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Umweltschutz mit fragwürdigen Randbedingungen

Lesedauer: 5 Minuten

(NZZ – INLAND – Samstag, 3. August 1974, Seite 9)

Von Roben Nef, wissenschaftlichem Mitarbeiter ain ORL-lnstilut der ETH Zürich

Umweltschutz ist heute Mode, und er wird gelegentlich nach dem altbekannten Rezept «je teurer, desto besser» in politisch zugkräftige Programme eingebaut. Dies könnte über kurz oder lang dazu führen, daß die Umweltschutzeuphorie des Stimmbürgers und Wählers in einen Umweltschutzkater des Steuerzahlers umschlägt. Dann werden wohl die populären Umweltschutzpostulate überrundet werden von noch populäreren allgemeinen Bremsideologien. Das finanzpolitische Schlagwort «bis hierher und nicht weiter» hat alle Chancen, zum politisch zugkräftigen Motto der spätem siebziger Jahre zu werden und alle Umweltschutz- und Lebensqualität-Schlagworte der spätern sechziger Jahre außer Kurs zu setzen. Die Auffassung, daß auch die Steuerbelastung ein Paktor der Lebensqualität sei, kann die Prioritätsordnung der politischen Forderungen nachhaltig beeinflussen. Auf Bundesebene bittet man mindestens was den Gewässerschutz betrifft mit dem Hinweis auf die «Kostenexplosion» bereits um Geduld. Vielleicht braucht es tatsächlich eine neue Welle des Umweltmalaise, bis dem Steuerzahler die Notwendigkeit zusätzlicher finanzieller Opfer schmackhaft gemacht werden kann. Vielleicht besinnt man sich aber in der Zwischenzeit auf Möglichkeiten des Umweltschutzes, die staatliche Umweltschutzinvestitionen nicht hinausschieben, sondern deren Notwendigkeit beseitigen. Die Chancen hiefür sind allerdings nicht allzu groß, da man sich allerseits daran gewöhnt hat, die Herstellung und Wiederherstellung einer heilen Umwelt vom Staat zu fordern, zu erwarten und zu erhoffen, während alle Lösungen, welche auf letztlich freiwilliger, wirtschaftlicher und ethischer Selbstbesinnung, Selbstbeschränkung und Neuorientierung aufbauen, als Utopie abgetan werden.

Gefahrenabwehr heim Störer

In dieser Situation ist es entscheidend, daß sich jene, für die der Umweltschutz mehr als ein Schlagwort, mehr als eine Angelegenheit des politischen und wirtschaftlichen Marketing bedeutet, an Umweltschutzmaßnahmen erinnern, die keine Steuermittel verschlingen, was zum Beispiel für die meisten Maßnahmen, die auf dem klassischen Polizeirecht basieren, zutrifft. In einem Diskussionsbeitrag hat Dr. B. Wehrli kürzlich in der «NZZ» (Inlandausgabe Nr. 281 vom 20. Juni 1974) vcrdienstvollerweise auf einige grundsätzliche Zusammenhänge hingewiesen, denen vorbehaltlos zuzustimmen ist. Er hat auf die an sich banale Tatsache aufmerksam gemacht, daß der sogenannte «Straßenlärm» eigentlich ein Motorfahrzeuglärm ist; denn die Straße macht keinen Lärm. Will man den Straßenlärm von der Ursache her bekämpfen, muß man konsequenterweise das emissionsarme beziehungsweise das emissionsfreie Verkehrsmittel fordern. Dies kann durch relativ wenige klare gesetzliche Normen erfolgen und verlangt keine teuren staatlichen Infrasirukturanlagen. Noch radikaler und langfristig wirksamer wären die Erarbeitung von Siedlungskonzeptcn und die Ermöglichung von Lebensformen, welche einen erheblichen Teil des Verkehrs überflüssig machen würden.

Das sogenannte Verursacherprinzip, das sich an den Störer wendet und nicht an den Betroffenen, ist keine neue Erfindung der modernen Politökologie. es gehört schon zu den teilweise in Vergessenheit geratenen Errungenschaften des vielgeschmähten Nachtwächterstaates. Der Umweltschutz muß also nicht unbedingt als neue Aufgabe des Wohlfahrtsstaates aufgefaßt werden, er ist auch ein rein rechtsstaatliches Postulat. Man braucht daher vorerst weder eine umweltschützlerische Gemeinwohlideologie noch eine Umweltschutz-Ersatzreligion aufzubauen, wenn man dem Individuum einen Schutzanspruch für seine Umwelt gegenüber jedwelchen Störern garantieren will. Entscheidend ist, daß der individuelle Schutzanspruch rechtlich durchsetzbar ist und nicht durch Pseudo-Randbedingungen (durch sogenannte technisch und wirtschaftlich bedingte Sachzwänge und durch immer größere Duldungspflichten) relativiert wird. Es müßten hiezu Instanzen und Verfahren aktiviert oder institutionalisiert werden, welche eine wirksame Durchsetzung der konkreten individuellen Schutzansprüche gewährleisten würden. Der Umweltschutz wäre längerfristig gesehen vielleicht besser über die konsequente Anwendung des radikalliberalen Ansatzes (Schutzanspruch und Abwehrmöglichkeit des Individuums im Sinne des individuellen Wohls) als über den sozialstaatlichen Ansatz (Umweltschutz als öffentliche Dienstleistung im Sinne des Gemeinwohls) zu realisieren.

Fragwürdige Randbedingungen

Faktisch sind natürlich dem Umweltschutz über Verbots- und Gebotsnormen sowie über individuelle Abwehransprüche, welche beim Gemeinwesen nur minime Kosten verursachen, Grenzen gesetzt. Auch beim Umweltschutz müssen Kausaltherapie und Symptomtherapie kombiniert werden. Der Gewässerschutz kann beispielsweise nicht durch das Verbot des Wasserklosetts gewährleistet werden, wir müssen – wenigstens vorläufig – vor der Pseudo-Randbedingung kapitulieren, daß wir es als besonderen Triumpf der hygienischen Zivilisation betrachten, wenn wir das knappe Gut Wasser verunreinigen, um es nachher schlecht und recht in teuren Kläranlagen wieder zu reinigen. Finanziert wird dieser unwirtschaftliche Kreislauf mit Steuergeldern, was einer der Gründe sein mag, wieso nicht längst mit allem Nachdruck nach technischen und wirtschaftlichen Alternativen Ausschau gehalten wurde. Was Wehrli am Beispiel des Lärmschutzes aufgezeigt hat, gilt grundsätzlich für alle Bereiche des Umweltschutzes: Man muß den Circulus vitiosus der Umweltbeeinträchtigung wenn immer möglich beim Störer unterbrechen und die Störung nicht als Randbedingung einer staatlichen Umweltschutzmaßnahme akzeptieren.

Langfrisige Sanierung der Lebensgewohnheiten

Schallisolationen, Erdwälle, Tunnels und Ueberdachungen sowie Kläranlagen geben zwar interessante Tiefbauaufträge (zulasten des Steuerzahlers!) man wird daher für diese Art von Umweltschutz immer massive Unterstützung bekommen. Ausgangspunkt für diese Maßnahmen sind aber zum Teil fragwürdige Randbedingungen. Wird der Umweltschutz auf Grund dieser Randbedingungen als Symptonitherapie betrieben, so werden zwar punktuell und temporär Mißslände halbwegs erträglich gemacht, was die eigentliche langfristige Sanierung jedoch verzögern und verhindern kann.

Am Beispiel des Gewässerschutzes wird klar, daß wir zwar in einzelnen Bereichen Symptomtherapie betreiben müssen, weil das umweltschädigende Verhalten zur allgemeinen Lebensgewohnheit geworden ist. Trotzdem braucht aber auch hier nicht ganz vor dieser Randbedingung kapituliert zu werden. Wir können um beim gewählten Beispiel zu bleiben neben dem Bau von teuren Kläranlagen auch die Suche nach Alternativen zum Spülklosett intensivieren. Mindestens könnten wir bewußt darauf verzichten, unsere umweltschädigenden Lebensgewohnheiten in Entwicklungsländer zu exportieren.

Die Probleme des Umweltschutzes sind größtenteils Folgeprobleme der technischen Zivilisation – und nicht der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, wie gelegentlich behauptet wird. Diese technische Zivilisation tendiert dazu, die Umwelt und sich selbst zu zerstören; das Verhältnis von Natur und Kultur bildet in ihr einen Circulus vitiosus. der unüberwindbar scheint. Es ist von größter Wichtigkeit, daß wir die vom jetzigen Stand der technischen Zivilisation ausgehenden Randbedingungen des Umweltschutzes radikal in Frage stellen.

Wirtschaftliche Reduktion statt Produktion

Umweltschutz ist nicht einfach herstellbar als Gegenstand einer zusätzlichen Infrastrukturaufgabe oder als Bestandteil eines umfassenden Dienslleistungssystems in einem immer totaler werdenden Sozialstaat. Die sozialen Kosten der technischen Zivilisation nähern sich früher oder später einer Größenordnung, die weder für Private noch für die öffentliche Hand tragbar sind und die nicht mehr durch zusätzliche Produktion gedeckt werden können. Eine «Philosophie der wirtschaftlichen Reduktion» im weitesten Sinne hat daher die «Philosophie der Produktion und der unbegrenzten Herstellbarkeit» abzulösen. Bei diesem Prozeß, welcher mit einer Strategie des geordneten Rückzugs weniger Opfer fordert als etwa eine nostalgiegetriebene blinde Flucht in die Vergangenheit, könnte es sich als notwendig erweisen, auch Modelle des Natur-Kultur-Vcrhältnisses zu studieren, die nicht auf dem Prinzip des organisierten Ressourcen-Raubbaus basieren.

Daß in einigen außereuropäischen Kullurkreisen vor deren Konfrontation mit der technischen Zivilisation eigentliche Natur-Kultur-Kreisläufe auf Grund abgestimmter soziokultureller Verhaltensweisen – allerdings verbunden mit riesigen Opfern – funktionsfähig waren, sollte uns zu denken geben. Eine auf dem Gedanken der Sorge und Pflege, auf Kultur im ursprünglichen Wortsinn aufbauende Lebenshaltung ist Voraussetzung für die Ueberwindung des jetzigen Umwelt-Kriegszustandes, bei dem Angreifer und Verteidiger in gleicher Weise zu Fanatismus neigen.

Vom totalen zum radikalen Umweltschutz

Umweltschutz wird heute allzuoft zwar total, aber nicht radikal gefordert. Der teure, symptombekämpfende, infrastrukturbauende totale (oder gar totalitäre?) Umweltschutz bringt keine befriedigende Lösung des Umweltproblems, da er lediglich einen integrierenden Bestandteil eines größeren Circulus vitiosus bildet.

Langfristig muß der Umweltschutz radikal, das heißt von der Wurzel her angegangen werden. «Präventiver Umweltschutz», der individuell beim Störcr die Störung verhindern und nicht kollektiv die Folgen der Störung beseitigen will, kann als erster prinzipiell richtiger Schritt zu einer umfassenderen Sanierung aufgefaßt werden. Wir müssen in Zukunft einen grundsätzlich harmonisierten Natur-Kultur-Kreislauf anstreben, wenn wir nicht in die Ohnmacht der totalen Abhängigkeit vom Naturkreislauf zurückfallen wollen.

Was an dieser Stelle lediglich abstrakt und schlagwortartig festgehalten wird, ist eine soziokulturcllc Aufgabe ersten Ranges, die für das Fortbestehen der Kultur lebenswichtig sein könnte und dem Individuum und der Gemeinschaft eine dem Aufbau der technischen Zivilisation vergleichbare Leistung abverlangt.

NZZ Samstag, 3. August 1974, Seite 9

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