Zum Inhalt springen

Konstruktive Selbstkritik an unserer Armee

Lesedauer: 3 Minuten

(NZZ – Sonntag, 12. Juni 1966, Sonntagsausgabe Blatt 8)

rn. Vor der Liberalen Studentenschaft Zürich sprach kürzlich Oberstbrigadier L. Zolikofer, Kommandant der Infanterie-Offiziersschulen Zürich, über das Thema «Bejahung und Ablehnung als besondere Erscheinung in der Schulung unserer Truppen und ihrer Chefs». Die grundsätzlich positive Bowertung einer gesunden Opposition überraschte zahlreiche Zuhörer; sie stellten fest, dass den meisten Anliegen, welche sie für die Diskussion bereithielten, schon im Vortrag Ausdruck verliehen wurde.

Das Verhältnis von Volk und Armee wird heute gern als Malaise bezeichnet. Dies war aber für den Referenten kein Grund, mit pessimistischem Gejammer und kleinlichen Rechtfertigungsversuchen zu reagieren. Seine Ausführungen standen unter dem Motto: «Nur was angegriffen wird, kann Bestand haben.» Im Kampf um die Seele des Akademikers, um seine Einstellung zur Armee, sei das oppositionelle Lager in der letzten Zeit stärker geworden. Es gebe immer mehr Leute, die sich nicht damit abfinden könnten, dass auch heute noch gewisse Probleme mit Krieg gelöst werden. Ihre Gedanken werden vom Referenten als wertvoll bezeichnet, eine Diskussion als möglich; sie könne sich aber leider heute nicht auf dem Boden der Realität abspielen, Eine weitere Gruppe im oppositionellen Lager rekrutiere sich aus Leuten, die eine Landesverteidigung grundsätzlich befürworten, welche aber die Art und Weise ablehnen, die Bewaffnung und Ausbildung problematisch finden. Auch sie zählte der Referent zur gesunden Opposition.

Die Frage nach dem Sinn unserer Landesverteidigung mit unseren Mitteln, mit. unseren Methoden muss immer wieder gestellt werden, auch von den höheren Führern unserer Armee. Nur wer vom Sinn seines generellen Auftrages überzeugt sei, könne ihn auch gut erfüllen. Hier sah der Referent einen echten Grund für eine Vertrauenskrise: Immer noch spukt das Idealbild vom kadavergehorsamen Soldaten in den Köpfen herum; die Aufklärung, das Gespräch, der menschliche Kontakt fristen ein Schattendasein. Nicht der einzelne Befehl sollte begründet und diskutiert werden, sondern der generelle Auftrag, der nur in Zusammenarbeit vom Untergebenen und Führer gemeinsam gelöst werden könne. Es genüge auf keiner Stufe mehr, wenn nur Aufträge sauber ausgeführt würden. Ueberall seien auch für neu auftretende Probleme selbständige Lösungen zu finden. Dies gelte übrigens nicht nur im militärischen Bereich, sondern sollte bei jeder Führerausbildung vermehrt berücksichtigt werden.

Keinen konstruktiven Beitrag in der Diskussion erwartet der Referent von jenen, welche prinzipiell gegen jede bestehende Autorität sind und welche, oft von einer gezielten Subversion bewusst oder unbewusst beeinflusst, alles befürworten, was die heutige Ordnung umwerfen könnte. Wer Unfrieden und Streit zu stiften und zu vermehren als einzige Aufgabe betrachte, habe keinen Anspruch auf Verständnis, und eine entschiedene Bekämpfung dieser Tendenzen sei die einzig richtige Reaktion.

Eine weitere, nur zahlenmässig starke Opposition sei im Lager der Indifferenten, alle persönlichen Opfer Scheuenden zu suchen. Hier sei das einzige Heilmittel das Reaktivieren. Ein verstärktes und begründetes Interesse wecke auch die Opferbereitschaft wieder, welche meistens irgend einer kleinlichen Verärgerung und Bequemlichkeit Platz gemacht habe. Diese Leute würden häufig falsch behandelt; die tieferen Ursachen für solche Einstellungen seien oft auch bei einem Versagen militärischer Instanzen zu suchen. Der Grundsatz «Jeder soll die Stelle einnehmen, an der er am meisten leisten kann» werde häufig verletzt, vor allem durch das ungenügende Rekrutierungssystem und durch Fehler bei den Vorschlägen zur Weiterausbildung. Es sei nicht zu vorantworten, dass in einer Milizarmee jene Fähigkeiten, die einer aus dem Zivilleben mitbringe, zu einem großen Teil nicht ausgenützt würden.

In der Diskussion tauchten immer wieder die Postulate auf, welche heute in allen Gebieten als Allheilmittel gelten: Bessere Planung, bessere Koordination, mehr Anpassungsfähigkeit, mehr Public Relations und erhöhte Qualität des Kaders, speziell des Instruktionskaders. Dem Referenten waren Postulate dieser Art aus dem Herzen gesprochen. Für die Erfüllung des ganzen kritischen Katalogs von Forderungen sei es allerdings nicht damit getan, neue Gremien zu postulieren, stellte der Referent am Schluss der Aussprache fest; jeder Einzelne könne und müsse sich in seiner Stellung als Soldat und Bürger für bessere Lösungen einsetzen.

NZZ 12. Juni 1966, Sonntagsausgabe Blatt 8

Schlagwörter:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert