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Zunehmende Planungsverdrossenheit

Lesedauer: 6 Minuten

(NZZ – INLAND – Freitag, 11. Juli 1975, Seite 37)

Von Robert Nef, wissenschaftlichem Assistenten am ORL-lnslitut ETHZ

Pauschale Kritik an der Planung

Das deutliche Nein des Schweizerischen Hauseigentümerverbandes zum Raumplanungsgesetz zeigt, dass ein Malaise gegenüber der Planung weiter verbreitet ist, als man zunächst vermutet hatte. Kurz vor fAblau der Referendumsfrist hat bekanntlich die «Ligue vaudoise», eine gesamtschweizerisch wenig bekannte, föderalistisch und traditionalistisch gesinnte Waadtländer Vereinigung, als einzige Gruppierung öffentlich zum Kampf gegen das Gesetz aufgerufen. Das Referendum kam zustande, was angesichts der vielschichtigen Gruppen potentieller Gegner niemand bezweifelt hatte. Dem Gesetz werden nicht nur zu starke zeentralistisch Züge vorgeworfen man wittert dahinter auch eigentumsfeindliche Tendenzen und eine zu wenig bestimmte Berücksichtigung landwirtschaftlicher Interessen. Diese Einwände, die übrigens im Gesetzestext grösstenteils kaum Rückhalt finden, waren schon im Vernehmlassungsverfahren sowie in der parlamentarischen Beratung zutage getreten.

Was sich aber erst neuerdings bemerkbar macht, ist eine emotionelle, pauschale Kritik an der Planung und an den sogenannten «Planern», eine zunehmende «Planungsverdrossenheit». Man kann diese als eine Begleiterscheinung der allgemeinen Staatsverdrossenheit deuten, man kann darin auch den Ausdruck eines normalen Pendelschlages zwischen Begeisterung und Enttäuschung sehen. Die veränderte Konjunkturlage und der Wandel im Wachstums- und Fortschrittsdenken mögen ebenfalls zum Stimmungsumschwung beigetragen haben. Viel föderalistisches, demokratisches und rechtsstaatliches Unbehagen hat auch der Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiet der Raumplanung, der jetzt erst noch um ein Jahr verlängert werden soll, verursacht. Die zunehmende Planungsverdrossenheit ist ernst zu nehmen. Sie gefährdet eine Annahme des Gesetzes mehr als die interessenmässig lokalisierbare, argumentierende und zum Teil auch widerlegbare Opposition gegen einzelne Gesetzesbestimmungen. Sie kann auch die notwendige Fortsetzung kommunaler, regionaler und kantonaler Planungen nachhaltig hemmen.

Falsche Erwartungen – falsche Versprechungen

In den fünfziger und sechziger Jahren war Planung Mode geworden. Das Planen ist allerdings nicht erst in dieser Zeit erfunden worden; es war von jeher ein wesentlicher Bestandteil jeder Führungs- und Regierungstätigkeit. Neu war lediglich die Tatsache, dass gewisse Fachleute hauptsächlich Architekten, Bau- und Verkehrsingenieure sowie Volks- und Betriebswirtschafter ein eigenes Berufsbild und eine eigene wissenschaftliche Disziplin aufbauten und sich auf Planungsprobleme spezialisierten. Diese Planungsfachleute wurden als Ausbildner, als Berater und als Gutachter beauftragt und erhielten in der Regel viel Goodwill und wenig Kompetenzen. Jene, die zu entscheiden hatten und ,haben wurden so die mühsame Funktion des Planens zum Teil los und konnten von den beauftragten Planern selektiv zur Kenntnis nehmen, was sie hören wollten (etwa optimistische Prognosenvarianten), und den unangenehmen Rest ignorieren. Diese Art von «Planung» war allgemein beliebt. Die Planer konnten sich gelegentlich, wenigstens hypothetisch, als Heilsbringer aufspielen. Da oft nur Arbeitspapiere bestellt und geliefert wurden, blieb in der Regel wenigstens bis anhin die Feuerprobe der Realisierung aus. Unpopuläre Massnahmen ersparte man sich gegenseitig häufig, so dass es bei den Planern kaum je Anlass zur notwendigen Selbstkritik und Selbstbescheidung gab.

Dabei wurde zu wenig bewusst, dass Planung oft nichts anderes ist als die Ersetzung des Zufalls durch den Irrtum. Weil man die tatsächlich engbegrenzten Handlungsspielräume zu wenig zur Kenntnis nahm, konnte von den technokratischen Planern der Irrglaube an die gänzliche Machbarkeit der Zukunft weiterverbreitet werden. Die Herstellung einer räumlichen Ordnung wurde wie die Herstellung einer funktionstüchtigen Maschine angepackt, und die politisch-erzieherischen und im weitesten Sinn therapeutischen Dimensionen des Planungsprozesses blieben oft sträflich vernachlässigt Die Planer haben hier allzu lange zum Teil falsche Erwartungen erweckt und sich auch an falschen Erwartungen orientiert.

