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Student und Extremismus

Lesedauer: 4 Minuten

(NZZ – Dienstag, 28. November 1967, Morgenausgabe Blatt 5)

rn. In Rheinfelden trafen sieh kürzlich die Gruppe Freiburg i. Br. des Liberalen StudentenbBundes Deutschland und die Liberale Studentenschaft Zürich zu ihrem alljährlich stattfindenden Seminar. Das Thema «Tendenzen zum Extrem in der Politik» bot Zündstoff für eine heftige, interessante Diskussion, und der gemeinsame Nenner Liberalismus war in all den gegensätzlichen Meinungen über die Rolle des Studenten in Politik und Gesellschaft oft kaum mehr spürbar. In einem einleitenden Referat vermittelte Wolfgang Goetz, Direktor des Institute für staatsbürgerliche Ausbildung in Mainz, einen Ueberblick über die Tendenzen zum Extrem in der Bundesrepublik Deutschland. Ohne eine generelle Charakterisierung von extremistischen Parteien zu versuchen, knüpfte er an die politische Rechts-Links-Symbolik an und behandelte zunächst den Rechtsradikalismus.

Es müsse zwischen dem organisierten Rechtsradikalismus, wie er sich etwa in der NPD zeige, und den unorganisierten rechtsradikalen Strömungen unterschieden werden, so führte er aus. In der organisierten Form seien die Tendenzen zum Extrem klar feststellbar, kontrollierbar und daher relativ ungefährlich, wogegen der unbewusst übersteigerte, aufgestaute Nationalismus eine ernste Gefahr darstelle. Der verschwommene Wunsch nach einem «eigenen deutschen Weg» nach einer Ueberwindung der pluralistischen Gesellschaft durch «die Kraft der deutschen Seele», der Ruf nach Ordnung und Disziplin, nach «Einigkeit vor Freiheit» und nach absoluten Wertmassstäben der Sitte und Moral könnten leicht jene Verwirrung stiften, in welcher Gemässigte auf der Strecke bleiben und Radikale sich durchsetzen. Bei den links-extremen Strömungen befasste sich der Referent vor allem mit den organisierten Gruppierungen. Praktisch bedeutsam sei hier, dass hinter allen linksextremen Organisationen stete der Apparat der DDR wirksam sei, der mit grossem Aufwand alle Linksopposition in der Bundesrepublik zu unterstützen und zu fördern trachte. Der Kommunist in der Bundesrepublik stehe mit seinen gesellschaftskritischen revolutionären Postulaten im Widerspruch zur politischen Räson des Weltkommunismus, welcher derzeit ein Interesse am Status quo eines geteilten Deutschland habe.

Zwischen den beiden Tendenzen nach Rechts- und Linksextremismen glaubte der Referent auch eine «Gefahr von der Mitte» zu sehen: die extrem experimentfeindliche Haltung der deutschen Wohlstandsgesellschaft, welche in einem übertriebenen Hang zum Perfektionismus alles ablehne, was nicht ins herkömmliche Schema passe. Der unterschwellige Rechtsradikalismus und die Gefahren eines immobilen, undemokratischen Establishments seien denn auch der Grund für die Opposition gewisser Studenten. Diese Opposition dürfe nicht nur als Ausdruck eines Generationenkonflikts an den Universitäten gewertet werden, es zeige sich darin auch die Reaktion gegen eine satte Wohlstandsgesellschaft mit unverdauten Problemen.

Prof. Dr. E. Gruner (Bern) vermittelte anschliessend einen Ueberblick über die politische Situation in der Schweiz. Anhand der historischen Entwicklung zeigte er die verschiedenen Ansatzpunkte extremistischear Ideen und warnte gleich xu Beginn schon vor unscharfen Begriffen wie «reaktionär» und «revolutionär», weil neben dem Gegensatz immer auch der gefährliche Zusammenhang extremistischer Bewegungen gesehen werden müsse. Als wesentliche Elemente des Rechtsextremisms nannte Prof. Gruner den kollektiven Minderwertigkeitskomplex, die Anti-Haltung gegen irgendwelche «bedrohende Mächte» (zum Beispiel Internationalismus) und «herrschende Minderheiten» (zum Beispiel Intellektuelle, Kapitalisten, Juden).

