immer wieder neu zu lösenden Grundproblemen gehört, wie im Vorwort von Prof. M. Lendi mit Nachdruck festgehalten wird.

Wirths Untersuchungen sind einerseits genügend generell, um von Fall zu Fall «massgeschneiderte Lösungen» zu ermöglichen, und haben anderseits doch so viel konkreten Inhalt, dass eine praktische Verwendbarkeit gegeben ist, was bei wissenschaftlichen Untersuchungen nicht selbstverständlich ist. Trotz Ablehnung des Eidgenössischen Raumplanungsgesetzes bleibt die Arbeit ein gültiger Beitrag zur schweizerischen und internationalen Diskussion, auf den die kantonale Gesetzgebung und Praxis, aber auch der Bundesgesetzgeber mit Gewinn Bezug nehmen können.

Die Mehrwertabschöpfung war bekanntlich ein Stein des Anstosses für die Gegner des Raumplanungsgesetzes. Die Versuchung ist daher gross, alle Vorschläge zu dieser Materie in einem neuen Entwurf fallenzulassen. Damit sind aber die Probleme keinesfalls gelöst. Der vollständige Verzicht auf jede Art von Sondervorteilsabschöpfung müsste vielmehr jeden rechtsstaatlich Gesinnten bedenklich stimmen, denn bei Postulaten der Gerechtigkeit ist der Spielraum für politische Konzessionen so klein wie möglich zu halten. Die Aktualität dieser sorgfältigen Untersuchung ist nach wie vor gegeben.

Robert Nef


* Markus Wirth: Grundlagen und Ausgestaltung der Mehrwertabschöpfung. ORL-Scbriltenicihe Nr. 26, Zürich 1976.

NZZ Dienstag, 7. September 1976, Seite 25

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