Der Widerstand gegen diese technokratische Art der Planung ist gerechtfertigt, und es ist zu hoffen, dass er zu einem Lernprozess beiträgt, in welchem sowohl falsche Versprechungen ab auch falsche Erwartungen abgebaut werden. Falls das Raumplanungsgesetz abgelehnt wird, dürfte es allerdings in absehbarer Zeit schwierig sein, auf Bundesebene noch Früchte dieses Lernprozesses zu ernten, und es ist sehr wohl möglich, dass ohne eine gesetzliche Regelung das demokratisch schwer kontrollierbare technisch-planerische Ermessen neue Blüten treibt.

An allem schuld für nichts zuständig

Wer die tatsächlichen Verhältnisse im Bauund Planungswesen kennt, wird keine Zweifel darüber hegen, dass Fachleute der Raumplanung und der Zukunftsforschung heute oft für den «Missbrauch von Kompetenzen» getadelt werden, die sie weder rechtlich noch faktisch je innehatten. Die Siedlungsentwicklung der letzten ISO Jahre und speziell der letzten 30 Jahre ist – man mag sie positiv oder negativ bewerten – nicht das Resultat einer staatlich gelenkten Siedlungspolitik unter dem «Diktat» irgendwelcher amtlicher Planer. Weder Behörden noch Planer waren dafür je zuständig; sie sind daher auch nicht schuld daran. Die Verantwortung für gewisse problematische Erscheinungen (wie die auf eine Schweiz mit mehr als zehn Millionen Einwohnern konzipierten, viel zu grossen Bauzonen) sind nicht den «bösen Planern» und den «falschen Propheten » anzulasten. Diese sind nur insofern daran mitbeteiligt, als sie gelegentlich die tatsächlichen Verantwortlichkeiten missachteten und oft Lösungsmöglichkeiten vorspiegelten, die in verschiedenster Hinsicht irreal waren und somit zwangsläufig einen Enttäuschungsprozess auslösen mussten.

Das Zerrbild vom allzuständigen professionellen Planer als dem disziplinlos-interdisziplinären «Scharlatan des 20. Jahrhunderts» entspricht um so weniger den Tatsachen, je klarer die Zuständigkeiten abgegrenzt sind. Die Klärung der Kompetenzen beim Planen, Entscheiden und Realisieren dient nicht nur der Einschränkung einer allfälligen Machtfülle bei den Planenden. Sie verhindert auch die gefährliche Tendenz, die Planer als Alibifiguren zu missbrauchen, wenn es darum geht, für längerfristige Entwicklungen die Verantwortung zu übernehmen beziehungsweise abzuschieben.

Die gesetzliche Regelung der Planung, wie sie im Bundesgesetz über die Raumplanung vorgesehen ist, bedeutet etwas völlig anderes als eine Blankovollmacht an irgendwelche Planer. Die Abgrenzung zwischen fachlicher Beratung und politischer Entscheidung kommt in diesem Gesetz klar zum Ausdruck. Es enthält eine allgemeinverbindliche Regelung des durchgehenden Planungsprozesses sowie verbindliche Richtlinien für den Ermessensgebrauch der planenden Behörden. Das «planerische Ermessen» im Bereich bereits bestehender Bundeskompetenzen wird durch das Gesetz nicht erweitert, sondern erheblich eingeschränkt. Dieser Ermessensspielraum war zudem, wie die Erfahrungen zeigen, schon immer faktisch begrenzt. Wer in einem föderalistisch aufgebauten, demokratischen Rechtsstaat gegen den Mehrheitswillen der Betroffenen und Beteiligten plant, verscherzt über kurz oder lang die Chancen der Realisierung, selbst wenn er durch gesetzliche Bestimmungen «gedeckt» wäre.

Planung als wechselseitiger Lernprozess

Planung bedeutet nach heutiger Auffassung nicht die Herstellung einer fixen Ordnung, die nötigenfalls mit Staatsgewalt herbeizuführen wäre. Das Planen wird immer mehr als ein dauernder Prozess verstanden, in welchem mit rationalen Mitteln die zur Problembewältigung notwendigen Koordinationen erreicht werden. .Wer plant, übt keinen speziellen Beruf aus; jeder Verantwortliche muss planen, wenn er die Zukunft wirksam beeinflussen will. Ein moderner Planungsfachmann wird daher seine Aufgabe nicht primär darin sehen, für andere «die Planung zu machen». Er hat lediglich die Funktion des methodisch geschulten Beraters und Koordinators jener Verantwortlichen, die in ihrer Funktion selber planen, entscheiden und realisieren müssen.