In allen Strömungen des Linksextremismus sei man sich eigentlich nur darin einig, dass die bestehende Gesellschaftsordnung aufgehoben werden müsse. Das verbindende Merkmal sei also der oppositionelle Geist. Opposition beinhalte aber nicht immer totale Ablehnung des Bestehenden. Es sei verwunderlich, wie wenig differenziert die Vorstellung über die Art der Opposition gerade bei jenen Leuten sei, die den Ruf nach «mehr Opposition» bei jeder Gelegenheit erschallen lassen. Der Referent zählte einige Arten von Opposition auf: unterlegene Partei im Zweiparteienstaat, mit der Regierung verflochtene Oppositionspartei, systemanerkennende und systemablehnende Opposition und schliesslich die positionslose Opposition. Er zitierte den Ausspruch eines jurassischen Separatisten «Si je n’étais pas séparatiste, je serais communiste» und verdeutlichte damit eindrücklich den engen und gefährlichen Zusammenhang, der in allen prinzipiellen Anti-Haltungen steckt. Mit der Feststellung, dass es zwischen der negativen, positionslosen Kritik und einem vorbehaltlosen Festhalten am Status quo noch die Möglichkeit einer positiven Willensbildung auf etwas Neues hin gebe, war das weite Feld der Diskussion abgesteckt.

Von deutscher Seite wurde eindringlich die aktive Teilnahme des Studenten an den Sorgen um die Zukunft von Staat und Gesellschaft postuliert, wobei «das politische Mandat» vor allem in einer ständigen, grundsätzlichen Kritik bestehe. Mit der Verwendung einer verschwommenen und – leider – allzu bekannten Protestterminologie, bei der man auch vor Schlagworten wie «manipulierte Mehrheit» und «fascistoid» nicht verschont wurde, erschwerten sich die deutschen Studenten das Verständnis mit den schweizerischen Gesprächspartnern. Vielleicht wurden dabei in der reflexartigen Ablehnung die positiven Elemente in den deutschen Voten dann doch zuwenig gewürdigt: der Wille, in Staat und Gesellschaft eine kritische Funktion zu übernehmen, das Bestehende in Frage zu stellen, selbst auf die Gefahr hin, diffamiert zu werden, und die Bereitschaft, eine ständige Wachsamkeit gegenüber nationalistischen radikalen Strömungen zu zeigen. Es ist nur zu hoffen, dass sich die Wächterrolle auch gegenüber dem Linksextremismus einspielen wird.

Mochten die schweizerischen Voten dem einen oder andern Kommilitonen aus Freiburg i. Br. auch als wohlgemeinte, lehrerhafte «Ratschläge eines politischen Binnenländers an schwergeprüfte Seeleute» erscheinen, so wurde doch deutlich, dass das Image einer politisch rückständigen und reaktionären Schweiz nicht zutrifft. Das demokratische Bewusstsein, die gesunde Mischung von Misstrauen und Solidarität sind hierzulande weiter entwickelt als in Deutschland.

Als Resultat der Diskussion lässt sieh etwa folgendes festhalten: Die Zürcher Liberalen Studenten mögen durch ihre deutschen Kommilitonen einen weiteren Impuls empfangen haben, sich nicht kritiklos am Status quo zu beteiligen, sondern stets an der Sorge um die Zukunft von Staat und Geaellaehaft aktiv mitzutragen. Die Freiburgor nahmen vielleicht aus der Schweiz die Erkenntnis mit, dass es gefährlich ist, mit radikalen Methoden und Schlagworten eine demokratischere Mentalität zu erzwingen; dass es nicht genügt, aus den bittern Erfahrungen «klug für ein andermal» zu sein, sondern dass die politische «Weisheit für immer» in der Demokratie mit Geduld, Toleranz und auch mit etwas Humor errungen werden muß. Der Liberalismus kann trotz den verschiedenen’ historischen, soziologischen du n weltanschaulichen Grundlagen in beiden Gruppen richtungweisend sein, weil er, wie Prof. Grüner in seinem Schlußwort festhielt, das starre Dogma verachtet und stets verschiedene Wege zur Freiheit des Einzelnen in Staat und Gesellschaft offenhält.

NZZ 28. November 1967, Morgenausgabe Blatt 5

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