Planungsaufgaben als Bestandteil der Führungs- und Regierungstätigkeit hat der Fachmann nur innerhalb seines eigenen bestimmten Kompetenz- und Verantwortungsbereichs. Die politische Planung muss im demokratischen Rechtsstaat immer mit der demokratischen Willensbildung verknüpft sein, und diese Willensbildung erfolgt stets mehr oder weniger raumbezogen. Das entscheidende öffentliche Interesse ist oft auf der untersten, räumlich engsten Stufe am sichtbarsten. Eine demokratische Planung, die realisierbar sein soll, wird daher an den Bedürfnissen dieser untersten Stufe anknüpfen müssen.

Alles Planen auf höherer Stufe ist, wenn es innerhalb der gesetzlich gegebenen Kompetenzen erfolgt, keine zusätzliche Bindung der untern Stufe, sondern eine allseitige verbindliche Information, die den aktiven und reaktiven Entscheidungsspielraum auf unterer Stufe faktisch erhöht und das Ausgeliefertsein an völlig ungewisse Gestaltungsmöglichkeiten vermindert. Jeder, der Planung so, im Hinblick auf das Mögliche, das Wahrscheinliche und Wünschenswerte, betreibt, ist eher als Geburtshelfer denn als Totengräber der Demokratie tätig.

Das Umdenken von der technokratischen zur demokratischen und föderalistischen Planung hat schon vor Jahren eingesetzt. Das Bundesgesetz über die Raumplanung knüpft nachweisbar an dieser modernen Auffassung über die Funktion der Planung an. Planung wird heute immer mehr als wechselseitiger Lernprozess gesehen, in welchem die Fachleute durchaus nicht nur als besserwissende Lehrer auftreten, sondern mitbeteiligt sind an einem Vorgehen, bei welchem gemeinsam nach den bestmöglichen, mehrheitlich akzeptierten Lösungen gesucht wird. Der Verdacht ist daher berechtigt, dass die pauschalen Planungsgegner mit einem veralteten, überholten «Feindbild» fechten.

Planungsrecht gegen Planungswillkür

Paradoxerweise werden häufig gerade die Folgen mangelnder Planung und Koordination den «bösen Planern» angelastet. Es trifft zu, dass es bei wachsenden Staatsaufgaben und Staatsausgaben verwaltungsintern zu unkontrollierter Macht und zu Eigengesetzlichkeiten kommt, bei denen Einzelne nach eigenem Ermessen schalten und walten. Es gibt heute beim Bund, bei den Kantonen und auch bei den Gemeinden eine grosse Zahl von wichtigen zukunftsgestaltenden Entscheiden, die mangels einer gesetzlich koordinierenden Regelung von Fall zu Fall punktuell und unter Ausschluss der Oeffentlichkeit gefällt werden und bei denen der Bürger nachträglich vor einem «fait accompli» steht.

Der behördliche Ermessensspielraum ist bei raumbedeutsamen Entscheidungen gerade weil die gesetzlichen Grundlagen unvollständig sind erstaunlich gross. Durch das Raumplanungsgesetz sowie durch die auf Grund dieses Gesetzes zu erlassenden materiellen Grundsätze der Raumplanung würde dieser Ermessensspielraum eingeschränkt. Wie schon wiederholt dargelegt worden ist, stellt sich bei der eidgenössischen Planung nicht die Frage «Planung: Ja oder Nein», sondern die Frage «Planung nach freiem Ermessen und ohne geregeltes Verfahren» oder «Planung nach gebundenem Ermessen und nach geregeltem Verfahren». Ein Verzicht auf die gesetzliche Regelung der Raumplanung auf Bundesebene wäre ein Verzicht auf eine wirksame Kontrolle des behördlichen Ermessens in Planungsfragen.

Jeder Leistungsstaat ist gewollt oder ungewollt auch Lenkungsstaat. Der Bund ist heute zu einem wichtigen Leistungsträger geworden. Diese Tatsache kann nicht dadurch aus der Well geschafft werden, dass eine gesetzliche Regelung der Koordination dieser Leistungen verworfen wird. Die befriedigende, gerechte Verteilung von Lasten und Vorzügen ist im Leistungsstaat ein staatspolitisches Problem höchsten Ranges. Es bleibt die «pièce de résistance» der Raumordnungspolitik und der Strukturpolitik. Der Verteilungsprozess kann nie völlig rational gestaltet werden, und die Grenzen der Planung sind für jene am spürbarsten, welche Verteilungsprobleme lösen müssen. Jede Planung ist in einem gewissen Ausmass willkürlich, aber diese Willkür lässt sich durch objektivierende Regeln wenigstens teilweise einschränken und kontrollieren. Die Skepsis gegenüber den Planern ist berechtigt, darum sollten gerade die Skeptiker auf eine gesetzliche Regelung drängen, damit auf Bundesebene die improvisierende Planung mit Dringlichen Bundesbeschlüssen endlich von einem eidgenössischen Raumplanungsrecht abgelöst werden kann.

NZZ Freitag, 11. Juli 1975, Seite 37

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